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Wirtschaft: Experten kritisieren Gesundheitspolitik

Neue Finanzierungsquellen sollen die Defizite der Krankenkassen verringern und die Beschäftigten entlasten

Berlin (brö). Die Sparpolitik von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) stößt bei Wirtschaftsforschern auf heftige Kritik. „Die hektischen Kürzungsbemühungen der rotgrünen Regierung werden die Finanznot der gesetzlichen Krankenversicherung nur für wenige Monate lindern“, sagte der Duisburger Gesundheitsökonom Dieter Cassel dem Tagesspiegel. Um die Krankenkassen auf Dauer zu sanieren, müssten die Einnahmen steigen. „Das funktioniert nur mit einer breiteren Bemessungsgrundlage, indem man etwa Einkünfte aus Vermietung und Kapitalanlagen einbezieht“, schlug Cassel vor. Auch der Chefökonom der Allgemeinen Ortskrankenkassen, Klaus Jacobs, sprach sich für eine solche Reform aus. „Die Gesundheitsausgaben dürfen nicht allein den abhängig Beschäftigten aufgebürdet werden“, sagte er.

Hintergrund der Kritik ist das Finanzloch von mindestens 1,5 Milliarden Euro, das die Krankenkassen in diesem Jahr befürchten. Die Geldnot wird nach Expertenmeinung dazu führen, dass der durchschnittliche Beitragssatz der 336 Krankenkassen von heute rund 14 Prozent auf bis zu 14,7 Prozent des Lohns klettert. Das würde die Arbeitskosten weiter erhöhen, den Konsum belasten und damit die Konjunkturprobleme in Deutschland noch verschärfen.

Beitragsausfälle sind programmiert

Um weitere Beitragsrunden zu vermeiden, will Gesundheitsministerin Schmidt bei Arzneimitteln, Großhändlern, Apotheken sowie Heil und Hilfsmitteln im kommenden Jahr 1,4 Milliarden Euro sparen. Diese Summe wird aber kaum ausreichen, um die Finanzlage der Kassen zu stabilisieren. Der Grund: Die geplanten Steuer- und Arbeitsmarktreformen von SPD und Grünen werden zu Beitragsausfällen führen, die die Krankenkassen auf 1,5 Milliarden Euro beziffern. Einschnitte bei den Leistungen oder höhere Zuzahlungen für die Patienten lehnt Ministerin Schmidt ab. Auf Details der neuen Sparbeschlüsse will sich die Koalition in den kommenden Tagen einigen. Die Grünen bezweifeln aber, dass das Sparpaket bereits zum Jahreswechsel in Kraft treten kann.

Gesundheitsexperten prophezeien indes keine Linderung durch neue Sparbeschlüsse. Nötig seien tief greifende Strukturreformen. „Durch die anhaltende hohe Arbeitslosigkeit fehlen auf Dauer enorme Summen auf der Einnahmeseite“, analysiert Wissenschaftler Cassel. Hinzu komme der Beitragsdruck durch den medizinischen Fortschritt und die Alterung der Bevölkerung. „Bleiben die Kassen-Beiträge weiterhin allein an das Arbeitseinkommen gekoppelt, werden die Beiträge in den kommenden Jahren munter ansteigen. 2040 sind wir dann bei einem Satz von mindestens 30 Prozent“, prognostiziert er.

Verschwendung beseitigen

Als Ausweg schlägt Cassel eine weit gehende Reform bei der Finanzierung des Kassen-Systems vor. „Eine Einbeziehung von Mieten und Kapitalerträgen wäre auf Dauer gerechter“, sagte er. Außerdem solle die Regierung die kostenlose Mitversicherung von Familienmitgliedern abschaffen und die Rentner stärker belasten. „Die profitieren vom jetzigen Solidarsystem am stärksten“, so Cassel.

Auch der Bonner Gesundheitsexperte Klaus Jacobs, Chef des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, unterstützt diese Idee. „Mit einer solchen Finanzreform wäre die Krankenversicherung weniger anfällig gegenüber Konjunkturschwankungen und Arbeitsmarktproblemen“, sagt er. Daneben müsse das System der Gesundheitsversorgung aber weiter reformiert werden. „Das hohe Maß an Verschwendung muss beseitigt werden“, fordert er. Sein Kollege Cassel wies auf die hohen Einsparpotenziale bei der Arzneimittelversorgung hin. „Mehr Wettbewerb unter Apothekern könnte die Preise enorm senken, außerdem müssen nicht wirksame Medikamente von der Erstattung durch die Kassen ausgeschlossen werden“, sagt Cassel.

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