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Finanzkrise: Flüchtlinge aus der Londoner City

"Escape the City" heißt ein Projekt, eine Jobbörse für all diejenigen, die die Nase voll haben von ihrem Dasein als Banker, Rechtsanwalt oder Wirtschaftsprüfer. Viele junge Leute sind schon dabei, die Finanzmetropole London zu verlassen..

London - An diesem Abend fühlen sich Dom Jackman und Rob Symington ein wenig wie Popstars. Zwar stehen die beiden jungen Engländer noch etwas unsicher auf der Bühne der Londoner Guanabara-Bar, und die Mikrofone funktionieren auch nicht so richtig, aber als sie ihr Projekt vorstellen, tobt das Publikum.

Jackman und Symington sind eine Art Antihelden der Londoner City – moderne Aussteiger. Dabei schien ihre Karriere mit Mitte 20 schon vorgezeichnet: als langer gerader Weg zu Reichtum und vielleicht sogar etwas Ruhm. Doch es gab ein Problem: Der lukrative Job, den die beiden nach der Universität bei Ernst & Young annahmen, machte keinen Spaß. „Jeden Tag 15 Stunden mit etwas zu verbringen, was einem nicht wirklich am Herzen liegt, frustriert“, klagt Symington. Kurz verschwindet das Dauerlächeln vom Gesicht des schlaksigen jungen Mannes. Jackman ging es ähnlich: „In einer großen Organisation kann man kaum etwas bewegen, das tötet die Kreativität.“

Das Duo zog die Konsequenz und stieg aus. Dass die beiden nicht allein sind mit ihrem Frust, beweist der Abend in der Guanabara-Bar. 650 junge Menschen haben je 12,50 Pfund bezahlt, um bei der Gründungsparty der Website von Symington und Jackman dabei zu sein. „Escape the City“ heißt das Projekt, eine Jobbörse für all diejenigen, die die Nase voll haben von ihrem Dasein als Banker, Rechtsanwalt oder Wirtschaftsprüfer.

Tatsächlich erlebt die Londoner City derzeit einen beispiellosen Exodus. Nach Schätzungen des britischen Thinktanks Centre for Economic and Business Research haben seit Ausbruch der Finanzkrise rund 60 000 Menschen ihren Job im Londoner Finanzzentrum verloren. Doch nicht nur die krisenbedingten Entlassungen sind schuld. Noch vor wenigen Jahren war ein Job in der City das große Ziel der ehrgeizigen Absolventen aus Oxford und Cambridge. Der Einstieg bei einer der großen Banken, Kanzleien oder Beratungsfirmen versprach Geld und Prestige. Doch dank Finanzkrise und Bonussteuer fallen die einst dicken Einstiegsgehälter deutlich bescheidener aus, und der Sozialstatus der Branche sinkt. Im vergangenen Jahr kam eine Umfrage zu dem Ergebnis, dass fast jeder Vierte keinen Investmentbanker in seinem Freundeskreis haben will. Unbeliebter waren nur noch Prostituierte und Vorbestrafte.

„Die Krise ist für viele tatsächlich der Katalysator, um über einen Karrierewechsel nachzudenken“, glaubt Aussteiger Symington. Es sei allerdings ein großes Problem, interessante Alternativen zu den City-Jobs zu finden. Diese Lücke soll die neue Webseite schließen. Beispiele, die anderen Mut machen sollen, gibt es schon. So wie die Geschichte von Ben Benton, der nach zwei Jahren bei einem Hedge-Fonds seine eigene Modemarke gründete, über die er jetzt quietschbunte Strickpullover und Socken verkauft.

Die „Escape the City“-Gründer hoffen, dass sich das Portal bald selbst trägt und irgendwann genug abwirft, um davon leben zu können. „Aber als Aussteiger muss man immer einen Plan B haben“, räumt Symington ein. Seine Alternative: In Australien eine Winzerausbildung machen. Michael Maisch (HB)

Michael Maisch (HB)

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