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Wirtschaft: Expertenrat und Rechtshilfe am Telefon

Manchmal kommt alles zusammen.Der Computer streikt, der Drucker spuckt, und die Installation des neuen CD-Rom-Laufwerks ist gänzlich fehlgeschlagen.

Manchmal kommt alles zusammen.Der Computer streikt, der Drucker spuckt, und die Installation des neuen CD-Rom-Laufwerks ist gänzlich fehlgeschlagen.Die Festplatte ist bei dem Versuch komplett abgestürzt.Der Computer piepst nur noch kläglich, doch das rettende Handbuch ist auf Englisch, und die Hersteller-Helpline sitzt irgendwo in den Niederlanden.Da ist guter Rat im wahrsten Sinne des Wortes teuer.Markus Semm hat eine Lösung für dieses Problem.Der 39jährige Schwabe gründete vor zwei Jahren die Firma Infogenie in Berlin.Sie gibt telefonische Hilfe bei technischen Fragen rund um den PC.Wenn es sein muß auch spät nachts.

Die Computerhotline war der erste Dienst von Infogenie und startete im Herbst 1997."Durch den extremen Preisverfall im PC-Markt Anfang der 90er Jahre konnten die Hersteller ihre Ausgaben für den Support nicht mehr im Produktpreis verstecken", erklärt der Gründer.Gleichzeitig öffneten sich immer mehr die Vertriebskanäle über den Großhandel.Die Konsequenz war ein schlechterer Service.Hier setzt die Geschäftsidee von Semm an.Für 3,63 DM pro Minute, der üblichen Gebühr bei 0190-Nummern der Telekom, können die Anrufer den Expertenrat zu Windows, Macintosh und OS/2 abrufen.Ein Gespräch dauert im Schnitt fünf bis sieben Minuten und kostet damit etwa 20 DM.Das Angebot schlug ein.Die Ratgeberhotline zählt inzwischen Tausende von Anrufern.Und jeden Monat wächst ihre Zahl um 26 Prozent, kann Semm stolz berichten.

Nachdem der Computer-Beratungsdienst gut lief, war für Semm klar, daß "die Zeit reif ist für Dienstleistungen am Telefon".Er überlegte, wo eine ähnliche Verbindung zwischen Ratsuchenden und Spezialisten hergestellt werden könnte und stieß mit zwei weiteren Technik-Hotlines in neue Geschäftsfelder vor: Einer Hotline für TV-Fragen und einer Rufnummer, die Auskunft gibt über den jeweils günstigsten Telefontarif.Vor kurzem kam auch noch ein Internet-Suchdienst für Jobs hinzu.

Das Flaggschiff von Infogenie aber ist die Rechtsberatung am Telefon.Die 60 Anwälte, die das Unternehmen unter Vertrag hat, "reichen gerade", um die Telefonate abzuarbeiten.Die Hälfte der Juristen sitzt in Berlin, der Rest ist über das gesamte Bundesgebiet verteilt.Der Anrufer wird dabei direkt mit einem Anwalt verbunden und kann Fragen zu zehn verschiedenen Rechtsbereichen, vom Arbeits- über Miet- bis zum Scheidungsrecht, stellen.Langfristig sollen etwa 300 Juristen im Schichtdienst am Telefon erreichbar sein, plant Semm.Mit der Rechts-Hotline wagte sich der Unternehmer erstmals in den Bereich der "standesrechtlich reglementierten" Dienste vor.Entsprechend war auch die Reaktion der Branche: Die Eröffnung der Hotline im Januar dieses Jahres löste einen Sturm der Entrüstung aus."Eine Rechtsberatung für 3,60 DM, das ist absolutes Dumping", empörten sich die Anwälte.Mehr als 20 Mal wurde Infogenie bis heute aufgefordert, den Dienst einzustellen.Fünf Prozesse hat das Unternehmen bisher überstanden.Die fünfte Verhandlung vor dem Landgericht München brachte dem Beratungsdienst das vorläufige Aus.Von Mai bis Juni standen die Rechts-Telefone still.Inzwischen läuft die Hotline aber wieder.Semm lässt sich nicht entmutigen und denkt bereits weiter: Ein Auskunftsdienst zum Thema Gesundheit und eine Steuer-Hotline - zwei heikle Bereiche - sind bereits geplant.Der Gründer ist sich der drohenden Prozesswelle durch Ärztekammer und Steuerberater wohl bewußt: "Wir werden Druck kriegen, doch wir haben Rückstellungen gebildet".Auch sonst geht der Ingenieur gerne im Alleingang.Stichwort Förderung: Ein Finanzierungsprojekt mit der IBB hat er abgebrochen, weil er "14 Monate auf eine Entscheidung und auf sein Geld gewartet hatte".Bei der Wirtschaftsförderungs GmbH stieß sein Konzept nur anfänglich auf Zustimmung.

"Die haben eine Riesenwelle gemacht", erinnert sich Semm.Doch Kapital für sein Call-Center bekam er nicht.Woran das liegt? Das Förderprogramm unterstützt vor allem Investitionsgüter und das ist "das einzige, was wir nicht brauchen", ist Semm überzeugt.Er zog inzwischen die Konsequenz und hat privat etwa 400 000 DM in das Geschäft investiert.

Obwohl durch den Rechtsstreit zurückgeworfen, schreibt das Unternehmen schwarze Zahlen.Für 1998 erwartet Semm einen Umsatz von einer bis zwei Mill.DM, für 1999 bereits fünf Mill.DM.Wachsen will Infogenie künftig vor allem im Ausland.So wurde die Computer-Hotline bereits erfolgreich nach England exportiert.Zum Jahresende ist für die tierlieben Briten eine "Pet"-Hotline geplant.Semm denkt global.Sein nächstes Ziel ist Brasilien."Dort haben wir eine Riesenchance", schätzt er den aufnahmebereiten Markt ein.

Insgesamt dirigiert Semm zusammen mit sechs festen Mitarbeitern von Berlin aus etwa 200 Hotliner.Zehn Dienstleister pflegen für ihn die Datenbanken und organisieren die Schichtpläne der Telefon-Experten.Semms Geheimrezept für den Vertrieb: Während die Konkurrenten lediglich versuchten, durch Anzeigen auf sich aufmerksam zu machen, ging Semm in die Offensive.Er schloß Verträge mit etwa 40 Verlagen in Deutschland.Fachzeitschriften, Zeitungen und bunte Titel verkaufen den Dienst mittlerweile unter ihrem Namen an die Leser.Die Gebühren gehen an Infogenie.

FRIEDERIKE STORZ

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