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1785 Euro im Monat brutto: Thomas Middelhoffs neuer Job.

© dpa

Ex-Arcandor-Chef: Thomas Middelhoff arbeitet jetzt in einer Behindertenwerkstatt

Früher hat Thomas Middelhoff Millionen verdient, jetzt sind es 1785 Euro brutto. Am Montag tritt er einen neuen Job an - in Bielefeld-Bethel. Der einstige Top-Manager hat einen guten Grund.

Den Helikopter wird Thomas Middelhoff nicht brauchen, wenn er an diesem Montag seinen neuen Job antritt. Die Bodelschwinghsche Stiftung Bethel hat ihren Sitz in Bielefeld, dem Ort, an dem Middelhoff mit seiner Familie lebt.

Doch trotz der geographischen Nähe ist es eine fremde Welt, in die „Big T“ eintauchen wird. Der Ex-Topmanager, der Konzerne wie Bertelsmann und die Karstadt-Mutter Arcandor geleitet hat, der Millionen verdient und verprasst hat, der in der Mitte der Gesellschaft stand, trifft nun auf die am Rand. In Bethel kümmert man sich um Menschen mit Behinderungen, um Epileptiker und Autisten, um Menschen, die in sozialen Schwierigkeiten stecken, um Alte und Sterbende. Therapieangebote gibt es dort und Rehamaßnahmen, sowohl ambulant als auch stationär.

Wie passt einer wie Middelhoff da hinein? Nach Angaben der Stiftung hat der 62-Jährige von sich aus angeklopft und gefragt, ob er in Bethel arbeiten kann – sozialversicherungspflichtig, mit allem Drum und Dran. Als Hilfskraft für die Betreuer und als Assistent für die dort beschäftigten Menschen wird der Mann nun in der Behindertenwerkstatt eingesetzt, zu seinen Aufgaben gehören Hilfsarbeiten, Materialtransport, Hauswirtschaft sowie Botendienste. Der Lohn: 1785 Euro brutto. Behalten wird der prominente Jobber davon allerdings keinen Cent. Das Geld geht komplett an den Insolvenzverwalter. Vor gut einem Jahr hatte Middelhoff Privatinsolvenz anmelden müssen, seine Gläubiger wollen einen dreistelligen Millionenbetrag.

Der tiefe Fall von "Big T"

Vermögen weg, Ansehen weg, Stellung weg, der Gang ins Gefängnis steht bevor. Im November 2014 war Middelhoff vom Landgericht Essen wegen Untreue und Steuerhinterziehung zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Der Vorwurf: Einen Teil seines luxuriösen Lebenswandels mit teuren Reisen, der 23-Millionen-Euro-Villa in Saint Tropez und der 33 Meter langen Yacht soll sich Middelhoff verbotenerweise von Arcandor finanziert haben lassen.

Klar ist: Maß halten war sein Ding nicht. 28 Mal soll Middelhoff nach Recherchen der Staatsanwaltschaft von Bielefeld nach Essen zur Arcandor-Zentrale mit dem Hubschrauber geflogen sein, um nicht mit dem Auto im Stau auf der Autobahn festzusitzen. „Wie durch Zauberhand kam ich plötzlich pünktlich an“, erzählte der Vielflieger freimütig im Prozess. Allerdings um den Preis, dass die Firmenkasse allein durch den Heli-Shuttle um über 80.000 Euro leerer wurde. Dass Arcandor pleite ging, dürfte auch dem Chef geschuldet sein.

Muss Middelhoff am Freitag in Haft?

Das Urteil ist rechtskräftig. Nach Angaben seines Anwalts Hartmut Fromm soll Middelhoff seine Haft an diesem Freitag antreten, es sei denn, die Anwälte erwirken in letzter Minute noch einen Aufschub. Falls nicht, muss ihr Mandant mindestens ein Jahr in Haft verbüßen, die Zeit der Untersuchungshaft ist bereits eingerechnet.

Doch Haft ist nichts für den einstigen Top-Manager. In der U-Haft soll Middelhoff an einer Autoimmunkrankheit erkrankt sein, die ihn noch heute quält. Der Job in Bethel könnte nun ein Ausweg sein. „Ein solches Anstellungsverhältnis würde ihm unter Umständen den Haftvollzug als Freigänger ermöglichen“, erklärt die Stiftung.

Als Freigänger im offenen Vollzug müsste Middelhoff zwar die Nächte im Gefängnis verbringen, könnte tagsüber aber in Bethel arbeiten. Und der fünffache Familienvater hätte die Aussicht, früher oder später am Wochenende auch mal Langzeitausgang von Samstagmorgen bis Sonntagabend zu erhalten. Ungewöhnlich wäre das nicht. Nach Angaben des Justizministeriums verbüßt in Nordrhein-Westfalen fast jeder vierte Häftling seine Strafe im offenen Vollzug.

Der Mann für kreative Lösungen

Es wäre nicht das erste Mal, dass Middelhoff einen kreativen Ausweg aus einer Misere fände. Als der Manager im Juli 2014 dem Gerichtsvollzieher in Essen seine Vermögensverhältnisse offen legen musste, entkam er den wartenden Fotografen und Journalisten mit einem beherzten Sprung aus dem Fenster des Landgerichts.

„Ich bin wie die Katze auf dem Dach“, hatte der damals immerhin schon 61-Jährige mit seiner sportlichen Leistung geprahlt. „Ich musste drei Meter tief auf eine Garage springen und dann noch einmal drei Meter auf die Straße.“ Ein filmreifer Stunt, den mal wohl tatsächlich irgendwann im Film sehen kann. Der Kölner TV-Produzent Michael Souvignier will Middelhoffs Lebenslauf verfilmen und noch in diesem Jahr mit den Dreharbeiten beginnen, sagte der Kölner Produzent dem „Spiegel“.

Keine Frage: Das Interesse an dem Mann und seinem Lebenswandel ist groß. So groß, dass Menschen auch bereit sind, für Objekte aus Middelhoffs Umfeld gutes Geld zu zahlen. Die Piaget-Uhr, die eine Gerichtsvollzieherin während des Untreue-Prozesses im Gerichtssaal gepfändet hatte, brachte 10.350,99 Euro, obwohl der Zeitmesser nur einen Wert von 2800 Euro hatte. Die Gläubiger von Middelhoff freut das. Sie begrüßen jeden Euro, der zusätzlich in die Insolvenzmasse fließt. Seit 15 Monaten versucht Insolvenzverwalter Thorsten Fuest, sich einen Überblick über die Vermögensverhältnisse zu verschaffen. Er sucht nach Geld, das noch da ist und nach solchem, das noch da sein sollte.

Nicht nur Kalkül, sagt der Anwalt

Middelhoff ist kreativ. Doch was den neuen Job angeht, so soll hinter dem Engagement nicht nur Haft-Strategie stecken, sagt Anwalt Fromm. „Herr Middelhoff freut sich auf seine neuen Aufgaben im sozialen Bereich“, sagt der Jurist. „Soweit möglich“ wolle er diese selbst dann wahrnehmen, wenn ihm Haftunfähigkeit bescheinigt werde.

Bethel könnte Hilfe gebrauchen. Die Einrichtung wurde 1876 für epilepsiekranke Kinder und Jugendliche gegründet, fünf Jahre später übernahm Pastor Friedrich von Bodelschwingh die Leitung und baute die Bielefelder Anstalt aus. Heute gehören zu den Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel vier verschiedene Stiftungen, in denen 17.500 Menschen arbeiten – auch in Berlin. So betreibt die Hoffnungstaler Stiftung Lobetal, die zum Verbund gehört, an der Spree ein Pflegeheim, ein Hospiz und bildet junge Leute zu Altenpflegern und Erziehern aus. (mit dpa)

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