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Wirtschaft: EU-Übernahmeregeln: Kritik der Deutschen an europäischer Richtlinie

Politiker, Gewerkschafter und Unternehmer in Deutschland wollen den Kampf gegen Übernahmeversuche bei Unternehmen nicht aufgeben. Zwar einigten sich in der Nacht zum Mittwoch Vertreter des Europaparlamentes, des EU-Ministerrates und der EU-Kommission auf einen Kompromiss, der den Vorständen verbietet, Barrieren gegen Übernahmen aufzubauen.

Politiker, Gewerkschafter und Unternehmer in Deutschland wollen den Kampf gegen Übernahmeversuche bei Unternehmen nicht aufgeben. Zwar einigten sich in der Nacht zum Mittwoch Vertreter des Europaparlamentes, des EU-Ministerrates und der EU-Kommission auf einen Kompromiss, der den Vorständen verbietet, Barrieren gegen Übernahmen aufzubauen. Der Streit über die entsprechende EU-Richtlinie ist jedoch noch nicht beendet, und die Bundesregierung denkt weiter über einen nationalen Weg nach.

Die Möglichkeiten europäischer Unternehmen, sich gegen feindliche Übernahmen zur Wehr zu setzen, bleiben eng begrenzt. Die Bundesregierung und das Europaparlament sind mit ihrem gemeinsamen Versuch, den Schutz der Unternehmen gegen Aufkaufangebote zu verstärken, in der Nacht zum Mittwoch im Vermittlungsausschuss gescheitert. Am Ende gelang es der Mehrheit von 14 EU-Mitgliedstaaten zusammen mit der EU-Kommission, die "Neutralitätspflicht" der betroffenenen Unternehmensführungen durchzusetzten: Wenn Aktien ihres Unternehmens von einem Übernahmeinteressenten auf freiem Markt aufgekauft werden, müssen sich die Vorstände künftig weitgehend neutral verhalten.

Nach mehr als zehn Jahren der vergeblichen Beratungen, immer neuen Anläufen und zuletzt heftigen Auseinandersetzungen einigte sich der Vermittlungsausschuss gegen die Stimmen der Deutschen auf eine EU-Richtlinie, die europaweit die Regeln für den Aufkauf von Aktien und die Übernahme von Unternehmen festlegt. Das Gesetz soll europaweit Rechtssicherheit garantieren und Aktionäre sowie Beschäftigte schützen. Sowohl der EU-Ministerrat, in dem die 15 Regierungen vertreten sind, als auch das Europaparlament müssen dem Kompromiss des Vermittlungsausschusses noch zustimmen. Sollte dies in den nächsten sechs Wochen tatsächlich geschehen, müssen die 15 Mitgliedstaaten die EU-Firmenübernahmerichtlinie bis 2005 in nationales Recht umsetzen. Bei der Ausgestaltung des nationalen Gesetzes haben sie allerdings in Einzelheiten des Gesetzes noch gewisse Gestaltungsmöglichkeiten.

Im Unterschied zum EU-Ministerrat, der möglichst liberale Bedingungen der Firmenaufkäufe wollte, kämpfte das EU-Parlament für einen besseren Schutz europäischer Unternehmen gegen feindliche Übernahmeversuche. So wollte die Mehrheit der Straßburger Volksvertreter zum Beispiel die sogenannten "Vorratsbeschlüsse" der Aktionärsversammlung zulassen, die der jeweiligen Unternehmenführung schon vorsorglich als eine Art Blankoscheck die notwendigen Instrumente in die Hand gibt, um schnell und auch ohne Einberufung der Hauptversammlung auf feindliche Übernehameversuche reagieren zu können. Die heftig umstrittene Neutralitätspflicht der Vorstände wollte das Parlament möglichst vollständig aus dem Gesetz streichen.

Während sich die EU-Kommission am Mittwoch höchst zufrieden über die Einigung zeigte, kritisierten sowohl der Berichterstatter des EU-Parlaments, der CDU-Europaabgeordnete Klaus-Heiner Lehne, als auch Vertreter der deutschen Industrie das Ergebnis, das weit von den Wünschen des Europaparlaments entfernt ist.

Man habe im Vermittlungsausschuss nicht nur ein weitgehendes Informationsrecht der Belegschaft durchsetzen können, erklärte der Europaabgeordnete Lehne. Man habe auch die Einsetzung einer Expertengruppe beschlossen, die zusätzliche das Gesellschaftsrecht untersuchen und spätestens 2002 neue Vorschläge zu einer detaillierten EU-Richtlinie vorlegen soll. Auf diese Weise hoffe man, noch vor Inkrafttreten der Übernahmerichtlinie Schadensbegrenzung betreiben zu können, sagte Lehne in Brüssel. Der CDU-Parlamentarier hofft überdies, das Ergebnis des Vermittlungsausschusses im letzten Momment noch kippen zu können. Er werde jetzt im Straßburger Parlament darum kämpfen, dass die EU-Übernahmerichtlinie in der gegenwärtigen Form im Juli bei der endgültigen Abstimmung im Plenum des Hauses nicht die notwendige Zustimmung der absoluten Mehrheit finde.

Auch die Bundesregierung hat sich noch nicht dazu entschlossen, in welcher Form der Kompromiss in nationales Recht umgewandelt wird. Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums sagte am Mittwoch, man werde das weitere Vorgehen prüfen. Ausgeschlossen ist dabei nicht, dass in Berlin ein nationales Übernahmegesetz im Bundeskabinett verabschiedet wird. Dies war in der Vergangenheit bereits geplant worden. Das deutsche Übernahmegesetz muss die umstrittene Regelung des EU-Kompromisses allerdings berücksichtigen, wie ein Jurist im Europaparlament erläuterte. Einer Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes zufolge dürfen Unionsländer keine Gesetze erlassen, die im Widerspruch zu einer bereits verabschiedeten, aber noch nicht umgesetzten EU-Richtlinie stehen.

"Die Möglichkeiten sind letztlich beschränkt", glaubt auch DGB-Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer. Der Gewerkschafter hat als Mitglied der von Bundeskanzler Gerhard Schröder einberufenen Übernahmekommission an den Vorschlägen der Wirtschaft für ein deutsches Übernahmegesetz mitgewirkt. Er ist der Ansicht, dass Deutschland trotz der Brüsseler Richtlinie in einem eigenen Gesetz Abwehrmaßnahmen des Vorstands zulassen kann. "Der jetzt gefundene EU-Kompromiss lässt hier einen gewissen Spielraum".

Nun sei die Bundesregierung am Zug. Sie könne beispielsweise per Gesetz die Suche nach einem "weißen Ritter" in Gestalt eines befreundeten Unternehmens erlauben, das eine feindliche Übernahme vereiteln hilft, sagte Putzhammer.

tog

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