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Frankreich: Atomkraft – mais oui!

Die Franzosen beziehen 80 Prozent ihres Stroms aus Kernenergie. Die deutsche Debatte verstehen sie nicht.

Die französische Öffentlichkeit hat die Energiedebatte in Deutschland schon immer mit Skepsis verfolgt. Angesichts der aktuellen Kontroverse über die Verlängerung der Laufzeiten deutscher Kernkraftwerke fühlt man sich in Paris jetzt bestätigt. Eine „Radikalisierung des Konflikts“ zwischen Politik und Wirtschaft sieht die Zeitung „Le Monde“ in der „beispiellosen Attacke“, zu der die Chefs großer Unternehmen sowie Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft gegen die Regierung angetreten sind.

Nach Meinung des liberalen Pariser Blattes handelt es sich um einen „lange zurückgestauten Zorn“ über die „Unentschlossenheit der Bundeskanzlerin“, die damit nach den Worten eines namentlich nicht genannten Chefs eines Dax-Konzerns zulasse, „was die Grünen in 15 oder 20 Jahren nicht erreicht haben – die Entindustrialisierung Deutschlands“.

Ausführlich wird Hans-Peter Wills zitiert, der Chef von EnBW, an dem der staatliche französische Stromversorger Electricité de France (EdF) mit 45 Prozent beteiligt ist: „Die breite Unterstützung von Wirtschaft und Wissenschaft für einen Energiemix unter Einschluss des Atoms zeigt, dass Energiepolitik nicht allein Umweltpolitik sein kann, sondern auch Industriepolitik sein muss.“

Unter den Differenzen, die trotz der engen Zusammenarbeit in Politik und Gesellschaft zwischen Frankreich und Deutschland bestehen, steht die Frage, welchen Platz die Atomenergie in einer das Klima schonenden Energiepolitik einnehmen soll, an erster Stelle. Frankreich bezieht 78 Prozent seiner Elektrizität aus der Atomkraft. Über diese Vorrangstellung der Nuklearenergie hat es so gut wie nie politische Debatten gegeben. 1974, nach der Ölkrise, verkündete die damalige Regierung das Ziel, Frankreich durch die Entwicklung der Atomenergie unabhängig vom Öl zu machen. In Sachen Atom herrscht bei den Franzosen seitdem ein breiter Konsens. Die Nuklearenergie gilt als technisch sicher, trotz einiger Pannen, wie zuletzt vor zwei Jahren, als im südfranzösischen Avignon 30 000 Liter einer radioaktiven Uranlösung aus der Anlage Tricastin in die Erde gesickert waren. Die Atomkraft gilt vor allem auch als „saubere Energie“ ohne nennenswerten Ausstoß des klimaschädlichen CO2. Wind- und Sonnenenergie fallen in Frankreich bislang kaum ins Gewicht, auch wenn ihr Anteil langsam zunimmt.

58 über das ganze Land verteilte Atommeiler produzieren zusammen 450 Milliarden Kilowattstunden Strom. Die Lebensdauer von einem Drittel der jetzt installierten Reaktoren reicht bis 2020. Der noch zusammen mit Siemens vom französischen Nuklearkonzern Areva entwickelte Reaktor der dritten Generation (EPR) soll 2014 in Betrieb genommen werden. Frankreich hofft auf eine weltweite Renaissance der Kernenergie – die den EPR zum Exportschlager machen soll. Das der Reaktor erst mit zweijähriger Verspätung und einer Steigerung der Baukosten von 3,3 auf 5 Milliarden Euro an den Start geht, schmälert die Euphorie ebenso wenig wie der Misserfolg bei den Bemühungen um einen Kooperationsvertrag mit den Emiraten.

Die Produktionskosten des Atomstroms betragen in Frankreich schätzungsweise 40 Euro je Megawattstunde, gegenüber durchschnittlich 65 Euro im übrigen Westeuropa. Das bedeutet nach EdF-Angaben für die Verbraucher einen Preisvorteil von 60 Prozent im Vergleich zu Deutschland. Infolge des hohen Atomanteils an der Energieproduktion werde in Frankreich siebenmal weniger CO2 produziert als im Rest Europas. Ungelöst ist jedoch nach wie vor die Frage der Endlagerung des Atommülls.

Dem von der rot-grünen Bundesregierung beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie steht Paris von jeher skeptisch gegenüber. Wenn Deutschland ernsthaft für einen höheren Klimaschutz sorgen wolle, ohne seine Energieversorgung zu gefährden, solle es vom Atomausstieg Abstand nehmen, hat Präsident Nicolas Sarkozy einmal in seiner unverblümten Art der Bundeskanzlerin geraten.

Was man jetzt in Frankreich davon hält, wie die Bundesregierung versucht, zwischen den Interessen der Industrie und dem Druck der Atomkraftgegner einen Kompromiss zu finden, fasst der regierungsnahe „Le Figaro“ so zusammen: „Bis auf Weiteres werden die Deutschen weiter mit ihren Kohlekraftwerken die Luft verschmutzen und aus Frankreich den Atomstrom beziehen, den sie für ihr industrielles Wachstum brauchen.“

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