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Wirtschaft: Fliegender Wechsel

Vorstandschefs werden immer schneller abgelöst. Gute Zahlen schützen nicht vor dem Rausschmiss.

Kai-Uwe Ricke brachte es bei der Telekom auf vier Jahre. Bernd Pischetsrieder auf dreieinhalb Jahre bei VW. Für Klaus Kleinfeld war schon nach gut zwei Jahren Schluss – am Mittwoch wurde sein Chefsessel bei Siemens zum Schleudersitz.

Die Jobs der Topmanager, zumal an der Dax-Spitze, sind unsicherer geworden. Das Karussell dreht sich schneller. „Ich werde keinem im Wege stehen“, sagte Kleinfeld am Donnerstag in München nach seinem angekündigten Abgang. Der Wechsel auf der Chefetage soll fliegend erfolgen. Angeblich gibt es schon eine Kandidatenliste mit fünf Namen.

Führungswechsel im Eilverfahren liegen im Trend: „Die Zeiten des Vorstandsvorsitzenden auf Lebenszeit sind endgültig vorbei“, befand die Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton (BAH) im vergangenen Jahr in einer international beachteten Studie zur Fluktuation auf Vorstandsetagen. Danach schieden im Jahr 2005 weltweit mehr Vorstandsvorsitzende aus als je zuvor. Besonders betroffen waren Unternehmen in den Branchen Telekommunikation, IT und Konsumgüter. In Kürze liefern die Berater ein Update ihrer Untersuchung. Beispiele wie Siemens, VW, RWE und anderen sprechen dafür, dass das Tempo weiter zugenommen hat. Die „neue Normalität“, von der BAH spricht, hat inzwischen auch die erste Liga der deutschen Wirtschaft erreicht.

Neu ist zudem, dass – wie in Kleinfelds Fall – gute Zahlen nicht mehr vor dem Rausschmiss schützen. 2005 wurde im deutschsprachigen Raum noch jede zweite Kündigung eines Topmanagers wegen mangelnder Leistung ausgesprochen. Doch eine weitere Begründung wird wichtiger: Die Regeln guter Unternehmensführung, die sogenannte Corporate Governance, greifen. Aufsichtsräte in Kapitalgesellschaften tun endlich, was sie tun sollten: den Vorstand kontrollieren, sagt Experte Christian Strenger (siehe Interview). Mit allen Konsequenzen: Flankiert von schärferen Gesetzen, unter Druck gesetzt vom Tempo der Globalisierung und getrieben von internationalen Investoren, greifen die Kontrolleure heute schneller zum äußersten Mittel – der Entlassung. Kommt wie bei Siemens die Drohung einer genaueren Prüfung durch die Börsenaufsicht hinzu, werden Aufsichtsräte besonders nervös. Ein Imageschaden am Finanzmarkt gilt vielen als Kapitalverbrechen.

Doch zu viel öffentliche Hektik kann den Schaden auch vergrößern. „Der Aufsichtsrat sollte tunlichst seine Rolle hinter den Kulissen wahrnehmen, und ohne öffentliches Getöse“, rät Karl- Heinz Heuser vom Beratungsunternehmen Burson Marsteller. Alles andere führe sonst unweigerlich zu einer Demontage des Vorstandschefs, der gerade in einer Krise volle Handlungsfähigkeit und das Vertrauen des Aufsichtsrates brauche. „Bei Kleinfeld hat der Aufsichtsrat eher die Öffentlichkeit gesucht, um das zu erreichen, was dann auch geschah: der Rücktritt des Vorstandschefs“, sagt Heuser. Hier seien wohl „andere Faktoren“ entscheidender gewesen als gute Corporate Governance – nämlich Interessen, Intrigen, Eitelkeiten.

Siemens, ein „Flaggschiff der deutschen Wirtschaft“ (Strenger), steht nach dem Abtritt von Kleinfeld und Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer schwer beschädigt da. Dabei scheint der eigentliche Auslöser der Führungskrise, die Korruptions- und Schmiergeldaffäre, in den Hintergrund zu treten. „Der Vorstandsvorsitzende ist nach wie vor das Gesicht des Unternehmens“, heißt es in einer Burson-Marsteller-Studie zur Reputation von Vorstandschefs (CEOs). Der gute Ruf des Chefs zählt nirgendwo so viel wie in Deutschland: Befragt nach dem Einfluss des Images des CEO auf das Gesamtimage des Unternehmens, schätzen die Befragten diesen auf 60 Prozent.

Heißt das: Talkshow statt Tagesgeschäft? „Eine optimale Medienpräsenz ist genauso wichtig wie Talent im Tagesgeschäft“, glaubt Karl-Heinz Heuser. „Optimal“ heiße aber nicht unbedingt „häufig“. So falle auf, dass die bekanntesten CEOs nicht automatisch am meisten geschätzt würden – auch nicht von den eigenen Mitarbeitern. Wie die Kunden und Lieferanten auf das Chaos bei Siemens reagieren, wird sich erst in den kommenden Monaten zeigen. „Sie sind sehr viel sensibler geworden und achten auf die Reputation ihrer Partner und von deren Führungspersonal“, weiß Berater Heuser. Siemens schließt denn auch nicht aus, dass auf das Unternehmen erhebliche finanzielle Forderungen zukommen könnten, „insbesondere in Form von Geldbußen, Schadenersatz oder Ausschlüssen bei der öffentlichen Auftragsvergabe“. Auch Kleinfelds Nachfolger wird in der Siemens-Zentrale auf einem Schleudersitz Platz nehmen.

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