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Wirtschaft: Euro: Auf das Gefühl kommt es an

Noch 23 Tage. Dann heißt es Abschied nehmen.

Noch 23 Tage. Dann heißt es Abschied nehmen. Es wird ein langer Abschied, zwei Monate wird er dauern. Doch dann, am letzten Februartag 2002, ist es soweit: an diesem Tag wird die D-Mark aus dem Verkehr gezogen. Endgültig.

Ja, so könnte man zum Abschied von der D-Mark einsteigen.

Man könnte auch anders anfangen, zum Beispiel mit Frankreich. Dort wurde 1960 der "ancien Franc" vom "nouveau Franc" abgelöst, über 40 Jahre sind vergangen - das aber hindert eine hartnäckige Minderheit nicht daran, nach wie vor in alten Francs zu rechnen.

Die Umstellung der Währung lässt sich in präzise Zahlen fassen - doch was ist mit der Umstellung im Kopf? Sie führt in die menschliche Psyche.

Zum Thema OnlineSpezial: Der Euro kommt Euro-Countdown: Die Serie im Tagesspiegel Euro-Memory: Passende Euro-Pärchen finden Ted: Der Euro - mehr Vor- oder mehr Nachteile? Was also sagt die Psychologie zum bevorstehenden Münzenwechsel? Werden wir in 40 Jahren noch in D-Mark denken? Oder werden wir den Euro lieben lernen? Und wenn das der Fall sein sollte: wie könnte sich dann die derzeit noch weit verbreitete Europhobie in Europhorie verwandeln?

Das bringt uns zum ersten psychologischen Gesetz.

Desensibilisierung. Manche meinen, es wäre besser gewesen, man hätte mit der Einführung des Euro auch gleich das Bargeld zum Anfassen gehabt. Das Warten hätte nur Ängste geschürt.

In Wirklichkeit hätte ein Team von Psychologen die Einführung nicht besser planen können. Der Fachterminus für die Strategie lautet Desensibilisierung.

Die Technik wird von Psychologen bevorzugt bei Phobien eingesetzt, etwa bei der Spinnenphobie: Zunächst muss die Person nur an Spinnen denken und dabei Ängste abbauen. Erst wenn diese Phase überwunden ist, bekommt der Phobiker eine Spinne zu Gesicht, anfangs eine kleine im Glas mit Deckel, dann ohne Deckel, dann eine große Spinne undsoweiter - bis er sich schließlich traut, die Spinne in die Hand zu nehmen.

Der Vergleich zum Euro: In den 70er Jahren wurde das Projekt angekündigt, als Idee. Mit dem Maastricht-Vertrag nahm die Idee konkrete Formen an. Dann, 1999, kam die Einführung der Währung.

Fehlte nur noch das Bargeld. Erst wurde es aus der Ferne präsentiert, als Entwurf, in der Zeitung, im Fernsehen. Nun, am 17. Dezember, kann man "Starterkits" (Euro-Münzmischungen im Wert von 20 Mark) kaufen - und den Euro in die Hand nehmen. Wie die Spinne.

Reaktanz. Bis zum 28. Februar wird die D-Mark noch akzeptiert - psychologisch gesehen ein genialer Schachzug. Ein zentrales Gesetz der Psychologie, das der Reaktanz, besagt nämlich: Was nicht zu haben ist, wird aufgewertet. Das gilt nicht nur für Männer oder Frauen, die nicht zu haben sind. Das gilt auch für die Mark.

Wir werden aber weniger Reaktanz empfinden, wenn wir uns während einer gewissen Übergangszeit an das Verschwinden der Mark gewöhnen können: Je plötzlicher die Freiheit eingeschränkt wird, um so mehr Reaktanz. Und dennoch: "Anfang Jänner erwarte ich aus Gründen der Reaktanz ein gestiegenes Maß an Euro-Ablehnung", prophezeit die Wiener Wirtschaftspsychologin Katja Meier-Pesti.

Dissonanz. "Der Umkehrschwung könnte etwa im Februar einsetzen", sagt Meier-Pesti. Dann wird die Reaktanz der "Dissonanzreduktion" weichen. Gesetzt den Fall, wir tun einem anderen, eigentlich netten Menschen Unrecht an - wir beschimpfen ihn oder schlagen ihm ins Gesicht. Psychologen sprechen in diesem Fall von "Dissonanz": beides (jemand ins Gesicht schlagen und nett finden) geht nicht zusammen. Die Dissonanz muss verschwinden. Wie? Nun, die Tat kann nicht ungeschehen gemacht werden, die Einstellung hingegen schon. Also ändern wir das "nett" in ein "unsympathisch" - schon hat die Person die Ohrfeige mehr oder weniger verdient.

Gleiches gilt für den Euro. An der Einführung ist nicht zu rütteln, an unserer Einstellung schon: "Wir haben den Euro", so wird man schon bald nach der Einführung argumentieren, "also muss er auch gut sein." Wilde Spekulation? Offenbar nicht, wie eine Studie von Sozialpsychologen der Universität München zeigt. Sie teilten 80 Versuchspersonen in zwei Gruppen: In der einen Gruppe überzeugte man die Probanden davon, dass der Euro mit Sicherheit eingeführt würde. Der anderen Gruppe machte man klar, die Einführung sei noch ziemlich unsicher. Anschließend ließ man die Probanden den Euro bewerten. Das Resultat: Personen, denen man vermittelt hatte, der Euro würde die Mark ganz sicher ablösen, bewerteten den Euro positiver als die anderen.

Der Urlaubseffekt. Manche sagen sogar den "Urlaubseffekt" voraus: Jeder, der einmal in einem fremden Land mit fremder Währung war, kennt das fatale Gefühl, eigentlich "nur Spielgeld" auszugeben. Entsprechend fällt der Konsumrausch aus. Die Ernüchterung folgt freilich auf dem Fuß, spätestens beim Blick auf den Kontoauszug daheim - deshalb dürfte der Urlaubseffekt beim Euro eher kurzfristig ausfallen.

Andererseits trägt zur Europhorie bei, dass wir schon seit Jahren auf den Euro warten - schon allein von der Warterei erlöst zu werden, gibt Anlass zur Freude. Außerdem kommt es zum "USA-Urlaubseffekt": alles kostet scheinbar nur noch die Hälfte. (Andererseits "halbiert" sich auch unser Einkommen - die Kehrseite der Medaille.)

Angst. Dissonanztheorie und Urlaubseffekt sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade den Deutschen der Abschied von ihrer Währung schwer fällt. Außer den Briten und Skandinaviern steht kein einziges Volk dem Euro so negativ gegenüber wie wir. Den Grund sieht man in unserer Unfähigkeit, Stolz auf Deutschland zu sein, weshalb wir auf die D-Mark ausweichen. Was also tun, wenn gerade sie eingestampft wird?

Flucht in Symbolik. Herkömmliche Münzsammlungen sind denkbar. Aber auch D-Mark-Krawattennadeln, -manschettenknöpfe und -anhänger ermöglichen eine Flucht in die Symbolik. Am Material mangelt es nicht. Die Schmiedebranche darf mit einem lukrativen Weihnachtsgeschäft rechnen.

Sensibilisierung. Mit der Desensibilisierung hatte alles begonnen - eine Sensibilisierung könnte die Folge des Währungswechsels sein. Einkaufen wird ein bewusster Prozess: Sobald der Urlaubseffekt verflogen ist, gucken wir wieder genauer auf die neuen Preise. Begünstigt wird das anfangs durch noch nicht gerundete Zahlen. Bei 9 Mark 99 stutzt keiner, aber bei 5 Euro und 11 Cents?

Schlussfrage: Wird in 40 Jahren noch irgendwer in D-Mark rechnen? Wie schwierig wird der Lernprozess? Wie lange wird er dauern? "Keiner weiß es", sagt der Berliner Gedächtnisforscher Randolf Menzel. Es hänge vor allem von einem ab: dem Gefühl. Lehnt man den Euro ab, wird man womöglich nie lernen, mit ihm umzugehen. Je mehr man ihn mag, um so leichter wird einem auch das Umrechnen fallen. Irgendwann muss man gar nicht mehr bewusst rechnen. Bis zum nächsten Währungswechsel.

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