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Fachkräftemangel: Unternehmen suchen Auszubildene im Ausland

In Deutschland stehen zu wenige Jugendliche bereit, beklagt die Wirtschaft. Die Politik sieht das anders. Vor allem in den neuen Ländern fehlt es an geeignetem Nachwuchs.

Angesichts des sich abzeichnenden Lehrlingsmangels verlangt die Wirtschaft, Bewerber aus Osteuropa nach Deutschland holen zu können. "Wir plädieren dafür, den Ausbildungsmarkt rasch für junge Leute aus allen EU-Staaten zu öffnen“, sagte Günter Lambertz, Ausbildungsexperte des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), dieser Zeitung.

Das Handwerk schloss sich dieser Forderung an. ZDH-Präsident Otto Kentzler plädierte dafür, ab 2009 Jugendlichen aus Osteuropa den Zuzug zu gestatten, "damit möglichst alle freien Lehrstellen in den ostdeutschen Betrieben besetzt werden können“. Bis 2010 werde sich die Zahl der Schulabgänger in Ostdeutschland halbieren.

Hoher Bedarf an Lehrlingen im technischen Handwerk

Bislang ist die Freizügigkeit von Arbeitnehmern aus Osteuropa in Deutschland noch eingeschränkt. Die Bundesregierung will diese Regelung bis 2011 verlängern – sie fürchtet vor allem Konkurrenz für Geringqualifizierte. Jürgen Wittke, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Berlin (HWK), führt aber einen besonders hohen Bedarf an Lehrlingen im technischen Handwerk an, etwa bei Kraftfahrzeug-Mechatronikern oder Elektrotechnikern.

Die hohen Anforderungen an diesen Beruf würden viele Bewerber heute nicht mehr mitbringen. "Inzwischen zeichnet sich in einigen Betrieben schon ein Engpass ab“, sagte Wittke. "Wenn wir jetzt nichts machen, werden wir in einigen Jahren große Probleme haben.“

Rekord: So viele Lehrlingsverträge wie noch nie

Weil viele Firmen nun vorsorgen wollen und zudem die Konjunktur gut läuft, schließen die Betriebe immer mehr Ausbildungsverträge ab. Im vergangenen Jahr waren es 625.000, so viel wie bislang nur einmal seit der Wiedervereinigung. Die Berliner Wirtschaft erwartet sogar, dass es in diesem Jahr so viele neue Lehrlingsverträge geben wird wie noch nie.

"Wir stehen bei den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen vor einem Rekord“, sagte ein Sprecher der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin am Dienstag. Bis Ende Juni hätten die Betriebe 4404 neue Verträge mit angehenden Lehrlingen geschlossen, das seien 5,5 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Die IHK-Betriebe stellen rund zwei Drittel der Ausbildungsplätze in der Stadt.

Auch im Handwerk der Hauptstadt sind die Zahlen gut. "Wir hoffen, dass wir das Vorjahresniveau erreichen werden“, sagte HWK-Hauptgeschäftsführer Wittke. Mit einem Plus von acht Prozent auf 6000 neue Ausbildungsverträge war 2007 ein Rekord erzielt worden.

Schulabschlüsse lohnen sich wieder

Viele Unternehmen befürchten sogar, dass es in diesem Jahr mehr Lehrstellen als geeignete Bewerber geben wird. "Es werden vermutlich viele Plätze frei bleiben“, hieß es bei der IHK. In den kommenden Jahren werde dieser Trend angesichts der sinkenden Zahl von Schulabgängern vermutlich anhalten. "Deshalb muss die Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss dringend gesenkt werden“, verlangte der Sprecher. Etwa jeder Zehnte in der Hauptstadt verlässt die Schule ohne Abschluss. Die Firmen hätten bereits ihre Ansprüche an den Notendurchschnitt gesenkt, um genügend Bewerber zu finden, hieß es weiter.

Angesichts dieser Entwicklung will die Wirtschaft neue Wege gehen. Die Nachfrage nach Jugendlichen aus den Nachbarländern wachse, sagte DIHK-Experte Lambertz. Vor allem in der Dienstleistungsbranche seien sie gesucht, denn Bewerber müssten oft die Sprache ausländischer Touristen beherrschen. Bisher gebe es nur vereinzelt Azubis aus Polen und Tschechien – einen Grund sieht der DIHK in "hohen bürokratischen Hürden“.

DGB: Unternehmen haben es versäumt, in die Zukunft zu investieren

Die Gewerkschaften lehnen den Vorschlag dagegen entschieden ab. "Wir erleben es immer wieder: Wenn sich ein Arbeitskräftemangel abzeichnet, wird ins Ausland geschielt und von dort Abhilfe erwartet“, sagte Ingrid Sehrbrock, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), dem Tagesspiegel.

Viele der Unternehmen hätten sich das Problem selbst zuzuschreiben. "Sie haben es in der Vergangenheit versäumt, für die Zukunft vorzusorgen und ausreichend auszubilden.“ Noch immer gebe es 385.000 Altbewerber, die auf einen Einstieg ins Berufsleben hofften.

Scholz: Wir brauchen mehr Ausbildungsplätze und nicht mehr Zuwanderung

Die Wirtschaft solle auch Jugendliche ausbilden, die man bisher zu wenig im Blick hatte. Etwa Jugendliche mit Migrationshintergrund, von denen derzeit nur 28 Prozent eine Ausbildung aufnähmen. "Viele derer, die heute einfach abgeschrieben werden, sind in der Lage, eine gute Ausbildung zu absolvieren“, mahnte Sehrbrock.

Auch Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) kann sich für die Idee, Jugendliche aus Osteuropa anzuwerben, nicht begeistern. "Da mache ich nicht mit“, sagte Scholz der "Passauer Neuen Presse“. "Uns fehlen pro Jahr 100.000 bis 200.000 Ausbildungsverträge. Wir brauchen also mehr Ausbildungsplätze und nicht mehr Zuwanderung in den Arbeitsmarkt.“

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