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Finanzkrise: "Wer das Geld hat, hat das Sagen"

Kritiker des Neoliberalismus sehen sich durch die Krise bestätigt. Die Rolle des Staates ist umstritten.

Berlin - Nicht nur in Frankreich gibt es Etatisten. Und nicht nur in Frankreich, wo der rechte Präsident gerade einen staatlichen Interventionsfonds eingerichtet hat, stellt sich die Frage, ob die Marktradikalen die Finanzkrise überstehen. Oder ob eine Wirtschaftspolitik mit größerem Einfluss der Politik reüssiert. „Der Staat ist zurück“, glaubt Hans-Joachim Schabedoth, Chefstratege des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB. „Die schamlosesten Propagandisten des Neoliberalen sind leiser geworden.“

Jürgen Habermas hatte kürzlich in einem „Zeit“-Interview das Platzen „der letzten neoliberalen Sprechblase“ konstatiert und gleichzeitig eine eigentümliche „Windstille“ hierzulande registriert. Während die USA in Aufruhr seien und sich einen farbigen Präsidenten wählten, laufe das Business in Deutschland as usual. Womöglich habe die Gesellschaft „die Fähigkeit verloren, sich zu empören, und befindet sich in einer Art Schockstarre nach den Zumutungen der vergangenen Jahre“, versucht sich IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban an einer Erklärung. Vielleicht ist es aber auch banaler. Die Folgen der Krise und der Rettungsmaßnahmen, die sich allein in Europa auf 2000 Milliarden Euro summieren, merken die Leute (noch) nicht.

Das vermutet jedenfalls Elmar Altvater, einer der profiliertesten marxistisch geprägten Ökonomen hierzulande. „Die Zahlen sind so unglaublich, dass sie außerordentlich abstrakt sind.“ Doch falls die Hilfen wirklich in Anspruch genommen würden, führe das zu höherer Staatsverschuldung, mehr Steuern und steigenden Preisen. „Die Leute werden es merken“, sagt Altvater. Seiner Einschätzung nach löst sich infolge der Krise „die Privatisierungswut“ der vergangenen Jahre auf. So sei beispielsweise die Idee, die Altersvorsorge zunehmend privaten Pensionskassen und Lebensversicherungen zu übertragen, diskreditiert.

Die Liberalisierungs- und Deregulierungsfans haben für Altvater die besten Jahre hinter sich – auch auf dem Arbeitsmarkt. „Ich könnte mir vorstellen, dass der gesetzliche Mindestlohn eine größere Rolle im Wahlkampf spielen wird“, blickt der Linke ins nächste Jahr.

Derzeit noch erschöpft sich die deutsche Politik in der Wahrnehmung des IG-Metallers Urban in einer „defensiven Krisenabwehr“. Von Aufbruch oder gar Politikwechsel keine Spur. „Change ist hierzulande ein Fremdwort.“ Das zentrale Problem der Gesellschaft sei in den vergangenen Jahren „die Entkopplung von Wertschöpfung oder Wachstum auf der einen und Wohlstand auf der anderen Seite“. Die Situation von Arbeitnehmern und Empfängern staatlicher Transferleistungen habe sich aus diversen Gründen verschlechtert: „Zu geringe Tarifabschlüsse, eine Steuerpolitik zugunsten der Einkommensstarken und die Deregulierung des Arbeitsmarktes.“

Für Urban gehört zu einem „grundlegenden Pfadwechsel der gesellschaftlichen Entwicklung“ unbedingt die Rehabilitierung öffentlicher Güter wie Bildung, Gesundheit, Infrastruktur. Die gegenwärtige Politik verzettele sich aber im kleinen Karo des Alltags. „Die Debatte in den Parteien ist dominiert von kurzfristigem Koalitionsgeplänkel, das Strategische kommt zu kurz.“

Immerhin sehen sich die Linken inzwischen nicht mehr als Rufer in der Wüste. „Heute kann man Dinge sagen, für die man in der Vergangenheit heftigst gescholten wurde“, meint Altvater. Auch weil „das Urvertrauen in den Markt einen dicken Knacks bekommen hat“. Und das wiederum war möglich, weil der Staat als Regulierer versagte. Dabei „gibt es keinen Kapitalismus, in dem der Staat nicht vorkommt“, sagt Altvater.

Zur Krisenbewältigung schlägt der marxistische Politökonom Kapitalismus vor: „Wer das Geld hat, der hat das Sagen.“ Und wenn der Staat Banken rette, solle er das Bankmanagement auswechseln und mit neuen Leuten auf die Durchsetzung eines Geschäftsmodells pochen, das auf die Bedürfnisse der Realwirtschaft orientiert ist. Allerdings würden sich dem „bestimmte Kräfte widersetzen“, meint Altvater und verweist auf die enorme Expansion der Finanzindustrie in den vergangenen 15 Jahren und den damit einhergehenden Einfluss. Vielleicht auch deshalb ist ein Politikwechsel hin zu einer anderen Einkommens- und Vermögensverteilung und hin zu einer stärkeren Verantwortung des Staates für Konjunktur und Beschäftigung immer noch nicht in Sicht. „Wir haben uns den Mund fusselig geredet, damit der Staat makroökonomisch mehr tut“, sagt DGB-Vordenker Schabedoth. Aber wird man ernst genommen? Oder zumindest wahrgenommen?

Auch jetzt, in der womöglich schwersten Wirtschaftskrise nach dem Krieg, „schlägt nicht die Stunde der Barrikadenkämpfe“, meint der DGBler. Wobei die in den deutschen Gewerkschaften sowieso selten schlägt. Schabedoth, Urban und Altvater setzen vielmehr auf eine andere Resonanz in der Bevölkerung, wenn 2009 der Wahlkampf in Schwung kommt und gleichzeitig die Folgen der Krise zunehmend auf die Lebensverhältnisse durchschlagen. Dann werde man sehen, „ob der Staat den Marktkräften soziale Verantwortung abtrotzen kann“, hofft Schabedoth. Wie in Frankreich.

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