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Zu Tisch. Im Gastgewerbe sind Mitarbeiter gesucht. Ihre Chancen, gute Arbeitsbedingungen auszuhandeln, sind so gut wie nie.

© picture alliance / dpa

Fachkräftemangel: Die Unverzichtbaren

Berliner Unternehmen müssen sich etwas einfallen lassen, um ihre Experten zu halten – oder neue zu werben. Wie Mitarbeiter und Bewerber davon profitieren

Wie der Fachkräftemangel den Arbeitsmarkt verändert, das wurde Mareen Koch, der Geschäftsführerin von Koch Sanitätshaus in Berlin, vor einem halben Jahr einmal wieder deutlich vor Augen geführt. Eine Headhunter-Firma hat gleich fünf der insgesamt 45 Mitarbeiter ihres Unternehmens per E-Mail angeschrieben, um sie abzuwerben.

Orthopädische Schuhtechniker, orthopädische Mechaniker, Einzelhandelskaufleute im Sanitätsfachhandel – bei den Berufsbildern in ihrem Fach handelt es sich um „sehr spezialisierte Berufe, die wenig bekannt“ sind, sagt Koch. Zwischen den sieben größeren Berliner Unternehmen herrsche hohe Konkurrenz, seit rund zwei Jahren gehe es dabei auch um die Mitarbeiter.

Die Sanitätsfachbranche ist nur eine von vielen in Berlin, in denen langsam die Fachkräfte rar werden. Nach dem Fachkräftemonitor der Industrie- und Handelskammer (IHK) fehlen der Berliner Wirtschaft bis 2015 im Schnitt rund 49 000 Fachkräfte pro Jahr. Neben der Dienstleistungswirtschaft sind besonders das Gastgewerbe und die Informations- und Kommunikationswirtschaft betroffen. Bis zum Jahr 2015 könnten außerdem etwa 1600 Informatiker und zirka 3200 Wirtschaftswissenschaftlern fehlen. Eine kürzlich erschienene Studie der Universität Rostock belegt einmal mehr, dass es deutschlandweit erhebliche Engpässe in Berufen wie Elektroingenieur, Krankenschwester, Dreher und Fräser gibt, die sich in Zukunft noch verstärken werden.

Die IHK und die Handelskammer Berlin machen das Problem Ende November unter dem Titel „Unternehmen als die neuen Bewerber“ zum Thema einer Konferenz. Auf der Arbeitgeberseite bewegt sich also einiges – und auch auf der Seite der Beschäftigten. Der Fachkräftemangel bringt Mitarbeiter und Bewerber in eine stärkere Position. Denn sind qualifizierte Mitarbeiter rar, ist der Anreiz der Arbeitgeber größer, auf ihre Bedürfnisse und Forderungen einzugehen.

Und davon könnten auch Jobsuchende etwas haben, die derzeit weniger leicht eine Stelle finden. Laut einer Befragung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales beschäftigen Unternehmen seltener als es möglich wäre Mitarbeiter über 55 Jahren oder Jugendliche ohne ausreichenden Schulabschluss. Und in nur jedem zweiten deutschen Unternehmen arbeiten auch Menschen mit Migrationshintergrund. In Zukunft könnten die Betriebe jedoch auf sie angewiesen sein.

Arbeitgeber, die Mitarbeiter finden und halten wollen, beginnen inzwischen, einiges zu bieten. So beobachtet man etwa bei dem Online-Karriereportal Stepstone.de, dass sich Unternehmen stärker um ihr Bild als attraktive Arbeitgeber bemühen. Dazu gehört laut Sacha Knorr, Marketing-Leiter von Stepstone.de, dass in Stellenausschreibungen möglichst präzise auf eventuelle Bedürfnisse von Bewerbern eingegangen wird. So würden Zusatzleistungen und „weiche Faktoren“ wie Kinderbetreuung oder Sportkurse in das Arbeitgeberprofil mit aufgenommen.

Beschäftigte als auch Berufseinsteiger sind gut beraten, sich über den Arbeitsmarkt und speziell die Bedingungen ihres Fachgebietes zu informieren. „Wer genau weiß, dass er mit einem Handgriff zu ersetzen wäre, geht oft gebückt durch das Arbeitsleben“, sagt Buchautor und Karriereberater Martin Wehrle aus Appel bei Hamburg. Zu wissen, dass man schwer ersetzbar sei, könne hingegen zu einem selbstbewussten Standpunkt verhelfen. Das nützt bei Gehaltsverhandlungen, weil Arbeitgeber ein größeres Interesse daran haben, qualifizierte Mitarbeiter zu halten – auch wenn es mehr Geld kostet. Es erleichtert aber auch Alltagsverhandlungen: „Eine Krankenschwester, die eine Zusatzschicht ablehnt, spielt dadurch nicht mit ihrem Arbeitsplatz“, so Wehrle. „Im Gegenteil, sie erwirbt sich Respekt.“

Dennoch sollte man die Berufswahl nicht am Fachkräftemangel ausrichten, rät Wehrle. Die verwaisten Berufe von heute seien die überlaufenen Berufe von morgen. Wird für ein Berufsfeld Fachkräftemangel ausgerufen, so Wehrle, ergreifen viele diesen Beruf. Das führe dann zum Überangebot. Neue Technologien könnten aber, wenig vorhersehbar, ganze Berufsbilder innerhalb weniger Jahre komplett verändern.

Im Sanitätshandel gibt es nicht viel Geld zu verteilen, um Mitarbeiter durch überdurchschnittlich hohe Einkommen zu locken. Nur mit finanziellen Anreizen hält man Mitarbeiter nicht langfristig im Unternehmen, ist Marleen Koch überzeugt. Sie hat als Antwort auf den Fachkräftemangel deshalb viel an ihrem Verständnis als Arbeitgeberin geändert. Sie sieht sich als Bewerberin, die zukünftigen Mitarbeitern ein attraktives Angebot machen muss. Sie ist auf Messen unterwegs und in Kontakt mit Schulen, um Azubis zu finden. Und sie bemühe sich um gute Arbeitsbedingungen, sagt sie.

Gerade weil ihre Fachkräfte rar sind, achtet sie auf einen hohen Personalschlüssel, damit auch Fehlzeiten durch Krankheit der Mitarbeiter oder deren Kinder aufgefangen werden können, ohne das ganze Team zu belasten. Das nehme Druck vom Einzelnen. Die Mitarbeiter führen eigenverantwortlich ein Arbeitszeitkonto. Auch um die Kommunikation und Entwicklung bemüht sie sich stärker als früher. Ob Fortbildung, Spezialisierung oder Weiterentwicklung in einem anderen Fachbereich des Unternehmens – wer konkrete Forderungen an sie habe, dem komme sie so weit wie möglich entgegen. „Keiner wird auf seinem Platz festgehalten“, so Koch.

Das letztlich alle fünf Mitarbeiter, die der Headhunter abwerben wollte, von sich aus zu ihr kamen und schließlich im Unternehmen blieben, führt sie letztlich auf einen offenen und wertschätzenden Umgang zurück. Nur ein Mitarbeiter habe sie dieses Jahr verlassen, erzählt Koch. Er habe eine andere berufliche Richtung einschlagen wollen. Sie hat ihn ziehen lassen.

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