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Besuch von der Schildkröte

© dpa

Finanzkrise: Schuld und Segen

Die Finanzkrise wird den deutschen Schuldenstand in die Höhe treiben. Aber wie und wo macht ein Staat eigentlich Schulden? Unser Reporter Harald Schumann über die "BRD Finanzagentur", die im Moment ihre vielleicht besten Geschäfte macht.

Als der Milliardendeal kurz vor dem Abschluss steht, versammeln sich die wichtigsten Mitarbeiter des Unternehmens im Büro des Chefhändlers. Der sitzt vor zwei großen Monitoren, die fortwährend den Datenstrom über das Geschehen an den Kapitalmärkten der Welt anzeigen. Neben ihm sitzt ein weiterer Händler, dazu haben sich zwei Experten aus der Strategieabteilung und der Chef selbst eingefunden. Über ein Konferenztelefon sind auch der Auftraggeber und dessen kontoführende Bank zugeschaltet. Der braucht frisches Kapital und will dafür Anleihen verkaufen.

Seit acht Uhr morgens hat die Firma die Papiere im Nennwert von sieben Milliarden Euro ausgeschrieben. Anschließend haben die Geldexperten versucht, per Telefon die Stimmung am Markt zu erkunden: Welche Rendite werden die Anleger fordern? Wie viel neues Geld kann der Auftraggeber mindestens aufnehmen?

In der Vorbesprechung haben die Männer die Limits festgelegt, jetzt warten sie gespannt. Bis elf Uhr dürfen ausgewählte Banken aus aller Welt ihre Gebote abgeben, und jetzt ist es 10 Uhr 57, und es sind erst wenige Angebote eingegangen. Dann geht alles ganz schnell. Im Sekundentakt blinken auf einem der Monitore neue Zeilen mit Angeboten auf. Insgesamt 24 Banken wollen kaufen, die angebotenen Kurse unterscheiden sich nur um einige Zehntelprozent.

Der Chefhändler bespricht sich kurz mit dem Kollegen, hebt den Blick und spricht laut, damit auch die Zuhörer am Telefon verstehen. „Wir haben eine Variante ausgewählt.“ Aus dem Lautsprecher meldet sich die Stimme des Kontoführers: „Niedrigst akzeptierter Kurs 101,76.“ Der Chefhändler antwortet mit einem kurzen „ist bestätigt“, dann drückt er an seinem Rechner auf die Returntaste und sagt: „Das Geschäft ist erfasst.“ Um zwei Minuten nach elf ist der Deal gelaufen, und alle Beteiligten gehen zurück an ihre Schreibtische.

Schauplatz Frankfurt, im ersten Stock eines schmucklosen Bürohauses in der Lurgiallee 5, vorgestern. Soeben hat die Bundesrepublik Deutschland sieben Milliarden Euro neue Schulden gemacht. Auftraggeber waren das Bundesfinanzministerium und der Kontoführer die Bundesbank. Zweijährige Bundesschatzbriefe zum Nominalzins von vier Prozent standen zum Verkauf, und die Nachfrage war weit größer als das Angebot. Darum gingen die Papiere zum Durchschnittskurs von 101,778 Prozent an die Kundschaft. Für jeden neu geschuldeten Euro werden zwei Tage später also 101,778 Cent bei der Bundeskasse eingehen. Den Käufern werden ihre neu erworbenen Papiere dagegen lediglich 3,03 Prozent Jahresrendite bringen. Für Finanzminister Peer Steinbrück ist das ein prima Geschäft.

Der Vorgang markiert eine der größten Ironien der Weltfinanzkrise. Ein Orkan des Misstrauens verwüstet das einst so dichte Netz der globalen Finanzmärkte. Die Kreditlinien zwischen den Banken, die Schlagadern der Weltökonomie, drohen auszutrocknen. Aber hier, bei der „Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH“, läuft das Geschäft wie geschmiert. Denn die bundeseigene Firma verwaltet eines der größten Kreditportfolios der Welt, den Schuldenberg des Bundes, und vertritt so einen der sichersten Schuldner überhaupt. Der ist nun, da alle Anleger jedes Risiko meiden, höchst begehrt. Es mutet paradox an und wird angesichts der Steuerausfälle infolge der kommenden Rezession auch nur wenig helfen. Aber derzeit zählt der deutsche Staat zu den Profiteuren der Krise. Nie war das Schuldenmachen so billig.

Carl Heinz Daube scheint dieser Umstand eher peinlich. Erst seit Februar ist der 48-Jährige einer der beiden Geschäftsführer der Finanzagentur mit dem Bundesadler. Zuvor hat er 26 Jahre für die Hamburgische Landesbank und spätere HSH Nordbank gearbeitet. Die Nöte seiner Ex-Kollegen, die um ihre Existenz kämpfen, sind ihm wohl weit näher als die Interessen der Steuerzahler. Darum umschreibt er die komfortable Lage seines Unternehmens lieber mit den Worten, man sei „insbesondere in der aktuellen Finanzmarktsituation eine der gefragtesten Adressen“.

So zeigt sich auch bei ihm, dem erfahrenen Banker, die Verunsicherung. Konzentriert und dünnlippig wägt er jedes Wort. Lieber sagt er gar nichts oder versteckt sich hinter Werbesprüchen, als dass er seine Einschätzung der Krisenlage preisgibt. Die Vorsicht ist verständlich. Daube und seine Mitarbeiter arbeiten an einer zentralen Schaltstelle der deutschen Volkswirtschaft. Nirgendwo sind Staat und Markt enger verflochten als bei der staatlichen Kreditaufnahme. Die Staatsschuld gilt zwar allgemein als schwere Bürde für die Steuerzahler. Doch zugleich verschaffen die geborgten Ersparnisse aus aller Welt dem Staat die Möglichkeit, zu investieren und Jobs zu schaffen, gerade in der Krise, wenn es die Privatwirtschaft mangels Kredit nicht kann.

Das macht den Job von Daube und den übrigen 320 Angestellten der Agentur nur umso wichtiger. Knapp 930 Milliarden Euro umfasst die Bundesschuld zurzeit. Sie verteilt sich auf tausende verschiedener Wertpapiere, deren Laufzeiten von einem Tag bis zu 30 Jahren reichen. Ein „Riesentanker“ sei das, der mit Vorsicht auf sehr lange Sicht gesteuert werden müsse. So beschreibt Daube die Aufgabe seiner Firma, und seine Arme formen dabei ein großes Halbrund, als umfasse er den unsichtbaren Schiffskörper. Der Vergleich ist nicht übertrieben. Allein im laufenden Jahr müssen Anleihen und Darlehen im Wert von 218 Milliarden Euro getilgt und gleichzeitig zumeist über Auktionen wie am Mittwoch neue Kredite in Höhe von fast 230 Milliarden Euro aufgenommen werden. Die Zusammensetzung der Schulden über die jeweiligen Laufzeiten und Zinshöhen entscheidet aber, wie hoch die Zinslast für den Bundeshaushalt ist.

Im laufenden Jahr sollen es planmäßig gut 40 Milliarden Euro sein, fast ein Sechstel des ganzen Bundesetats. Aber jedes Promille Zinsminderung, das die Banker im Staatsauftrag herausholen, erspart – gerechnet über die Gesamtschuld – 930 Millionen Euro im Jahr. Da lohnt sich der Einsatz auch von komplizierten Finanzinstrumenten wie Zins-Swaps oder Fremdwährungsanleihen mit Kursabsicherung.

Diese Überlegung war es auch, die Steinbrücks Vorgänger Hans Eichel dazu bewog, das Schuldenmanagement auf eine privatrechtlich organisierte Firma zu übertragen und diese am Bankenplatz Frankfurt anzusiedeln. Noch bis Anfang 2000 lag die Aufgabe bei den Beamtem einer Unterabteilung des Ministeriums in Bonn. Die machten solide Arbeit, aber für die Tricks der Finanzmärkte waren sie nicht gewappnet. Und zu Tarifgehältern des öffentlichen Dienstes waren ausgewiesene Experten nicht zu haben. Darum liegt die Führung des Staatshaushalts nun zu großen Teilen bei den Bankern im Frankfurter Lurgihaus. Dazu gehört auch die tägliche Kassenführung.

Zweimal am Tag übermitteln die Ministerialen aus Berlin den aktuellen Zahlungsbedarf für alle Bundesausgaben von den Gehältern bis zur Bezahlung der Reparaturen an den Fernstraßen. Chefhändler Thomas Weinberg und seine sechs Kollegen müssen sodann diesen Bedarf mit den Einnahmen aus Steuern und Krediten in Deckung zu bringen, indem sie hohe Millionenbeträge auf kurze Frist borgen oder anlegen. Zum Marktschluss um Punkt 18 Uhr muss das Tageskonto des Bundes stets auf null stehen. Folglich zählen Steinbrücks Schuldenmanager zu den zentralen Akteuren auf dem Markt für Tages- und Monatsgeld.

An die 200 Mitarbeiter der Agentur sind damit beschäftigt, das Bundesschuldbuch zu führen. Auf ihnen ruht die Verantwortung, mithilfe ihrer Großrechner die absolute Zuverlässigkeit des Schuldners Bundesrepublik zu garantieren. Sie führen die vielen Millionen Konten für die Besitzer der Bundesanleihen, -obligationen, -schatzbriefe und anderer Bundespapiere, die pünktlich mit Zins und Tilgung bedient werden müssen.

Dabei ist die Bezeichnung „Papiere“ freilich nur der Tradition geschuldet. Längst ist alle Bundesschuld zu Bits und Bytes geronnen. Deshalb genießt die Datensicherheit höchste Priorität. Ein Notstromaggregat ist vorhanden und für den Katastrophenfall sogar ein geheimes Ausweichquartier im Umland. „Wenn es brennt, können wir binnen einer Stunde anderswo weiterarbeiten“, versichert Geschäftsführer Daube.

Wer Deutschlands Gläubiger im Einzelnen sind, ist dennoch weitgehend unbekannt. Registriert sind lediglich die Banken, die das Gros der Schuld im Namen ihrer Kundschaft halten. Größter Zinsempfänger ist die Firma Clearstream, die im Auftrag zahlloser Banken die technische Abwicklung von deren Portfolios betreibt. Die eigentlichen Begünstigten dahinter bleiben anonym. Namentlich erfasst sind lediglich die rund 450 000 Privatanleger, die ein eigenes Konto bei der Agentur unterhalten. Doch ihre Anlagen bestreiten gerade mal zwei Prozent der Gesamtschuld. Noch Anfang der 90er Jahre waren es 40 Prozent, die direkt von den Sparern kamen. Aber dann ließen die Kosten der Einheit den Kreditbedarf explodieren, und die boomende Finanzindustrie warb immer mehr Sparer ab. Nun wäre Geschäftsführer Daube schon froh, wenn die laufende Werbekampagne, für die eine Schildkröte als Maskottchen die Solidität der Bundesanlagen verkörpern soll, den Anteil der Privatkonten auf vier Prozent verdoppeln würde.

Das Kernziel des Unternehmens wird er damit jedoch kaum erreichen: die dauerhafte Senkung der Zinslast. Bis zu 750 Millionen Euro Zinskosten könnten pro Jahr eingespart werden, versprach Minister Eichel seinerzeit, wenn man Fachleute der Finanzbranche engagieren könne. Dafür musste zunächst investiert werden. Immerhin rund 30 Millionen Euro pro Jahr kostet die Agentur. Allein das Jahresgehalt des Geschäftsführers Daube liegt nach Angaben aus dem Beteiligungsbericht des Bundes mit 295500 Euro über dem der Bundeskanzlerin. Ob sich der Aufwand lohnt, soll spätestens im Jahr 2013 klar sein. Dann soll, gemessen am Referenzportfolio von 2003, die entsprechende Ersparnis erbracht sein.

Das ist die Hauptaufgabe für Chefhändler Weinberg und seine Kollegen aus dem Bereich Strategie. Dabei könnte die aktuelle Krise womöglich hilfreich sein. Denn mit dem Chaos an den Märkten ist ein Phänomen wieder auferstanden, das mit der Einführung des Euro fast schon verloren schien: der Zinsvorteil von Bundespapieren gegenüber denen der anderen Eurostaaten. Mehr als 50 Basispunkte, entsprechend 0,5 Prozent, liegt der Zins für zehnjährige deutsche Anleihen derzeit unter dem vergleichbarer Papiere aus Frankreich. Anfang 2007 lag der Abstand noch bei nur drei Hundertsteln. Hält dieser Vorsprung, dann können die Schuldenmanager im Vergleich zur Zeit vor der Krise einen Vorteil von einigen hundert Millionen Euro im Jahr verbuchen.

Dabei ist die Gefahr für einen Staatsbankrott wegen der Währungsunion eigentlich in allen Euroländern gleich. Gleichwohl haben die Deutschen einen Vorteil. Das Zauberwort dafür ist Liquidität. Bundespapiere gibt es nicht nur in großer Zahl, sie sind auch die Grundlage für den Handel mit Zinsderivaten wie den „Futures“, mit denen sich Unternehmen und Banken gegen künftige Zinsänderungen absichern. Darum werden 40 Prozent des weltweiten Handels mit Euro-Anleihen mit deutschen Papieren bestritten, ein Umstand, der sich nun in unsicheren Zeiten richtig auszahlt.

Und eigentlich wäre das auch eine gute Gelegenheit, um auf den Märkten durch hohe Einsätze noch viel mehr Gewinn für den Steuerzahler herauszuholen. Doch davon wollen Daube und seine Händler nichts wissen. Der Sparauftrag könne nicht erfüllt werden, „indem wir Opportunitäten ausnutzen“, erklärt er zunächst und sagt es dann gleich noch mal im Klartext: „Zocken ist nicht unser Auftrag.“

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