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Mangelware. Viele Flüge mussten ausfallen, weil nicht genügend Enteisungsmittel vorrätig war.

© dpa

Flugausfälle: Keiner will für den Winter haften

Nachdem hunderte Flieger am Boden blieben, streiten Airlines, Flughäfen und Dienstleister über die Kosten. Kann es sein, dass die Flughäfen einer Millionenstadt lahmliegen, weil irgendjemand nicht genug von einer Chemikalie geliefert hat?

Berlin - Wenn man der Billigfluggesellschaft Easyjet glauben mag, ist der Winter in Berlin etwas ganz Besonderes. Nicht besonders schön, dafür besonders kompliziert. Die britische Airline verschickte am Freitagmittag eine Liste, die aussah, als handele es sich um den DNA-Code des Wettergottes: EZY4673, EZY4674, EZY4631 gefolgt von 17 weiteren Flugkürzeln mit weiteren Angaben. Hinter jeder Nummer steckte hundertfacher Passagierfrust. Es war die Liste der Flüge, die Easyjet vorsorglich habe annullieren müssen. „Grund sind die gravierenden Lieferengpässe bei Enteisungsmitteln“, hieß es. Celine Prenez, Sprecherin in der Londoner Zentrale, sagte dem Tagesspiegel, dass es zwar auch andernorts in Europa zu Ausfällen gekommen sei – aber nur in Berlin sei dies auf einen Mangel an Enteisungsmitteln zurückzuführen.

Kann es sein, dass die Flughäfen einer Millionenstadt lahmliegen, weil irgendjemand nicht genug von einer Chemikalie geliefert hat? Das „Enteisungsmittel“, chemisch Propylenglycol, musste bereits am Vortag als Begründung dafür herhalten, dass fast alle Airlines zusammen hunderte Flüge streichen mussten. Fluggesellschaften wie Air Berlin, Flughäfen, aber auch der Bodendienstleister Globeground, dessen Mitarbeiter die Flugzeuge damit enteisen sollen, schoben die Schuld direkt oder indirekt auf einen Hersteller, die Schweizer Chemiefirma Clariant. Die beliefert europaweit 100 Flughäfen mit dem Stoff, mit dem man Schnee und Eis von den Tragflächen entfernen kann. Von einem Werk im oberbayrischen Gendorf aus beliefert Clariant auch Berlins Flughäfen mit Tank-Lkw.

Zwar blieben einige davon auf dem Weg in die Hauptstadt im Stau stecken, auch räumte Clariant ein, der Nachfrage nicht ganz folgen zu können. Allerdings zeigten sich Branchenbeobachter am Freitag sehr erstaunt darüber, dass alles an dieser Chemikalie hängen soll. „Ich war mehr als überrascht, als ich das hörte“, sagte Eric Heymann, Verkehrsanalyst bei Deutsche Bank Research am Freitag. Und er hält es auch für schwierig, allein den Lieferanten für Flugausfälle verantwortlich zu machen – ohne die Verträge zu kennen, könne er sich vorstellen, dass auch Clariant auf „höhere Gewalt“ verweisen könnte. Der durch die Flugausfälle entstandene Schaden sei schwierig zu beziffern. Auch dürfte der frühe Wintereinbruch keine nachhaltigen Schäden im Betriebsergebnis hinterlassen. „Ich vermute, dass wetterbedingte Ausfälle insgesamt weniger als ein Prozent des Ergebnisses ausmachen“, sagte Heymann.

Betriebswirtschaftlich sind die Ausfälle also zu vernachlässigen, trotzdem schien es, als wollten alle Beteiligten die Schuld möglichst weit von sich schieben. Bei Air Berlin gab man sich am Freitag aber schon vorsichtiger als am wetterchaotischen Donnerstag: „Wir führen Gespräche und unterziehen die Vorfälle einer juristischen Prüfung“, sagte eine Sprecherin. Ob man Schadenersatzansprüche geltend machen werde – und wenn ja, gegen wen, dafür sei es noch zu früh.

Bei Deutschlands größter Fluggesellschaft Lufthansa, die am Donnerstag 53 von 61 Flügen ab Berlin-Tegel streichen musste, verwies man weniger auf den Hersteller der Chemikalie als auf die Berliner Flughäfen. „Es kann doch nicht sein, dass es dort offenbar nur Tankkapazitäten für 24 Stunden gibt. Zumindest beim Bau des BBI sollte man darauf achten, dass man dort Enteiser für einige Tage lagern kann“, sagte Sprecher Wolfgang Weber. Zugleich versuchte er, die Aufregung zu dämpfen. In Frankfurt am Main, wo der Flughafen von Clariants britischem Wettbewerber Kilfrost mit der Chemikalie beliefert wird, werde Lufthansa wohl auf rechtliche Schritte verzichten. „Am Ende war wohl auch Petrus mit schuld.“

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