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Vortrag zur Finanzkrise: "Der stille Staatsstreich"

Als wäre nichts gewesen? Harald Schumann hält im Berliner Tagungszentrum Urania einen Vortrag zu den politischen Reaktionen auf die internationale Finanzkrise.

"Und das ist die Chance, die in dieser Krise steckt, die Chance für internationale Regeln, die sich an den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft orientieren. Ich werde nicht locker lassen, bis wir solche Regeln erreicht haben." Wer hat das gesagt? Oder das: "Wir werden darauf beharren, dass wir wirklich eine neue Verfassung für die internationalen Finanzmärkte bekommen, damit sich eine solche Krise nie wiederholt." Wissen Sie es? Noch ein Beispiel: "Die Politik muss den Mut haben etwas zu machen, dass nicht sofort den Beifall der weltweiten Banken findet. Keine Bank darf so groß sein, dass sie wieder Staaten erpressen darf. Das ist für mich der wichtigste Punkt."

Viele der Besucher im vollbesetzten Loft des Berliner Tagungszentrums Urania hatten keine Schwierigkeiten, die Urheberin der Zitate zu identifizieren: Kanzlerin Angela Merkel. Doch was ist aus diesen Ankündigungen geworden? Referent Harald Schumann, Buchautor ("Der globale Countdown", "Die Globalisierungsfalle") und Tagesspiegel-Redakteur, ging vor rund 150 Zuhörern dieser Frage nach.

Die Macht einer kleinen Clique

Nach Beginn der größten Finanzkrise seit der Großen Depression 1929 schien die Politik durchaus zu weitreichender Regulierung der Finanzmärkte bereit, um eine ähnliche Katastrophe in Zukunft zu verhindern. Doch bislang ist auf nationaler und internationaler Ebene nur wenig Konkretes und kaum Weitreichendes beschlossen worden. Gleichzeitig scheint die Börsen- und Finanzwelt wieder genauso riskante Geschäfte zu betreiben, wie vor der Krise – unter anderem mit dem Geld, mit dem die Staaten die Krise bekämpfen wollen.

Für Schumann steht fest: Den Bank-Oligarchen ist es weitestgehend gelungen, die Bedingungen für ihre eigene Rettung zu diktieren. Nicht genug, dass bis heute keiner der Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden sei - die Hauptverursacher der Krise seien vielmehr schon wieder die Gewinner.

Auch wenn es Schumann schwer über die Lippen kommt, so findet er für den Ablauf der Krisengeschichte nur eine Erklärung: Die Fehlentwicklungen in der globalen Finanzwelt habe einer kleinen Clique aus den Führungsetagen von rund 15 Finanzkonzernen eine Macht in die Hände gespielt, die sich jeder demokratischen Kontrolle entziehe.

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Wie konnte es so weit kommen?

Schumann holt in seinem Rückblick weit aus: Die Grundlage für diese Entwicklung ist aus seiner Sicht eine seit 20 Jahren stattfindende Umverteilung der Vermögen von unten nach oben. Das in wenigen Händen versammelte Vermögen erzeugt dabei keine Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, sondern nur nach Finanzanlagen – ein permanenter Wachstumstreiber für die Finanzindustrie, die dadurch immer einflussreicher wird. Liberalisierung und Deregulierung waren die Folgen dieser Entwicklung. Steueroasen, Hedge-Fonds, Zweckgesellschaften sowie Private-Equity-Buden entstanden und ein großer Teil der Altersvorsorge wurde privatisiert.

Die Grundregeln des soliden Bankgeschäfts wurden schließlich außer Kraft gesetzt. Banken brauchen Rücklagen um ihre Risiken abzusichern. Doch ein hohes Maß an Eigenkapital ist für die Banken eine starke Wachstums- und Gewinnbremse. Daher war es stets Ziel der Akteure, die bestehenden Eigenkapitalvorschriften zu unterlaufen. Ein System von Schattenbanken war das Ergebnis, jeder Regulierung entzogen.

Organisierter Betrug eines zynischen Milieus

Eine Mitschuld an der Krise weist Schumann den Notenbanken zu. Immer wenn der Prozess aus Kapitalanlage, Renditezuwachs und erneuter Kapitalanlage ins Stocken geriet, machte die US-Notenbank das Geld billig. Die Geldmenge erhöhte sich explosionsartig - landete aber nicht bei Hinz und Kunz, sondern nur bei den Vermögensverwaltern. Da die Anlagemöglichkeiten in der realen Wirtschaft fehlten, begann der Einstieg in die Verbriefung von Hypotheken und vieles mehr. Es entstand die Stimmung für eine Art organisierten Betrugs – mit Rating-Agenturen als willige Helfer.

Und die Akteure wussten laut Schumann, was sie tun. Die drei großen Finanzinstitute, die die meisten der faulen Subprime-Papiere in Umlauf brachten – JP Morgan, Goldman Sachs und die Deutsche Bank – haben ab Dezember 2006 auf den Fall eben dieser Papiere gewettet, die sie zuvor ihren Kunden verkauft hatten.

Schumann findet klare Worte zum Verhalten der Banker: "Das offenbart den ganzen Abgrund an Zynismus in diesem Milieu. Die sind völlig losgelöst von den Wertvorstellungen in der übrigen Gesellschaft." Doch sie hatten nicht eingeplant, dass einer der ihren tatsächlich umfällt: Lehman Brothers. Plötzlich stürzte das Kartenhaus zusammen. Die USA und europäische Staaten mussten mehr als eine Billion Dollar bereitstellen, um eine globale Massenpleite zu verhindern. Und nach wie vor sind viele Banken von der Insolvenz bedroht.

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Die Kardinalfehler der Rettungsprogramme

Die staatlichen Rettungsprogramme hatten laut Schumann unverzeihliche Fehler: Die Regierungen verzichteten auf Einflussmöglichkeiten, ließen die Gläubiger ungeschoren und machten die großen Banken durch Fusionen mit schwächeren Geldhäusern noch größer. Gleichzeitig fluteten die Zentralbanken die Märkte mit mehr als 2000 Milliarden Dollar an faktisch zinslosen Krediten – das mit Abstand größte Subventionsprogramm aller Zeiten. Kein Wunder also, dass einige Banken bereits wieder Gewinne melden können.

Was folgt aus dieser Analyse? Die nötigen Reformprogramme sind für Schumann eigentlich klar: Das gesamte Finanzgewerbe muss wieder der Aufsicht unterworfen werden – es darf keine regelfreien Zonen geben.

  • Jede Art von Geldgeschäft muss mit ausreichend Eigenkapital unterlegt werden, um die Kredithebel zu begrenzen.
  • Große transnationale Banken brauchen eine transnationale Aufsicht.
  • Implizite Staatsgarantien für Großbanken darf es nicht geben.
  • Der Markt für riskante Brandbeschleuniger wie Credit Default Swaps (CDS) - eine Art von Versicherungspolicen, mit denen man bildlich gesprochen eine Brandschutzversicherung auf das Haus des Nachbarn abschließen kann – muss strikt begrenzt oder sogar verboten werden.
  • Rating-Agenturen gehören beaufsichtigt oder verstaatlicht.
  • Verbriefungsaktionen nur mit Selbstbehalt für die Verbriefer.
  • Bonuszahlungen für Bankmanager sind an langfristige Erfolge zu binden.

Kurz gesagt: Das Bankgeschäft sollte zurückgeführt werden auf seinen eigentlichen Dienstleistungskern – oder mit den Worten des Nobelpreisträgers Paul Krugman: „Banking muss wieder ein langweiliges Geschäft werden.“

Umsetzung mangelhaft

Doch jetzt, wo es darauf ankommt, kann es offenbar nicht langsam genug gehen. Die Reformen sind zwar auf dem Weg, doch die vorliegenden Entwürfe haben laut Schumann gravierende Mängel und werden unter extremen Druck gut organisierter Lobbyisten verwässert oder vertagt. Symbolische Politik statt konkreter Maßnahmen – "wirres Zeug" statt verbindlicher Vorschriften, so das Urteil des Journalisten zu den vorliegenden Entwürfen.

Sein Ausblick ist nicht optimistischer: Gerade bei der anstehenden Reform der Eigenkapitalvorschriften erwartet Schumann massives Störfeuer und Blockadepolitik aus der Branche. Die Drohungen der Banken mit der Kreditklemme stehe im Raum. Eine internationale Finanzaufsicht sei nicht in Sicht – selbst auf europäischer Ebene würden die Pläne kleingekocht. Die Zerschlagung von zu großen Banken sei chancenlos, Kreditderivate würden nicht verboten und für die Rating-Agenturen gebe es so gut wie keine Konsequenzen.

Schumann seziert die Pläne der Regierungen und der G20 und kommt zu dem Zwischenfazit: Deutschland hält still, Europa brütet, Ausgang in den USA ungewiss.  

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Stehen wir vor neuen Spekulationsblasen?

Dabei würde es höchste Zeit, da die Spekulation neue Blasen aufbaut. Der Dax ist im vergangenen Jahr um 67 Prozent gestiegen - in der größten Rezession seit 80 Jahren. Der Ölpreis ist um 80 Prozent gestiegen und der Kupferpreis um 150 Prozent. Dies hat nichts mit der realen Nachfrage zu tun und sind untrügliche Zeichen. Doch wenn es beim nächsten Mal kracht, wird auf Grund der hohen Verschuldung der betroffenen Staaten kein Geld mehr da sein, fürchtet Schumann. "Der Zug fährt mit Höchstgeschwindigkeit und wir haben keine Bremsen", umschreibt er das Fehlen von Gesetzen. "Gleichzeitig stopfen sich die Verursacher der Krise vor unser aller Augen die Taschen voll."

Wie ist das möglich? Seit 30 Jahren haben Politiker fast aller Parteien sich den Glaubenssätzen von den selbstregulierenden Märkten und dem dazugehörigen schwachen Staat unterworfen, so der Referent. Dieses Weltbild sei tief im Bewusstsein der Eliten verankert. Gleichzeitig wurden die staatlichen Apparate geschwächt. Das Prinzip nach 30 Jahren ideologischer Gehirnwäsche: "Was gut ist für die Deutsche Bank, ist gut für Deutschland."

Die personelle Verflechtung zwischen Politik und Finanzindustrie sei Ausdruck dieser Verwerfung. Dass Goldman Sachs in den USA regelmäßig den Finanzminister stellt, ist bekannt. Doch auch in der Obama-Regierung gibt es Beispiele wie den nationalen Wirtschaftsberater Larry Summers, unter Clinton hauptverantwortlich für die Deregulierung der Kreditderivate und Berater von Hedge-Fonds. Und auch in Deutschland gibt es zahlreiche Beispiele für diese personelle Verflechtung: Caio Koch-Weser, Martin Bury, Helmut Bauer, Otmar Issing...

Schumann nennt in seinem Vortrag weitere Namen, Beispiele, Quellen, beschreibt Details, veranschaulicht und findet klare Worte. Doch das klarste Wort entleiht er Simon Johnson. Der Professor und Ex-Chefökonom des IWF nannte die Methode, mit der die internationalen Großbanken die Rettungsprogramme der Regierungen und die neue Gesetzgebung zu ihren Gunsten manipuliert haben, einen "stillen Staatsstreich."

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