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Die Herde zähmen. Die EU will Spekulanten ausbremsen.

© p-a/dpa

Finanzkrise: Das große R-Wort

Alle fordern eine bessere Regulierung der Finanzmärkte, trotzdem fehlt es an konkreten Gesetzesinitiativen. Ein Überblick.

Berlin – Neue Finanzkrisen verhindern, die Spekulanten ausbremsen und die Finanzbranche an den Kosten beteiligen – folgt man den Aussagen von Europas Krisenmanagern im Amt, dann besteht über dieses Programm weitgehende Einigkeit. Auch zum Abschluss des jüngsten Krisengipfels versprachen die Regierungschefs der Euro-Zone einmal mehr, „schnellen Fortschritt bei der Regulierung der Finanzmärkte“. Doch weitgehend unklar ist, wie die Ziele erreicht werden sollen.

So gibt es zum Beispiel nach wie vor kein Konzept für den Handel mit den sogenannten Credit Default Swaps (CDS). Mit diesen Verträgen können sich Finanzakteure gegen den Ausfall eines Anleiheschuldners absichern. Dabei zahlt ein Finanzinvestor einem anderen Akteur eine Versicherungsprämie und im Gegenzug verpflichtet sich der CDS-Verkäufer im Ernstfall dem Käufer des Kontrakts die gesamte versicherte Summe auszuzahlen. Anders als bei echten Versicherungen werden solche Kontrakte jedoch völlig unabhängig davon gehandelt, ob der Käufer die zugrunde liegende Anleihe besitzt oder nicht. So erzeugt der CDS-Handel eine besonders destruktive Wirkung: Anders als echte Gläubiger haben die CDS-Besitzer ein Interesse daran, dass der Schuldner zahlungsunfähig wird, oder dass zumindest dieser Eindruck entsteht. Denn dann steigen ihre Verträge im Wert. Indem sie viele CDS-Verträge kaufen und so den Preis nach oben treiben, können sie das Signal erzeugen, dass bei einem Schuldner das Risiko gestiegen ist. In der Folge verlangen dessen Kreditgeber höhere Zinsen und durch die höhere Zinslast tritt die vorher nur behauptete Schieflage tatsächlich ein.

Genau diese Strategie unterstellen viele EU-Politiker den in London und New York geführten Hedgefonds, also unregulierten Anlagefirmen für Großanleger. Doch den Beweis dafür kann niemand führen. Denn der CDS-Markt ist völlig intransparent. Die Kontrakte werden ohne jede Meldepflicht am Telefon geschlossen. Im Kern des Geschäfts stehen fünf Großbanken, darunter auch die Deutsche Bank, die sich jedoch ihrerseits bei Dritten absichern. In der Folge gibt es lange Ketten von CDS-Verträgen über dieselbe Anleihesumme und keine Behörde weiß, welche Bank oder welcher Fonds letztlich die Risiken trägt.

Die Lösung liegt auf der Hand: Müsste jeder CDS-Käufer die zugrunde liegende Anleihe zentral hinterlegen und würden alle Kontrakte über amtlich kontrollierte Börsen gehandelt, würde die potenziell destruktive Spekulation verhindert und die Verteilung der Risiken wäre überprüfbar. Darum forderte die US-Versicherungsaufsicht schon im Oktober 2008 das Verbot von „naked CDS“. Doch den Wall-Street-Banken gelang es, ein entsprechendes Gesetz im US-Kongress abzuwenden. Die EU-Kommission hat bisher nicht einmal den Versuch unternommen und erst jetzt einen Gesetzentwurf angekündigt. Ob die Euro-Länder aber den Mut finden ohne die USA gegen den CDS-Handel vorzugehen, ist zweifelhaft.

Das gilt auch für eine weitere wichtige Maßnahme zur Befriedung der Finanzbranche: Die Begrenzung der Kredithebel. Eine zentrale Ursache der Krise war, dass die Großbanken mit hohen Summen von geliehenem Fremdkapital arbeiteten, um damit die Renditen auf ihr Eigenkapital zu vervielfachen. Das war zwar eigentlich nicht erlaubt. Aber die meisten Regierungen förderten durch laxe Aufsichtsregeln die Aushöhlung der Bankvorschriften über Gesellschaften, die außerhalb der Bilanz geführt wurden. Als dann der Wert der dort gebuchten Anlagen verfiel, vervielfachten diese Kredithebel aber auch die Verluste. Dabei verloren die schwächeren Banken so viel Eigenkapital, dass sie staatliche Stützung brauchten. Darum einigten sich die G-20-Staaten schon 2008 darauf, die Kredithebel für alle Finanzakteure zu begrenzen.

Aber das Vorhaben ist im Grundsatz bereits gescheitert. Zwar verhandeln die G-20-Aufsichtsbehörden derzeit über entsprechende Regeln für Banken. Aber die weltweit mehr als 5000 Hedgefonds, also Anlagegesellschaften für Vermögende und Großinvestoren, werden davon nicht erfasst. In den USA ist das bisher auch nicht vorgesehen, nicht zuletzt deshalb, weil Hedgefonds das zentrale Anlagevehikel für Amerikas Oberschicht sind und einen Großteil der Wahlkämpfe finanzieren. Die EU-Kommission dagegen hat immerhin den Versuch unternommen auch Fondsgesellschaften aller Art der Aufsicht zu unterstellen und vergangenen Herbst einen Gesetzesvorschlag eingebracht. Demnach sollte die Höhe der Kredithebel dann beschränkt werden, wenn die Aufseher das für nötig halten. Aber selbst diese schwache Regel fand im Rat der Finanzminister auf Betreiben der Briten keine Mehrheit. Die derzeit im EU-Parlament beratene Fassung sieht die Risikobegrenzung gar nicht mehr vor. Absehbar sei, meint ein leitender europäischer Aufsichtsbeamter, dass die Finanzwelt im großen Stil auf Hedgefonds ausweichen werde, sobald die neuen Bankenregeln greifen.

Erst recht ungewiss ist, ob es gelingt, die Finanzbranche an den Kosten der Krise zu beteiligen. Eine bloße Abgabe auf Bankengewinne, wie sie die Bundesregierung verfolgt, brächte nur wenig ein. Eine Umsatzsteuer auf Finanztransaktionen dagegen hätte den Vorteil, dass sie alle Akteure an den Finanzmärkten erfassen und allein in der EU mindestens 200 Milliarden Euro jährlich einbringen würde. Zugleich würde die Steuer die Spekulation bremsen. Umstritten ist jedoch, ob die Euro-Zone eine solche Steuer auch allein einführen könnte. Eine erste Klärung könnte die für kommenden Montag angesetzte Expertenanhörung im Finanzausschuss des Bundestages bringen.

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