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Finanzkrise: Kannegiesser: Industrie hat viel Blut verloren

Die deutsche Industrie ist besser durch die Krise gekommen als befürchtet. Auftragseingang, Produktion und Kapazitätsauslastung entwickeln sich positiv, doch die Situation an den Finanzmärkten wird noch als bedrohlich empfunden.

Berlin - „Die Risiken sind erheblich, das Vertrauen ist noch nicht wieder da“, sagte Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser am Donnerstag in Berlin. Der Chef des wichtigsten Industrieverbandes zog eine Art Halbjahresbilanz für die Branche mit 3,3 Millionen Beschäftigten.

In den ersten Jahresmonaten seien noch jeweils etwa 5000 Stellen gestrichen worden, so dass über das Jahr hochgerechnet der Verlust von 50 000 Arbeitsplätzen möglich sei, meinte Kannegiesser. Allerdings schwäche sich der Abbautrend ab, und es gebe hier und da auch wieder Neueinstellungen. Alles in allem hätten aber viele Firmen noch „personelle Überhänge“, so dass auch im nächsten Jahr nicht mit vielen zusätzlichen Arbeitsplätzen zu rechnen sei.

Kannegiesser, selbst Eigentümer einer Firma für Wäschereitechnik in Westfalen, lobte explizit die Krisenbewältigung in Deutschland. Unternehmer und Belegschaften, Verbände und Gewerkschaften hätten gemeinsam mit der Politik „die Lage einigermaßen unter Kontrolle gehalten“. Es habe einen „Schulterschluss“ gegeben und keine sozialen Unruhen, wie sie einst der DGB-Vorsitzende Michael Sommer befürchtet hatte. Alle Beteiligten hätten auf eine „Überbrückung“ der Krise gesetzt und deshalb auch kaum Entlassungen vorgenommen. „Das verantwortungsvolle Verhalten unserer Industrie hat das soziale Klima in der Krise weitgehend geprägt“, meinte der Gesamtmetallchef. Viele Firmen hätten indes noch zu leiden an der „Wucht des Absturzes; nahezu alle haben viel Blut verloren und sind finanziell anfälliger geworden“, meinte Kannegiesser. „Noch mal ein solcher Stoß wäre für viele tödlich.“

Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Im ersten Quartal 2010 gab es für die Metaller ein Auftragsplus von 7,4 Prozent, und die Produktion stieg um 1,6 Prozent. Die Kapazitäten sind inzwischen wieder zu knapp 80 Prozent ausgelastet und damit zehn Prozent stärker als vor einem Jahr; zum langjährigen „Normalwert“ von 88 Prozent klafft indes noch eine Lücke. Die ist bei den anderen Kennziffern sogar noch größer: „Beim Auftragseingang müssen wir noch 22, bei der Produktion sogar noch 27 Prozent aufholen, um wieder das Niveau vor der Krise zu erreichen“, sagte Kannegiesser. Der Metallerpräsident betonte die Bedeutung seiner Industrie für Deutschland und Europa und wies Kritik an den hohen Exportüberschüssen zurück, wie sie etwa von der französischen Wirtschaftsministerin geäußert und im Kontext mit der Griechenlandkrise aufgekommen war.

Der über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren gewachsene industrielle Sektor sei in Deutschland doppelt so stark wie in vergleichbaren Ländern. Und wenn Deutschland von vielen Seiten die Rolle der Wachstumslokomotive für Europa zugeschoben werde, dann sei die Metall- und Elektroindustrie „der Heizer auf dieser Lokomotive“.

Schließlich verteidigte Kannegiesser die Leiharbeit als ein wichtiges Instrument, um Auftragsspitzen abzufangen. Das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ sei zwar richtig, doch da Leiharbeitnehmer nicht so produktiv arbeiteten wie die Stammbelegschaften, sei auch eine geringe Bezahlung gerechtfertigt. Aktuell beschäftigt die Metallindustrie nach Angaben von Gesamtmetall rund 180 000 Zeitarbeiter. Alfons Frese

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