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Finanzkrise: Was sagen andere Länder zu Leerverkäufen?

Spekulanten dürfen in Deutschland wieder auf fallende Kurse setzen. Das Verbot von Leerverkäufen, das die Bankenaufsicht alsReaktion auf die Finanzkrise ausgesprochen hat, ist ausgelaufen. Wie handhaben das andere Länder?

Von Antje Sirleschtov

Bei Leerverkäufen, auch „short sells“ genannt, wetten Investoren auf fallende Kurse. Die Leerverkäufer leihen sich Aktien von anderen Anlegern und bezahlen dafür eine Gebühr. Dann verkaufen sie die geliehenen Aktien in der Hoffnung, dass der Kurs bald fällt. So können sie die Papiere günstiger wieder einkaufen und an den Verleiher zurückgeben. Die Differenz streichen sie als Gewinn ein. Unterschieden werden muss zwischen gedeckten und ungedeckten Leerverkäufen. Im ersten Fall besitzt der Investor eine Option darauf, die Aktie auszuleihen. Bei ungedeckten Leerverkäufen, den „naked short sells“, verkauft der Investor die Aktien, ohne sie je besessen zu haben. Von dem Erlös kauft er Papiere und gibt sie an seinen Handelspartner zurück. „Das ist, als würde man mit geliehenem Geld spekulieren“, sagt Lutz Kruschwitz, Finanzexperte an der Freien Universität Berlin.

Leerverkäufe werden nicht nur von Spekulanten genutzt. Sie dienen auch zur Absicherung von Optionsgeschäften. Solche Geschäfte werden zum Beispiel von Unternehmen gemacht, die sich damit gegen Währungsrisiken oder Schwankungen bei den Rohstoffpreisen absichern. Auch Leerverkäufe mit puren Gewinnabsichten können nach Meinung von Experten volkswirtschaftlich sinnvoll sein, weil sie die Anzahl der Akteure auf dem Markt erhöhen. „Je mehr Händler eine Aktie kaufen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sich vernünftige Preise durchsetzen“, sagt Kruschwitz.

In Krisenzeiten kann das Instrument schnell zum Problem werden. Leerverkäufer können Aktienkurse künstlich nach unten treiben. Sind Investoren gezwungen, Papiere zurückzukaufen, versuchen sie außerdem, Informationen zu streuen, die der Aktie schaden. Das war der Grund, weswegen die USA und viele europäische Staaten nach der Pleite der Lehman-Bank ungedeckte Leerverkäufe mit den Aktien von Finanzinstituten verboten haben. Sie wollten verhindern, dass ihre Banken kaputtspekuliert werden.

Die deutsche Bankenaufsicht Bafin hatte das Verbot als befristete Notfallmaßnahme zu einem Zeitpunkt ausgesprochen, als die Finanzmärkte stark schwankten. Diesen Notfall sieht die Bafin jetzt nicht mehr gegeben, darum ist das Verbot wie geplant zum 1. Februar ausgelaufen. Die Aufsichtsbehörden in den europäischen Nachbarländern sehen das ähnlich. Das Verbot in den Niederlanden und in Großbritannien wurde bereits im vergangenen Juli aufgehoben. Das österreichische Verbot läuft erst Ende Februar aus. Die Franzosen hingegen haben ihr Verbot erst vor ein paar Tagen für unbestimmte Zeit verlängert. Auch die amerikanische Aufsichtsbehörde SEC hat das Verbot von ungedeckten Leerverkäufen im Juli 2009 entfristet. Leerverkäufer müssen nun vor dem Verkauf leihbare Aktien ausfindig machen und die Transaktionen innerhalb von vier Tagen abwickeln.

Die meisten europäischen Staaten sowie die USA haben zudem verschärfte Transparenzvorschriften eingeführt, die nach wie vor gelten. Dabei müssen Investoren ihre Leerverkäufe offenlegen, wenn ihre Positionen einen bestimmten Prozentsatz des Aktienkapitals des jeweiligen Finanzinstituts übersteigt.

Solche Transparenzregelungen fehlen bisher in Deutschland. Im Rahmen des Ausschusses der europäischen Wertpapierregulierungsbehörden, dem die Bafin angehört, wird allerdings darüber diskutiert, gemeinsame Regeln einzuführen. Auch EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier hatte unlängst erklärt, seine Behörde denke über Sanktionen gegen Leerverkäufe nach, um die Wetten auf sinkende Aktienkurse einzudämmen.

Für die Finanzpolitiker der Koalition war die Entscheidung der Bafin eine Überraschung. „Mit großem Erstaunen“ habe er davon aus dem Fernsehen erfahren, sagt der Vorsitzende des Bundestagsfinanzausschusses, Volker Wissing (FDP). Zwar habe die Aufsichtsbehörde formal keine Pflicht, den Bundestag über solche Entscheidungen zu informieren. Allerdings stünden die Parlamentarier seit dem Zusammenbruch der internationalen Finanzmärkte Mitte 2008 in der Öffentlichkeit vor der Situation, die Auswirkungen der Krise mit Milliardenbeträgen bekämpfen und gleichzeitig Rechenschaft darüber abzulegen zu müssen, wie sie die Wiederholung einer solchen Krise verhindern wollen. Da erwecke die Genehmigung von Leerverkäufen leicht den Eindruck, die Krise sei bereits vorüber. Doch: „Die Situation ist nach wie vor hoch brisant“, findet Wissing. Und hat den zuständigen Bundesfinanzminister erst einmal um eine schriftliche Erläuterung gebeten. Insbesondere darüber, warum sich Deutschland plötzlich anders verhält als die USA und Frankreich. Ende Februar will Wissing die Leerverkäufe dann zum Thema im Finanzausschuss machen.

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