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Wirtschaft: Fest in weiblicher Hand

Nirgendwo in Europa gibt es so viele Frauen an der Spitze von Unternehmen wie in Polen

An Tatkraft hat es der eleganten Geschäftsfrau auch zu Polens sozialistischen Zeiten nie gemangelt. An der Berliner Humboldt- Universität hat die Warschauerin Irena Eris Anfang der 80er Jahre als Pharmazeutin promoviert. Doch nach ihrer Rückkehr nach Polen fühlte sie sich als Angestellte in einem heimischen Pharma-Betrieb völlig unterfordert. „Voller Energie und Ideen“ sei sie gewesen, erinnert sich die Chefin von Polens größten Hautcreme-Produzenten schmunzelnd an die schwierigen Anfänge ihrer prosperierenden Firma. „Ich wollte mir selbst etwas schaffen, meine Ideen in meinem eigenen Betrieb verwirklichen.“

Der Traum von der Selbstständigkeit wird im größten EU-Anwärterstaat von vielen Frauen nicht nur geträumt, sondern auch verwirklicht. Ausgerechnet die Bewohnerinnen des als „traditionell“ geltenden Polen sind die mit Abstand geschäftstüchtigsten Frauen des Kontinents. 39 Prozent der heimischen Klein- und Mittelbetriebe sind in weiblicher Hand. In den Vorstandsetagen der Großkonzerne sind Polinnen zwar ähnlich schwach wie im Westen vertreten. Doch auf unterer und mittlerer Führungsebene ist in Polen jeder dritte Manager eine Frau. Zum Vergleich: In der EU besetzen Frauen gerade einmal 18 Prozent der Führungspositionen. Nur Ungarn weist eine ähnlich hohe Frauenpräsenz im Wirtschaftsleben auf. Die Illustrierte „Wprost“ spricht bereits vom „Business-Matriarchat“: „Die Polinnen sind die unternehmerischsten Frauen Europas.“

Das kleine Erbe ihres Großvaters hatte Irena Eris vor 20 Jahren zu dem dringenden benötigten Startkapital verholfen. Mit nur einer Mitarbeiterin gründete die Polin in der Warschauer Trabantenvorstadt Piaseczno im September 1983 das Kosmetik-Labor Dr. Irena Eris. Von Hand wurde damals noch die Creme in Töpfchen geschmiert, die Emulgator-Maschine zu deren Herstellung hatte ein befreundeter Handwerker konstruiert: „Die im westlichen Ländern üblichen Spezialmaschinen kosteten 30000 Dollar – das konnte ich mir einfach nicht leisten.“ Ihr Mann klapperte auf der Suche nach Abnehmern mit seinem Fiat Polski die Läden ab. Die Jungunternehmerin musste sich mit zahllosen bürokratischen Hindernissen für die vom Staat zwar geduldeten, aber wenig gelittenen Selbstständigen abplagen. „Träume“ über die Zukunft ihrer Firma habe sie damals zwar gehabt, sagt Irena Iris heute: „Aber ich hätte nie gedacht, dass ich sie so schnell verwirklichen könnte.“

Obwohl staatliche Läden den Ankauf der Produkte von Privatfirmen ablehnten, wurde die Eris-Creme unter den Polinnen rasch durch Mund-zu-Mund-Propaganda bekannt. Bald konnte die Geschäftsfrau ihr Sortiment ausweiten, den Betrieb ausbauen. Nach der Wende 1989 musste sie keine staatlichen Regulationen mehr fürchten. 1993 eröffnete sie eine neue moderne Produktionsstätte.

Konzerne kopieren Kosmetik aus Polen

Heute weist das rund 300 Mitarbeiter zählende Unternehmen einen Jahresumsatz von 20 Millionen Dollar (rund 17,5 Millionen Euro) aus, unterhält ein eigenes Forschungszentrum, betreibt ein Kurhotel, Schönheitssalons in Moskau und Bogota und exportiert seine Produkte in 25 Länder. Auf dem heimischen Markt weist Marktführer Irena Eris selbst die großen Kosmetik-Konzerne aus Frankreich in die Schranken: Manche im Eris-Labor ausgeheckte Creme-Revolution wird inzwischen mit einiger Verzögerung von der internationalen Konkurrenz kopiert.

Die mit vielen Auszeichnungen dekorierte Unternehmerin, die das „Wall Street Journal“ 1999 zu einer der zehn besten Managerin Mittel- und Osteuropas kürte, ist in ihrem Land zwar eine Ausnahmeerscheinung, doch ungewöhnlich ist der hohe Frauenanteil im polnischen Wirtschaftsleben ihrer Ansicht nach keineswegs. So schwierig die sozialistischen Zeiten auch gewesen seien, hätten sie für Polens Frauen auch gute Seiten gehabt, sagt Eris. Frauen seien ermuntert worden, zu studieren und sich um gute Jobs zu bemühen.

Die Volkswirtin Ewa Lisowska von der Handelshochschule Warschau, die eine umfassende Studie über Geschäftsfrauen verfasst hat, weist darauf hin, dass Polinnen heute besser ausgebildet seien als Polen: In den Großstädten studierten ein Viertel mehr Frauen als Männer. Andere Wissenschaftler machen ähnlich wie Irena Eris auch die Erfahrungen mit der sozialistischen Mangelwirtschaft für den hohen Frauenanteil im Wirtschaftsleben verantwortlich. Schon früh sei von ihnen ein hohes Maß an Organisationstalent abverlangt worden, um neben dem Arbeits- und Familienleben auch noch die Füllung des Kühlschranks zu bewältigen.

Zwei Drittel der 1,2 Millionen weiblichen Selbstständigen leben auf dem Land. Die Eröffnung eines Friseur-Salons einer Bauernhof-Pension oder eines Ladens eröffnet den Frauen die Möglichkeit, sich auch in strukturschwachen Regionen eine kleine Einkommensquelle zu verschaffen. Selbst bei den bei Großkonzernen angestellten Managerinnen ist der Anteil der Geschäftsfrauen mit intakter Familie in Polen mit 80 Prozent im Vergleich zum Westen relativ groß.

Auch der zweifachen Mutter Irena Eris ist es dank einer guten Arbeitsteilung mit ihrem Mann und Firmenmiteigentümer geglückt, Familien und Beruf miteinander zu vereinbaren: „Für mich ist beides sehr wichtig. Würde ein Teil davon in meinem Leben fehlen, wäre ich heute wohl kaum so zufrieden.“

Thomas Roser[Warschau]

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