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Flucht nach oben: Die neue Karriere des Klaus Kleinfeld

Er war ein Star unter Deutschlands Managern. Doch dann kam die Korruptionsaffäre bei Siemens, und Klaus Kleinfeld trat von seinem Chefposten zurück. Obwohl er von Schmiergeldern nichts geahnt haben will. Er hat einen Neuanfang gewagt, in Amerika. Und wurde wieder ein Star.

Der Staub der in sich zusammengefallenen Türme des World Trade Center hatte sich noch nicht ganz gelegt, da trafen sich am 13. September 2001 die Wirtschaftsführer New Yorks, um über die Lage zu beraten. Die Runde tagte am Sitz des Citigroup-Finanzkonzerns in Manhattan, mit dabei war Klaus Kleinfeld, damals im Vorstand der US-Gesellschaft von Siemens. „Es war fürchterlich. Alle haben negativ über New York geredet“, erinnert er sich. Laut sei sogar darüber nachgedacht worden, ob die Wirtschaft der Stadt nach dem verheerenden Anschlag nicht ganz den Rücken kehren müsse. Er sei der Einzige gewesen, der die positive Seite betont habe: dass die in den USA lange ungeliebte, ja berüchtigte Metropole plötzlich von einer nie da gewesenen Sympathiewelle überrollt werde. Daraus lasse sich doch etwas machen, habe er einsam argumentiert.

Stolz schwingt mit, als Klaus Kleinfeld die Geschichte erzählt. Als Siemens-Chef ist er im Zuge der Korruptionsaffäre vor vier Jahren zurückgetreten, seit drei Jahren leitet er den Aluminiumkonzern Alcoa mit 60 000 Beschäftigten und ist damit einer der erfolgreichsten deutschen Manager in den USA. Er hat sich auf ein Gespräch über sein Leben eingelassen. Die Rezession ist vorbei, er hat wieder etwas mehr Zeit. Treffpunkt: Das Park-Hotel in Bremen, ein Fünf-Sterne-Haus am weitläufigen Bürgerpark. Anlass des Besuchs in seiner Heimatstadt ist eine Einladung der privaten Jacobs-Universität. Auf Englisch wird er seine Rede halten und die Studenten daran erinnern, dass zu seiner Zeit Bildung weniger zählte und sein Abiturjahrgang die Zeugnisse beim Hausmeister abholen musste.

Seine Schläfen sind grau meliert, der 53-Jährige hat eine athletische, aber schmale Figur. An Selbstbewusstsein fehlt es ihm nicht, natürlich nicht. Er erzählt die Geschichte vom 13. September 2001 gern. Vielleicht auch deshalb, weil sie einem eine Ahnung davon gibt, wie er tickt: Selbst das größte Trauma der westlichen Welt hakt er binnen kürzester Zeit ab – um nach vorne zu blicken. Die Rückschau ist seine Sache nicht. „Ich habe noch nie drei Tage gegrübelt, das konnte ich mir nicht leisten.“ Es mag eine Pose sein, beschreibt aber wohl auch seine tatsächliche Haltung.

Sein Redebeitrag in jener denkwürdigen Runde in Manhattan führte ihn letztlich auf seine heutige Position als Alcoa-Vorstandsvorsitzender. Denn Alain Belda, der die Position damals innehatte, konnte nicht teilnehmen, schickte aber seine Frau, und die berichtete ihrem Mann, dass er sich doch diesen deutschen Manager mal anschauen müsse. Daraus erwuchs ein loser Kontakt. Als Kleinfeld seinen Rückzug bei Siemens bekannt gab, war Belda kurz darauf mit einem Angebot am Telefon.

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Alcoa, 1888 in Pittsburgh gegründet, ist eine Industrie-Ikone, amerikanischer geht es kaum. Als Kleinfeld kam, waren Lehman-Pleite, Finanzkrise und globale Rezession nicht absehbar. Es wurde schwieriger als erwartet für den Schlacks aus Bremen: 2009, dem ersten vollständigen Jahr unter seiner Verantwortung, brach der Umsatz um fast ein Drittel ein, und er verbuchte einen Verlust von knapp einer Milliarde Dollar. Inzwischen laufen die Geschäfte wieder besser: Der Umsatz belief sich 2010 auf 21 Milliarden Dollar, der Gewinn war mit 262 Millionen Dollar sogar über Vorkrisenniveau. Am kommenden Montag legt Alcoa die aktuellen Geschäftszahlen vor.

Doch vor dem Wechsel zu Alcoa lag eine noch weit schwierigere Zeit für Kleinfeld, vielleicht sogar sein größtes Trauma als Manager. Binnen weniger Jahre hatte er sich an die Spitze des Siemens-Konzerns hochgearbeitet, es ging immer nur nach oben. Das „Manager Magazin“ nannte ihn „Wunderknabe“, er schien eine neue Generation zu verkörpern, das Ende der Deutschland-AG. Anekdoten über ihn machten die Runde, die ihn als zugängliche, enthusiastische, sympathische Führungskraft schilderten. Wie er das Nokia-Handy eines italienischen Journalisten, ein Konkurrenzprodukt also, in einem Wasserglas versenkte, um stolz zu konstatieren: „Nicht wasserdicht!“ Wie er sich mit seinen Mitarbeitern duzte und bei Meetings zu aller Überraschung mit einer Pizza auftauchte. Dass er die Handysparte an BenQ verkaufte, was sich als Fiasko für die Beschäftigten erwies, dass er alle Geschäftsbereiche gnadenlos auf ehrgeizige Margenziele verpflichtete, ging in den Geschichten unter.

Doch dann holte ihn die Korruptionsaffäre ein, die den Siemens-Konzern inzwischen Milliarden gekostet hat. Er schien zwar über jeden Verdacht erhaben, denn er war ja erst drei Jahre zuvor in den Zentralvorstand aufgerückt. Doch dann musste sein Mentor Heinrich von Pierer, der über Jahrzehnte „Mr. Siemens“ verkörpert hatte, den Aufsichtsratsvorsitz abgeben, und schließlich zögerte dessen Nachfolger Gerhard Cromme, Kleinfelds Vertrag zu verlängern. Kleinfeld ließ das nicht auf sich sitzen und kündigte seinen Rückzug an: „Ich erachte die Unklarheit über die Führung sowie über meine Person für belastend und untragbar für das Unternehmen“, erklärte er – und bot an, so lange weiter im Amt zu bleiben, bis ein Nachfolger gefunden sei.

Das war dann einen Monat später der Fall, als Peter Löscher anheuerte. Kleinfelds Amtszeit ist die kürzeste in der mehr als 160-jährigen Geschichte des Unternehmens. Was seine Gedanken waren, als er zum letzten Mal aus der Münchner Siemens-Zentrale auf den Wittelsbacherplatz trat? Kleinfeld zögert nicht: „Jetzt geht ein Abschnitt meines Lebens zu Ende, und ein neuer beginnt.“ Und er bekräftigt: „Ich bin damit völlig im Reinen gewesen. Ich bin freiwillig gegangen. Das Problem ist erst danach entstanden.“

Danach: Das ist die Zeit, als Siemens von der alten Führungsriege Schadenersatz forderte, auch von ihm. Kleinfeld wurde zwar strafrechtlich nie belangt und bestreitet, von den Schmiergeldzahlungen auch nur etwas geahnt zu haben. Trotzdem zahlte er dem Unternehmen am Ende zwei Millionen Euro und ließ es nicht auf einen Prozess ankommen. „Irgendwann müssen Sie sich die Frage stellen, ob Sie einen Schlussstrich ziehen“, sagt er dazu. „An der Stelle dürfen Sie sich die Gerechtigkeitsfrage nicht mehr stellen.“

Der Blick nach vorne, wieder mal, denn alles ist für irgendetwas gut. „Ich führe doch ein super, super Leben. Ich bin nicht sicher, wie es wäre, wenn es anders gelaufen wäre“, sagt er. „Es wäre ungerecht, kritisch zu sein.“ Kleinfeld bestreitet, Bitterkeit zu empfinden. Was ihm Siemens bedeute? „Tolle Firma, gute Zeit“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. „Ich habe viele Herausforderungen meistern dürfen. Jede gute Nachricht von Siemens freut mich bis heute.“

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Er sitzt in einem stark gekühlten Besprechungszimmer, am Kopfende eines Tisches mit zehn Stühlen, deren Blumenmuster sich auch auf der grünen Seidentapete finden. Er will sich öffnen, die Dinge gerade rücken, so scheint es jedenfalls. Zum Beispiel, dass er angeblich so gerne Cola light trinke. „Cola light ist nur Teil meines verzweifelten Kampfes, einen guten Tee zu bekommen. Ich trinke ja keinen Kaffee“, erzählt er und schenkt frisch aufgebrühten Morgentau-Tee nach. Falsch sei auch die Behauptung, dass er schon früh auf die USA geeicht gewesen sei. „Amerika hat mich nicht geprägt, das ist ein mediales Märchen.“ London dagegen habe ihn wirklich beeindruckt, als er mit einem Schulfreund hinfuhr, im YMCA wohnte und durch Musikclubs zog. Zu jener Zeit habe er daheim sogar in einer Band gesungen, und lange Haare habe er natürlich auch gehabt.

Heute allerdings setzt er ganz auf Amerika. „Ich fühle mich absolut zu Hause. Ich bin angekommen.“ Zwar hat Alcoa seinen Sitz in Pittsburgh, aber die Führungsebene residiert mit 60 Mann in Manhattan. Lebensmittelpunkt ist sein Anwesen nördlich der Stadt, dort lebt er mit seiner Frau, einer früheren Mitschülerin, die er vor fast 30 Jahren geheiratet hat. Die Kinder sind erwachsen: Die ältere Tochter studiert in Yale, die jüngere fängt im Herbst an der New York University an. Klaus Kleinfeld macht keine Anstalten, zurück nach Deutschland zu gehen. „Ich sehe mich auch in zehn Jahren eher in Amerika. Ich kann mir sogar vorstellen, mich einzubürgern.“ Nach seiner aktiven Zeit im Management wolle er eigenes Geld in junge Unternehmen investieren.

Deutschland interessiert ihn aber aus der Ferne doch noch. Die Energiewende hat er als „Risiko für die industrielle Entwicklung in Deutschland“ kritisiert, und als Karl-Theodor zu Guttenberg in Bedrängnis geriet, verfolgte er das genau. Schließlich waren die persönlichen Umstände während seiner Promotionen denen von Guttenberg sehr ähnlich: Er hatte seinen ersten Job bei Siemens angetreten, die erste Tochter war gerade auf der Welt. Zweimal hat er sich das Rücktrittsstatement Guttenbergs auf Youtube angeschaut und dann sein Urteil gefällt. „Diese Rede war nicht durch Einsicht geprägt. Selbstmitleid kann ich auf den Tod nicht leiden“, sagt er.

Nach Bremen kommt er nur noch selten, meistens übernachtet er dann auf dem Klappsofa in der 56-Quadratmeter-Wohnung seiner Mutter. Aber wenn er mit seinem Bürokram dort einfällt, wenn er mitten in der Nacht anfängt zu telefonieren und Mails zu schreiben, kommt er sich fremd vor. Vielleicht erinnert ihn die Wohnung auch noch an den Tag, an dem sein Vater starb.

Zehn Jahre alt war er damals und wunderte sich, als der Vater lange vor Feierabend nach Hause kam. Wann wäre das schon einmal vorgekommen? Wieso legte er sich am helllichten Tag ins Bett? Der Junge wollte wissen, was los ist. Er hoffte darauf, dass der Vater aufwacht, wenn er ihn an den Füßen kitzelt. Anfangs bewegten sich die Zehen noch, dann nicht mehr. Die Mutter rief einen Krankenwagen, der Junge musste allein zu Hause bleiben, bis sie mit einer Nachricht zurückkehrte, die sein Leben veränderte: Der Vater ist tot. Hirnschlag.

Eigentlich hatte die Familie damals gerade in eine neue, größere Wohnung umziehen wollen. Die Mutter sagte ab und suchte sich einen Job im Supermarkt. „Das war extrem disruptiv“, sagt Klaus Kleinfeld über das erste Trauma seines Lebens. Und meint damit: verstörend. Es ist, als ob er über jemanden anderen spräche. Der Blick nach vorne, das ist vielleicht auch ein Akt der Verdrängung.

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