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Einer von vielen. Affen werden immer häufiger benutzt. Das Bild von 2008 zeigt den Langschwanzmakaken Winnie am Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg.

© dpa

Forschungstests in Berlin: Hauptstadt der Tierversuche

In keiner Stadt wird soviel an Tieren geforscht wie in Berlin. Obwohl es bereits viel versprechende Entwicklungen gibt, wird sich das auch künftig nicht ändern – zum Leidwesen der Tiere.

Affenmännchen „Fargam“ sei wieder wohlbehalten auf die Erde zurückgekehrt, meldete kürzlich die staatliche Nachrichtenagentur des Iran. Staatspräsident Hassan Ruhani beglückwünschte die verantwortlichen Wissenschaftler zu dem gelungenen Test. Das kann er auch, denn „so gut wie alle Tiere werden bei Tierversuchen getötet“, erklärt Corina Gericke, Vize-Vorsitzende des Vereins Ärzte gegen Tierversuche. Prominentestes Beispiel hierfür ist die russische Hundedame Laika, der erste Vierbeiner im Weltall, der 1957 nach wenigen Stunden Flug qualvoll verendete.

Mehr als 170000 Tiere kamen dazu

Während sich heutzutage einige Forscher auf Alternativen zu Tierversuchen spezialisiert haben, spricht eine Bundesstatistik des Landwirtschaftsministeriums eine andere Sprache: Die Versuchstierzahlen sind 2012 auf mehr als drei Millionen angestiegen, das sind 170 000 Tiere mehr als im Vorjahr.

„Die Dunkelziffer getöteter Tiere liegt aber weit darüber“, sagt Gericke. Denn obwohl nach der Tierschutzverordnung Tierversuche immer anzeige- oder genehmigungspflichtig sind, werden Zuchttiere oft eingeschläfert, wenn sie über ein bestimmtes Alter hinaus sind – für sie gibt es dann keine Verwendung mehr.

Über 2,2 Millionen Mäuse, etwa 420 000 Ratten und mehr als 160 000 Fische führen die Statistik der Versuchstiere an. Aber auch Kaninchen, Hunde. Katzen und Affen werden bei Forschern immer beliebter. Unter den Säugetieren ist vor allem die Hunderasse „Beagle“ besonders gefragt. Sie gelten bei Hundeliebhabern als treu, duldsam und robust. Diese Eigenschaften werden ihnen zum Verhängnis, denn sie sind auch für Forschungszwecke von Vorteil.

In der Kosmetikaherstellung sind Tierversuche verboten

Berlin gilt als Hochburg für Tierversuche: 2012 wurden über 14 Prozent der Versuchstiere in der Hauptstadt verwendet. Damit steht Berlin deutschlandweit hinter Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen auf Platz drei. In den vergangenen zwei Jahren sind die Versuchszahlen nochmal deutlich gestiegen: 2012 wurden in Berlin 436 163 Tiere vom Landesamt für Soziales und Gesundheit für Versuche freigegeben.

Die meisten Tiere fallen der Grundlagenforschung zum Opfer, aber auch in der Toxikologie gibt es viele Tierversuche. Impfstoffe, Antibiotika sowie Mittel zur Behandlung von Allergien und Krebs werden an den Tieren getestet. Nach einer EU-Bestimmung sind Tierversuche für die Kosmetikaherstellung seit März dieses Jahres verboten. Kritiker bemängeln aber vor allem, dass hierbei nicht auf die individuelle Leidensfähigkeit der Tierarten eingegangen wird. Um möglichst wenig Leid zu verursachen, müsse man heranziehen, was über Nervensystem und Verhalten der Tiere bekannt sei.

„Tierversuche sind nicht nur aus moralischen, sondern auch aus wissenschaftlichen Gründen abzulehnen“, erklärt Tierärztin und Versuchsgegnerin Gericke. Aufgrund unterschiedlicher Beschaffenheiten der Tierkörper würden Ergebnisse nur in seltenen Fällen Rückschlüsse auf den menschlichen Organismus zulassen. „Man hat bereits Millionen Mäuse von Krebs geheilt, das kann beim Menschen aber so nicht funktionieren“, schilderte Corina Gericke dem Tagesspiegel.

"Auch die besten Computersimulationen können müssen an Organismen geprüft werden"

Walter Rosenthal, Vorstandsvorsitzender des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin-Buch, sieht das anders: „Kein noch so ausgefeiltes Reagenzglasexperiment kann Alzheimer simulieren, und auch die besten Computersimulationen müssen an Organismen überprüft werden“, sagte er anlässlich des „Tages zur Abschaffung von Tierversuchen“. Etwa ein Drittel der Versuche wird in Berlin vom MDC durchgeführt. Der verantwortliche Sprecher des Instituts war nicht zu erreichen, ob das den nahenden Feiertagen oder der Brisanz des Themas geschuldet war, bleibt reine Spekulation.

Auf der Internetseite des Forschungszentrums heißt es: „Niemand am MDC tötet gerne Tiere oder tut ihnen weh“. Über das deutsche Tierschutzgesetz hinaus halte man sich außerdem an die Drei-R-Regel: „Reduce, refine, replace“ stehen auf Deutsch für das Reduzieren, Verbessern und Ersetzen von Tierversuchen. Gründe dafür seien nicht nur „ethische Grundsätze, sondern auch finanzielle Erwägungen“. Im Kontrast dazu steht der Bau eines weiteren Forschungszentrums des MDC in Buch, das bis 2016 fertig werden soll. Hier sollen Käfige mit Platz für weitere 12 000 Mäuse unterkommen – Kostenpunkt: 24 Millionen Euro.

"Tierversuche weiterhin notwendig"

Obwohl auch Universitäten Tierversuche durchführen, engagiert sich die Freie Universität zu Berlin (FU) verstärkt im Bereich der alternativen Forschungsmethoden. Der Pharmakologe Günther Weindl züchtet im Labor der FU künstliche Hautmodelle, die anschließend mit menschlichen Immunzellen geimpft werden. Mithilfe dieser Entwicklung sind bereits große Erfolge eingefahren worden: Mittlerweile kann die Kunsthaut kommerziell hergestellt werden und hat in der Kosmetikbranche Tierversuche vollständig ersetzt.

Dafür verlieh ihm das Land Berlin im August den Forschungspreis für Ersatz- und Ergänzungsmethoden für Tierversuche. In den vergangenen Monaten habe man große Fortschritte gemacht, ersetzen könne man Tests an Tieren aber nicht. „Tierversuche werden auch in Zukunft notwendig sein“, sagt Weindl. „Die Tests müssen aber sinnvoll eingesetzt und Alternativmethoden weiterhin entwickelt werden.“

Manuel Vering

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