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Containerterminal. Heute liegen die Zölle beim Warenverkehr zwischen den Vereinigten Staaten und Europa im Durchschnitt bei vier Prozent.

© IMAGO

Freihandel zwischen den USA und Europa: Die nächste Phase der Globalisierung

An diesem Montag gehen die Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen weiter. Die Beziehungen sind belastet - doch am Sinn einer Übereinkunft zweifelt kaum jemand.

Das lustige Andenken aus Washington, das bis vor kurzem an der Bürotür hing, ist verschwunden. Die Postkarte hatten die Beamten der EU-Kommission auf ihren Plätzen gefunden, als nach einem langen Verhandlungstag in den tiefgekühlten Räumen des US-Handelsministeriums noch ein Abendessen mit Lobbygruppen auf dem Programm stand. „Wir danken der EU-Kommission“, stand auf der Karte, „dass sie ihre Verhandlungsposition der NSA zugänglich macht.“ Das Lachen blieb den Brüsseler Verhandlern im Halse stecken. Sie fragen sich, warum sie ihre Dokumente verschlüsseln, wenn Amerikas Geheimdienst wohl ohnehin mitliest.

Die Beziehungen sind belastet wie lange nicht mehr. Der Spähskandal hat den atlantischen Graben tiefer werden lassen. Und doch reden Europäer und Amerikaner über ein Freihandelsabkommen. Es war Kanzlerin Angela Merkel, die beides nicht miteinander vermengen wollte: „Wer rausgeht, muss wissen, wie er wieder reinkommt“, sagte sie beim EU-Gipfel im Oktober zur Forderung, die Gespräche unter Protest auszusetzen. Sie sind zu wichtig. „Wir arbeiten an einem geopolitisch relevanten Abkommen“, lautet die Einschätzung von EU-Handelskommissar Karel de Gucht: „Wir reden hier nicht über Peanuts, sondern die nächste Phase der Globalisierung.“

Es ist ein trüber Dezembertag in Brüssel. Auf den Dächern des Nato-Hauptquartiers stehen Scharfschützen, darüber kreisen Hubschrauber – ein sicheres Zeichen dafür, dass die Amerikaner kommen. John Kerry entsteigt einer schwarzen Limousine. Barack Obamas Chefdiplomat hat mit den Kollegen aus Europa viel zu bereden. Krieg in Afghanistan, Syriens Chemiewaffen, Stress mit den Russen – das große Ganze. In diese Reihe gehört an diesem Tag zum ersten Mal auch das Abkommen über ein Transatlantic Trade and Investment Partnership, kurz TTIP. Kerrys Vorgängerin Hillary Clinton hat dafür den Begriff der „Wirtschafts-Nato“ geprägt – ein Verteidigungsbündnis gegen ökonomische Emporkömmlinge wie China, Indien oder Brasilien. Hinter verschlossenen Türen, so berichten Teilnehmer, gibt John Kerry die Marschrichtung vor: „Europa braucht Amerika, und Amerika braucht Europa.“

Der Mann, der die Allianz schmieden soll, ist Ignacio Garcia Bercero. Europas Chefverhandler in den Gesprächen mit den USA hat Ende der 80er am Gründungsvertrag der Welthandelsorganisation mitgearbeitet und 2010 ein Abkommen mit Südkorea ausgehandelt. Mit den Amerikanern sei es „anders“, „aufregend“, sagt Bercero, weil es über die klassischen Elemente von Handelsgesprächen hinausgehe.

Über Liberalisierung redet der Spanier natürlich trotzdem. Die EU will zum Beispiel erreichen, dass sich ihre Firmen bewerben können, wenn US-Bundesstaaten Aufträge ausschreiben. Die Amerikaner hätten gern, dass ihre Rechtsanwälte in Deutschland Kanzleien eröffnen können. Zum Geschäft gehört auch der Abbau von Zöllen. Die liegen zwischen Europa und Amerika im Schnitt zwar bei nur vier Prozent, angesichts des gewaltigen Warenstroms wäre eine komplette Streichung dennoch lukrativ. Den größten Gewinn versprechen sich beide Seiten aber davon, dass technische Standards und Normen angeglichen und neue gleich gemeinsam entwickelt werden.

Größter Gewinner wäre die Autoindustrie, die deutsche zumal. Wenn etwa Daimler für den US-Markt keinen eigenen Blinker einbauen muss, spart das Geld. Und wenn das in Deutschland genehmigte Modell in den USA automatisch als straßentauglich gälte, wäre es noch günstiger. Um rund zehn Prozent könnten die Kosten durch solche Maßnahmen sinken, hat Joseph Francois vom Centre for Economic Policy Research in London errechnet: „Sie könnten auch eins von zehn Autos im Hafen von Rotterdam versenken statt es in die USA zu verschiffen!“

Jetzt wird in Washington wieder verhandelt. An diesem Montag beginnt die dritte Runde. Bercero hat 70 Experten dabei, die in 23 Arbeitsgruppen studieren, was die Amerikaner fordern und dies mit den eigenen Wünschen abgleichen – eine Woche lang. Bercero hat mit seinem Gegenüber Dan Mullaney die Tagesordnung besprochen, ihm seine Forderungen gemailt und mit den EU-Staaten besprochen, zu welchen Gegenleistungen sie bereit sind.

All dies findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der Vorwurf fehlender Transparenz hat bereits das Acta-Abkommen zur Bekämpfung der Produktpiraterie zu Fall gebracht. „Ich habe nicht die Absicht, zwei Mal gegen dieselbe Wand zu laufen“, sagt Handelskommissar de Gucht, weshalb nun Journalisten und Lobbyisten den Chefverhandlern nach den Verhandlungen Fragen stellen können. Es gebe natürlich Grenzen, sagt Bercero, „wir können nicht im öffentlichen Raum verhandeln“. In seinem Büro nehmen nicht nur Vertreter der Industrie, sondern auch von Umweltgruppen Platz. Einige Positionspapiere stehen online.

„Aus Sicht der Kommission mag das schon viel sein“, sagt Johannes Kleis von der Verbraucherorganisation BEUC, „aber es reicht natürlich nicht.“ Sein Verband, dem die Stiftung Warentest und die deutschen Verbraucherzentralen angehören, kritisiert: „Wirklich eingebunden sind wir nicht.“ Kleis verweist auf die rund 600 Unternehmen auf US-Seite, die unter dem Siegel der Verschwiegenheit exklusiven Dokumentenzugang haben: „Wir erfahren nur die Kapitelüberschriften“, kritisiert Kleis. Die Unwissenheit erzeugt Unruhe. Die Beteuerungen von Kommissar de Gucht, dass „wir nicht über die Einfuhr genveränderter Lebensmittel verhandeln werden“, steigern sie eher noch.

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