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Mathematik lohnt sich. Wer promoviert geht in der Regel in die Forschung. Wechselt ein Wissenschaftler dann in die Wirtschaft, kann er damit rechnen, 30 bis 50 Prozent mehr zu verdienen. Foto: dapd

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Wirtschaft: Formeln fürs Risiko

Die Wissenschaft bietet nur wenige Jobs für Mathematiker und Naturwissenschaftler mit Doktortitel. In den Risikoabteilungen der Banken sind sie umso gefragter.

Wenn Bastian Laubner für einen Laien erklären soll, was er in seiner Doktorarbeit gemacht hat, holt er erst einmal tief Luft. Und sagt dann, dass er versucht hat, die Komplexität von Algorithmen mit mathematischer Logik zu erfassen. Im Prinzip ging es um die Frage, ob eine Aufgabe für einen Computer leicht oder schwer zu lösen ist.

Wenn Laubner einem Laien erklären soll, was er heute in seinem Job macht, kommt ihm das viel schneller über die Lippen. „Heute arbeite ich in der Bank daran, Risiken über Portfolios abzuschätzen und Ausfallwahrscheinlichkeiten zu berechnen, etwa bei Krediten“, sagt der Mathematiker, der in theoretischer Informatik promoviert hat. „Diese Risiken simulieren wir mit komplexen mathematischen Modellen. Wir fragen etwa: Entsprechen die ursprünglichen Annahmen noch der Realität? Oder müssen wir sie anpassen? Vielfach geht es darum, Daten auszuwerten und statistische Tests anzuwenden.“

Laubner arbeitet im internationalen Zentrum für Risikomanagement der Deutschen Bank, ein Zentrum, das das Institut vor nicht einmal zwei Jahren geschaffen hat. 500 bis 700 Mitarbeiter sollen dort einmal arbeiten.

SONDERKONJUNKTUR NACH DER KRISE

Laubner hat in einem Bereich angefangen, in dem Mathematiker wie er, aber auch Physiker oder Ingenieure, keine Exoten sind. Die Risikoabteilungen der Großbanken wachsen, seitdem die Finanzkrise die Mängel sichtbar gemacht hat und die Regulierer höhere Anforderungen stellen. Sie bieten Einstiegschancen für Naturwissenschaftler und Zahlenexperten in eine Branche, die insgesamt eher durch Stellenabbau von sich reden macht.

„Der Kampf um Fachkräfte wird auch auf diesem Feld immer aggressiver geführt, die Institute werben gezielt an den Universitäten und bei der Konkurrenz“, sagt Dirk Lubig von der Beratung Bain & Company. Doch diese „Sonderkunjunktur“, wie Tiemo Kracht, Geschäftsführer von Kienbaum Executive Consultants sie nennt, dauert nicht ewig an.

Wer ein Mathematik- oder Physikstudium hinter sich und die Promotion abgeschlossen hat, scheint nicht darauf aus, in der Wirtschaft anzufangen. „Generell promoviert man in Mathematik oder Physik nicht, um einen bestimmten Job in der Wirtschaft zu bekommen, sondern hat eine wissenschaftliche Karriere im Blick“, sagt Laubner. Er entschied sich für die Promotion, weil er das wissenschaftliche Arbeiten spannend fand, merkte aber, dass die Karriere in der Wissenschaft mit einem sehr engen Arbeitsgebiet verbunden war. „Als Professor arbeitet man seine gesamte wissenschaftliche Laufbahn in einem bestimmten Themengebiet“, sagt er.

Heute sieht er direkt, welchen Nutzen seine Berechnungen haben. Für viele Forscher ein Grund, in Unternehmen zu wechseln, sagt Experte Kracht. „Viele wollen weg von den Trockenübungen, ihr Wissen auch praktisch anwenden und Nutzen stiften.“ Ohne Erfahrung wird das aber schwerer. Auch Laubner hat schon an der Universität zusätzliche Kurse in Finanzmathematik belegt. Das Interesse kam mit der Finanzkrise. Jene Krise, die zu schärferen Regeln geführt hat – und zu einer Aufstockung des Risikocontrollings und Risikomanagements. „Die Banken haben die Vergrößerung der Risikoabteilungen auch als Selbstschutzfunktion gesehen, um der Öffentlichkeit zu signalisieren, dass sie aus ihren Fehlern lernen“, sagt Lubig.

Und das lassen sie sich einiges kosten. „Ein promovierter Mathematiker, der ins Risikomanagement einer Großbank einsteigt und Berufserfahrung hat, verdient etwa 70 000 bis 80 000 Euro im Jahr“, sagt Kracht. Als Teamleiter seien es zwischen 75 000 und 95 000 Euro, als Gruppenleiter 85 000 bis 100 000 Euro und ein Abteilungsleiter mit Personalverantwortung liege deutlich über 150 000 Euro. Wer wechselt, kann direkt mit einem Plus von 30 bis 50 Prozent rechnen, in einer Führungsposition verdienen die Experten dann das Zwei- bis Dreifache dessen, was in der Wissenschaft gezahlt wird.

WANN ENDET DER BOOM?

Über sein Gehalt will der Physiker Jens Pruschke, der im Risikocontrolling der Commerzbank arbeitet, nicht sprechen. Nur so viel: Er sei zufrieden. „In der Wissenschaft sehe ich für mich keine vergleichbare Perspektive“, sagt Pruschke. In seiner Doktorarbeit an der Technischen Universität Darmstadt hat er sich damit beschäftigt, wie im Frühstadium des Universums Materie entstanden sein könnte. Heute bewerten und überwachen er und seine Kollegen die Risiken, die die Bank etwa bei der Kreditvergabe eingeht. Im Trainee-Programm hat er viele Abteilungen kennengelernt, dass er schließlich im Risikomanagement anfing, war vorgezeichnet. „Der Bereich ist gerade für einen Physiker wie mich sehr interessant.“

Seit mehr als 25 Jahren finden Mathematiker und auch Physiker in der Finanzindustrie Jobs, vor allem im Investment-Banking, wo heute viele Institute Stellen streichen. „Seit zehn Jahren stellen die Banken auch im Risikomanagement und der Gesamtbanksteuerung immer mehr Mathematiker oder Physiker ein“, sagt Kienbaum-Experte Kracht. „Angesichts der komplexen Produkte und Abläufe in den Investmentabteilungen der Banken werden Mathematiker die Ökonomen auf lange Sicht verdrängen“, sagt Ralf Korn, Abteilungsleiter Finanzmathematik am Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik. Es falle Ökonomen zunehmend schwerer, komplexe Modelle der Finanzmathematik zu verstehen.

Wie lange aber geht der Aufbau der Risikoabteilungen noch weiter? Bain-Experte Lubig sieht eine „extreme Aufblähung der Risiko-, Compliance- und Verbraucherschutzabteilungen“. Ob die Institute die Mitarbeiter halten können? „Der Kostendruck nimmt weiter zu, aber im Moment sind die Risikoabteilungen noch 'heilige Kühe' aus Angst vor möglicher negativer Signalwirkung und schlechter Publicity“, sagt Lubig.

Kienbaum-Geschäftsführer Kracht ist überzeugt: „Hier wird es eine Konsolidierung geben, wenn bankintern wieder andere Themen ganz oben auf der Agenda stehen.“ HB

Stefani Hergert

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