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Frankreich: Mysteriöse Selbstmordserie bei Renault

Drei Männer haben sich das Leben genommen, nun steht ihr Arbeitgeber am Pranger. Ausgerechnet beim einstigen Staatskonzern Renault scheint der Druck so groß zu sein, dass einige Beschäftigte ihn nicht mehr aushalten.

Paris - Lange galt Renault in Frankreich als soziales Vorzeigeunternehmen. Nun ist die Betroffenheit groß, die Suche nach den Schuldigen heikel. Der letzte Renault-Selbstmörder schilderte in einem Abschiedsbrief Probleme am Arbeitsplatz. Er wurde vergangene Woche in seiner Wohnung erhängt gefunden. Die Todesursache ist klar, die Versailler Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen zu den Hintergründen auf. Sie nimmt die Arbeitsbedingungen im Renault-Entwicklungszentrum Guyancourt unter die Lupe.

Der Autobauer will den dritten Selbstmord innerhalb von vier Monaten im Herzstück seines Konzerns nicht auf die leichte Schulter nehmen. Das neuerliche Drama "stellt uns viele Fragen", räumt die Firmenspitze ein. Jeder stehe nun vor "seinem Teil der Verantwortung". Dabei seien die Arbeitsbedingungen im "Technocentre" vor den Toren von Paris "nicht die schwierigsten". In Guyancourt arbeiteten "leidenschaftliche Ingenieure, die Autos entwickeln", beteuert Renault. Es sei "sehr schwierig", einen Zusammenhang zwischen den Selbstmorden und dem Entwicklungsplan "Renault Contrat 2009" herzustellen.

Die Witwe ist ratlos

Die Gewerkschaften haben weniger Probleme, einen solchen Zusammenhang zu sehen. Der vor einem Jahr verkündete Plan von Konzernchef Carlos Ghosn soll ein Turbo sein, um Renault in den kommenden Jahren zum profitabelsten Autobauer Europas zu machen, immerhin ganz ohne Stellenabbau. Das bedeutet im Klartext: Ghosn setzt auf mehr Produktivität und auf eine Reihe neuer Wagen, die die Kauflust der Autofahrer anregen sollen. 26 Modelle sollen bis 2009 kommen, 13 davon als völlige Neuentwicklungen.

Alle Autos werden im riesigen Zentralbau des "Technocentre" entworfen, der bei den Beschäftigten "Bienenkorb" heißt und auf Außenstehende eher wie ein Ameisenhaufen wirkt. Im Oktober stürzte sich hier ein Renault-Informatiker aus dem fünften Stock in den Tod, im Januar ertränkte sich ein Ingenieur in einem Teich in der Nähe. In einem Schweigemarsch gedachten mehrere hundert Beschäftigte vor drei Wochen der beiden Toten.

Die Witwe des jüngsten Opfers ist ratlos: "Ich weiß nicht, ich weiß nicht mehr", sagte sie im Radio. "Ich weiß nicht, was ich denken soll, ich schlafe nicht. Ich bin nicht wütend, ich hasse niemand, ich will keine Klage einreichen, ich will nichts machen, ich will mein Kind schützen." Der Fünfjährige ramme seinen Kopf gegen den Boden. Sein Vater wurde 38 Jahre alt.

Arbeitsschutzexperten sprechen von "Belästigung"

Die Firmenleitung sehe bloß "persönliche Probleme" hinter den Selbstmorden, ärgert sich Gewerkschafter Pierre Nicolas. "Aber wir denken, dass das Angst einflößende Klima im Unternehmen damit etwas zu tun hat." Für Nicolas hat der Stress am Arbeitsplatz viele Quellen: ein System zur Arbeitnehmer-Bewertung, Standortverlagerungen, die von der Firma geförderte Konkurrenz zwischen jungen Ingenieuren und alten Technikern, fehlende Anerkennung - "all dies führt zu großem Unbehagen". Sein Kollege Alain Guéguène betont, bisher gebe es bei Renault zwar noch keine Stellenstreichungen. "Aber heute verkaufen wir weniger, und wir fürchten, dass auch wir früher oder später daran glauben müssen."

Vor dem Selbstmord im Januar habe der verzweifelte Ingenieur auf dem Bildschirm an seinem Arbeitsplatz für alle sichtbar die Zusammenfassung seines Gesprächs mit den Vorgesetzten stehen lassen, betont Arbeitsschutz-Experte Jean Hotebourg von der Gewerkschaft CGT. Er sieht in allen drei Todesfällen "Belästigung" durch Vorgesetzte als den "Tropfen", der das Fass zum Überlaufen brachte. Bei Renault sei es in Mode gekommen, Bemerkungen über die Arbeit eines Beschäftigten in Anwesenheit seiner Kollegen zu machen, sagt Hotebourg. Renault weist die Anschuldigungen zurück und will sich verstärkt um das Personalmanagement kümmern. (Von Reinolf Reis, AFP)

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