zum Hauptinhalt
Beschlagnahmt. So genannte Polenböller sind in Deutschland nicht zugelassen, vor der Nutzung wird gewarnt.

© dpa

EuGH-Urteil: Deutschland darf Böller nicht zusätzlich prüfen

Feuerwerkskörper dürfen in Deutschland nicht zusätzlich geprüft werden. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Werden nun "Polenböller" erlaubt?

Das große Fest beginnt für viele Menschen erst nach Weihnachten: Am 29. Dezember, wenn Böller und Feuerwerkskörper offiziell verkauft werden dürfen. Bisher finden Pyrotechnik-Fans in den Regalen allerdings nur solche Knaller, die von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) zugelassen sind. Doch künftig könnte das Sortiment deutlich erweitert werden – was Pyro-Fans jubeln lässt, bereitet nicht nur der Versicherungswirtschaft Sorgen.

Due EU-Kommission hatte Deutschland verklagt

Grund dafür ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der die Prüfung durch die Bundesanstalt am Mittwoch für europarechtswidrig erklärte. Im EU-Binnenmarkt gelte freier Warenverkehr, dieser werde aber durch den deutschen Sonderweg behindert, befanden die Luxemburger Richter und gaben damit der EU-Kommission recht, die gegen die Bundesrepublik geklagt hatte.

Wegen "möglicher Gefahren für Leib und Leben" gab es bisher einen Sonderweg

So können Böller-Hersteller zwar ihre Ware an allen autorisierten Prüfstellen der EU zulassen. Beispielsweise auch in Spanien, Polen oder Ungarn. Doch in Deutschland gab es bisher immer noch eine zusätzliche Prüfung durch die BAM. Und die ließ nicht immer die in anderen EU-Ländern genehmigten Feuerwerkskörper zu. Wegen möglicher Gefahren für Leib und Leben sei die geltende EU-Richtlinie im Rahmen eines gewissen Spielraums interpretiert worden, sagte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) dem Tagesspiegel. Aber genau diesen Spielraum gibt es laut EuGH eben nicht. Das Urteil bezieht sich allerdings auf eine mittlerweile überholte Richtlinie (2007/23). Ob es auch für die Neufassung gültig ist, bleibt offen.

Kommen jetzt die "Polenböller"?

Wird der Markt aber nun von den so genannten und bisher verbotenen „Polenböllern“ überschwemmt? „Nein“, sagt Klaus Gotzen, Geschäftsführer des Verbands der pyrotechnischen Industrie (VPI). Der Begriff „Polenböller“ wird umgangssprachlich für illegal in den Verkehr gebrachte Feuerwerkskörper verwendet. Sie zeichnen sich beispielsweise dadurch aus, dass sie einen hohen Blitzsatzanteil haben und eine Lautstärke von 120 Dezibel überschreiten. „Solche Böller waren in der Vergangenheit nicht erlaubt und sind es auch nach wie vor nicht“, betonte Gotzen.

Das Bundesinnenministerium erwägt schärfere Kontrollen

Allerdings könnten Verbraucher künftig nicht mehr darauf vertrauen, dass Böller verständlich gekennzeichnet seien, heißt es aus dem Bundesinnenministerium (BMI), das für das Sprengstoffrecht zuständig ist. Mit dem Urteil habe der EuGH die Bedürfnisse des Binnenmarktes vor die Sicherheit der Verbraucher gestellt. Es bestehe die Gefahr, dass nun Produkte auf den deutschen Markt gelangen, die zwar den EU-Vorgaben zur allgemeinen Sicherheit der Pyrotechnik entsprechen, aber keine verständliche Gebrauchsanweisung in deutscher Sprache oder für Deutschland falsche Altersbeschränkungen aufweisen. Deshalb will das BMI nun mit den Bundesländern abstimmen, ob und wie der Markt auch nach dem Urteil stärker überwacht werden kann.

Denn wenn Böller in einem anderen EU-Land geprüft werden, würden die für Deutschland geltende Altersbeschränkung nicht zwingend einbezogen. Auch könne die zuständige Stelle nicht zuverlässig beurteilen, ob die Gebrauchsanweisung in verständlichem Deutsch verfasst ist.

Vier Kategorien für Feuerwerkskörper

Feuerwerkskörper sind hierzulande in vier Kategorien unterteilt. Zur ersten Kategorie gehören beispielsweise Wunderkerzen oder kleinen Fontänen, wie sie für Tischfeuerwerk verwendet werden. Unter die Kategorie zwei fällt das Silvesterfeuerwerk, zur dritten und vierten Kategorie gehören solche Knaller, die nur von ausgebildeten Pyrotechnikern genutzt werden dürfen.

Ein Großteil des Feuerwerks wird in Asien produziert

Oft würden die in Deutschland verkauften Knaller aus China kommen, erklärte Gotzen, dort würden auch viele deutsche Unternehmen produzieren lassen. Die großen deutschen Feuerwerksunternehmen sind Comet, Nico und Weco. Rund 132 Millionen Euro haben die deutschen Hersteller 2015 insgesamt mit Silvesterfeuerwerk umgesetzt – und zwar allein an den drei Tagen, an denen der Verkauf erlaubt ist.

Welche Rolle die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) bei der Kontrolle von Feuerwerkskörpern nach dem EuGH-Urteil spielen wird, muss nun das fürs Sprengstoffrecht zuständige Bundesinnenministerium entscheiden. Eine Sprecherin wollte sich zu den Folgen des Urteils ebenso wenig äußern wie die BAM selbst. „Die deutschen Vorschriften zielen darauf ab, ein hohes Schutzniveau bei dem Umgang mit den gefährlichen Produkten sicherzustellen“, sagte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums. Welche Konsequenzen sich aus dem Urteil ergeben, werde nun geprüft.

Wer illegales Feuerwerk nutze, riskiere „erhebliche Verletzungen“

Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft fordert, dass der Schutzstandard in Deutschland auch künftig nicht abgesenkt werden dürfe. Ob dies eine Folge des Urteils ist, sei noch nicht abzuschätzen. „Wir hoffen aber im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher, dass auch in Zukunft nur von einer qualifizierten, staatlichen Stelle geprüfte Feuerwerksartikel offiziell erworben werden können“, betonte ein Sprecher.

Geprüftes Feuerwerk erkennen Käufer an der Registriernummer und dem CE-Zeichen. Wer illegales Feuerwerk nutze, riskiere „erhebliche Verletzungen“, warnt die BAM auf ihrer Internetseite. In der Vergangenheit kam es bereits zu tödlichen Unfällen.

Kritik an zu laschen Kontrollen im Handel

Marco Finessi, Verkaufsleiter beim Feuerwerks-Hersteller Nico kritisiert jedoch, dass das CE-Siegel allein nicht ausreiche. Teilweise würden auch solche Knaller das Siegel bekommen, bei denen „nicht nicht einmal ein Prüfprotokoll vorliegt“. Die Ware werde im Handel „zu lasch kontrolliert“, ärgert er sich. „Das ist doch so, als wenn ein einmal zugelassenes Auto nie wieder zum Tüv muss“. Entscheidend sei deshalb neben der Prüfung durch die BAM, dass künftig auch im Handel mehr stichprobenartige Kontrollen durchgeführt würden.

Zur Startseite