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Geballtes Wissen. 2015 könnten in Berlin und Brandenburg 273 000 Fachkräfte fehlen, sagt eine Studie. Foto: picture-alliance/dpa

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Fachkräftemangel: "Deutschland hat ein Wettbewerbsproblem"

In Berlin mangelt es an Fachkräften. Drei Spezialisten aus dem Ausland berichten über ihre Schwierigkeiten.

Berlin - Boran Uzun spricht fließend Deutsch, in das er immer wieder Fetzen von Business-Englisch einstreut. Wenn man den 34-Jährigen fragt, wo er die Sprache so gut gelernt habe, antwortet er lächelnd: „Auf dem Gymnasium in Istanbul.“ Uzuns Schule, eine von 16 deutschen Schulen in der Türkei, erhielt im vergangenen Jahr 380 000 Euro Förderung von der Bundesregierung. Laut Auswärtigem Amt hat diese finanzielle Hilfe nicht den Zweck, türkische Arbeitnehmer für den deutschen Arbeitsmarkt auszubilden, dies sei vielmehr ein „Nebeneffekt“.

Ein Resultat dieses „Nebeneffekts“ ist Uzuns Karriere. Der studierte Elektronikingenieur, der heute als Bereichsleiter für Logistik bei Procter & Gamble in Berlin arbeitet, zählt zu den hochqualifizierten Arbeitnehmern, die der deutschen Wirtschaft nach Meinung von Experten dringend fehlen. Am vergangenen Mittwoch forderte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, den Zuzug von 500 000 Zuwanderern pro Jahr.

Auch die Region Berlin-Brandenburg ist massiv vom Fachkräftemangel betroffen. Laut einer Studie der Prognos AG werden dort schon 2015 273 000 Fachkräfte fehlen, im Jahr 2020 bereits 362 000. Besonders in den sogenannten MINT-Berufen – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – mangelt es laut Prognos an Nachwuchs. Klaus Bade, Vorsitzender des Sachverständigenrats Migration, glaubt, dass sich die Lücke ohne Arbeitskräfte von außen nicht schließen lässt. „Wir können uns nicht der Illusion hingeben, dass die Zahl von benötigten Fachkräften nur durch Qualifikation im Innern erreichbar ist“, sagte Bade dem Tagesspiegel.

Für Boran Uzun ist Deutschland ein attraktives Land für ausländische Arbeitnehmer. Diese stießen jedoch oft auf Hürden. Er fragt sich: „Warum gibt die deutsche Regierung so viel Geld für die klügsten Kinder in der Türkei aus, aber macht es uns dann so schwer, hierherzukommen?“ Seiner Meinung nach sollte die Regierung die bürokratischen Hürden abbauen und besser mit Firmen zusammenarbeiten. Besondern stört ihn, dass seine Frau in Deutschland weder arbeiten noch studieren darf.

Ähnlich sieht es auch Leonardo Alves-Junior. Der ebenfalls 34-jährige Biologe aus Brasilien, der seit acht Monaten in Steglitz lebt und für BASF Pflanzengene erforscht, findet es absurd, dass seine Frau, eine Lehrerin, ihren Beruf nicht ausüben darf. Besonders, da in der Region doch angeblich Lehrermangel herrsche. In England, wo Alves und seine Frau vorher für eineinhalb Jahre lebten, habe sie dagegen arbeiten können. Zudem sei es für Spezialisten einfacher, in Länder wie England, Kanada und die USA zu gehen, weil sie dort in der Regel bereits die Sprache beherrschten. „Deutschland hat da ein echtes Wettbewerbsproblem.“

Für Rahim Safi ließe sich dieses Problem durch die Einführung eines Punktesystems für arbeitssuchende Zuwanderer, wie es zum Beispiel in Kanada oder Australien existiert, lösen. Es würde Hochqualifizierten eine unbürokratische Einwanderung ermöglichen. Der promovierte Chemiker, der unter anderem als Projektmanager für die BPI Service GmbH, ein Unternehmen für Beratung und Marketing im Gesundheitswesen, tätig ist, hatte Glück im Unglück, als er 1994 vor dem Bürgerkrieg in Afghanistan nach Deutschland floh: Sein in Sankt Petersburg absolviertes Studium wurde von den Behörden anerkannt. Im Bekanntenkreis des 49-Jährigen, der heute mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Moabit wohnt, befinden sich jedoch einige taxifahrende Ingenieure und Ärzte. Safi plädiert deshalb für eine problemlosere Anerkennung ausländischer Studienabschlüsse. Aus dem Bundesinnenministerium heißt es dazu, den Arbeitgebern stünden genügend Möglichkeiten zur Verfügung, an ausländische Fachkräfte zu kommen. Die Einführung eines Punktesystems lehnt das Ministerium ab.

Trotz aller Hindernisse bleibt Berlin grundsätzlich ein attraktiver Standort für die drei Spezialisten aus dem Ausland. Alves liebt es, die Stadt mit dem Rad zu erkunden, Uzun lobt das Nachtleben. Und über eines ist er sich mit Rahim Safi einig: Hier sei es so schön „multikulti“.

Stephanie Kirchner

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