zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Europas Börsen bleiben gelassen

Londoner Anschläge bringen keinen Abschwung – senken aber langfristig den Wohlstand, warnen Experten

Berlin - Einen Tag nach den Anschlägen in Großbritannien hat sich die Lage an den internationalen Finanz- und Rohstoffmärkten wieder beruhigt. Der deutsche Aktienindex Dax verzeichnete bis zum Nachmittag ein Plus von 1,5 Prozent und erreichte 4597 Punkte. Wirtschaftsexperten befürchten keinen bevorstehenden Abschwung, warnten jedoch vor den langfristigen Folgen des Terrorismus für Konjunktur und Wohlstand.

Nach der Nachricht von den Bombenexplosionen waren die großen europäischen Indizes am Donnerstag zunächst um bis zu vier Prozent gefallen. Nachdem klar geworden war, dass die Auswirkungen der Attacken begrenzt sein würden, hatten sich die Märkte wieder beruhigt. Die Erholung setzte sich am Freitag fort – der britische Aktienindex FTSE 100 gewann 1,4 Prozent, das französische Börsenbarometer CAC 40 fast 1,9 Prozent. Erdöl, das am Donnerstag billiger geworden war, verteuerte sich auf bis zu 61,35 Dollar – dafür war die Angst vor einem Sturm in der Karibik verantwortlich.

Ökonomen erklärten die Gelassenheit der Märkte mit einem Gewöhnungseffekt. „Die Terrorangst ist seit langem eingepreist – die Märkte haben gelernt, damit zu leben“, sagte Michael Hüther, Chefökonom des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Zumal die realwirtschaftlichen Folgen überschaubar seien, sagte Rolf Schneider, Leiter Volkswirtschaft bei der Allianz. „Der Londoner Anschlag ist mit dem in Madrid vergleichbar – auch danach hat die Konjunktur kaum gelitten.“ Damals, im März 2004, hatte sich zwar das Konsumentenvertrauen in Spanien kurz abgeschwächt, das Bruttoinlandsprodukt war 2004 dennoch um 3,1 Prozent gewachsen. Auch die britische Wirtschaft befinde sich derzeit in einer robusten Verfassung, findet Schneider.

Überdies habe der Anschlag auf das New Yorker World Trade Center viel weitreichendere Folgen gehabt. „Der 11. September 2001 hat die weltpolitische Lage viel stärker verändert und zu den Kriegen im Irak und in Afghanistan geführt“, sagte Schneider. Der Anschlag hatte die US-Wirtschaft in einer ohnehin schwierigen Lage getroffen. Fluggesellschaften, Reiseveranstalter, Gastronomen und die Finanzindustrie mussten in der Folge herbe Einbußen hinnehmen, die US-Wirtschaftsleistung schrumpfte im dritten Quartal 2001 um 1,4 Prozent. Zwar erholte sie sich rasch wieder – seitdem geben Staat und Privatwirtschaft aber Milliarden für die Sicherheit aus. „Das sind äußerst unproduktive Investitionen“, urteilt Willi Leibfritz, Ökonom bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris. „Sie gehen auf Kosten der gesamtwirtschaftlichen Effizienz und schmälern den Lebensstandard.“

Damit ist die Weltwirtschaft indes nicht gegen den Terror gefeit. „Ein koordinierter Anschlag an mehreren Orten hätte eine neue Dimension und würde Realwirtschaft und Märkte psychologisch sehr hart treffen“, warnt IW-Mann Hüther. Die deutschen Unternehmen wären darauf schlecht vorbereitet: Einer neuen OECD-Studie zufolge haben nur drei von hundert Betrieben eine Terrorversicherung beim deutschen Spezialversicherer Extremus abgeschlossen. „Die ökonomischen und sozialen Folgen eines Mega-Anschlags wären größer als 2001“, heißt es in dem Papier. In den USA war Ende 2004 die Hälfte der Firmen versichert.

Derweil hat die Bundesregierung die Haftungsgarantien für Extremus am Freitag verlängert. Eigentlich hatten sie 2007 auslaufen sollen. Extremus haftet für Gesamtschäden in Höhe von maximal zwei Milliarden Euro, der Bund übernimmt die Deckung für weitere acht Milliarden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false