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Wirtschaft: Freihandelszone: Die lateinamerikanischen Staaten wollen bis zum Jahr 2005 eine Zollunion schaffen

Zoll oder nicht Zoll - diese Frage bewegt in Lateinamerika immer mehr die Gemüter. Seit die Region sich von der Asienkrise erholt hat, reden Chilenen, Brasilianer, Argentinier oder Mexikaner intensiv darüber, wie sie Handelsbarrieren untereinander abbauen könnten.

Zoll oder nicht Zoll - diese Frage bewegt in Lateinamerika immer mehr die Gemüter. Seit die Region sich von der Asienkrise erholt hat, reden Chilenen, Brasilianer, Argentinier oder Mexikaner intensiv darüber, wie sie Handelsbarrieren untereinander abbauen könnten. Die Vision, dass einmal Waren auf dem Landweg von Alaska bis Feuerland keinen einzigen Zoll passieren müssen, spukt wieder in den Köpfen lateinamerikanischer Staatsoberhäupter herum. Und mehr als das: Regelmäßig treffen sich alle, die einmal in einer Free Trade Area of the Americas (FTAA) vereint sein wollen - sie umfasst sämtliche Staaten auf dem amerikanischen Kontinent außer Kuba. Als Zeitpunkt haben sie das Jahr 2005 im Visier.

Doch die Initiative ist mehr als panamerikanisches Polit-Palaver. Zwar dürfte dieser Zeitplan für ein "Amerika einig Zolland" selbst Optimisten unrealistisch vorkommen. Dennoch ist sicher: Einige Länder der Region sind dabei, Handelsschranken abzubauen. "Es bewegt sich was in Lateinamerika", sagt Humberto Santamaria von der Dresdner Bank Lateinamerika. Inzwischen hätten sich die Staaten sogar über viele Details der FTAA geeinigt. Schon stünde fest, für welche Früchte, Autos oder Dienstleistungen die diversen Länder später noch einen Zoll verlangen dürfen. Allein es fehle am politischen Willen, die Vereinbarungen auch umzusetzen.

Darum wird es bis zur großen panamerikanischen Vereinigung noch mindestens ein Jahrzehnt dauern. Wichtige Länder nähern sich aber schon einander an. Der chilenische Präsident Ricardo Lagos scheint es ernst zu meinen mit den Worten, sein Land wolle dem Handelsbündnis Mercosur nicht mehr nur als assoziiertes Mitglied angehören. Längst hat sich der Mercosur zum bedeutendsten Handelsbündnis zwischen lateinamerikanischen Staaten entwickelt, mit einem Umsatz an Waren und Dienstleistungen zwischen seinen Mitgliedern von heute 20 Milliarden Dollar und einem Handelsvolumen mit allen anderen Staaten dieser Erde von rund 180 Milliarden. Das wirtschaftsstarke Land Chile wäre für das Bündnis ein Gewinn.

Bisher ist der Beitritt Chiles im Wesentlichen an Brasilien gescheitert, dem stärksten Mercosur-Land, das sich weigerte, die Schutzzölle zu senken. Während die Einfuhrzölle in den Mercosur-Ländern im Schnitt bei 14 Prozent liegen, verlangt Chile neun Prozent für fast alle Waren. Brasilien lenkte kürzlich ein: Auf dem letzten Treffen einigte es sich mit Chile auf eine zollfreie Zone. Im Handel mit anderen Ländern darf Chile weiterhin neun Prozent Zoll verlangen, während Brasilien inzwischen sogar erwägt, die Außenzölle von 14 auf 11 Prozent zu senken. "Über kurz oder lang wird sich auch Brasilien den Notwendigkeiten beugen", prophezeit der Volkswirt Santamaria: Schließlich wünsche auch dieses Land eine panamerikanische Zollunion - nur nicht so rasch. Denn auch Brasilien weiß: Die Mercosur-Staaten müssen wachsen, um gegenüber der EU - dem wichtigsten Handelspartner - besser auftreten zu können.

Auf der Suche nach Verstärkung haben sie sich an Südafrika gewandt, das bislang allerdings nur vages Interesse bekundete. Auch innerhalb des Bündnisses gibt es noch gewisse Hindernisse. Böse Zungen erinnern gern daran, dass kürzlich ein Sack Kaffee auf dem Weg von Brasilien nach Argentinien im Zoll stecken blieb, weil der Beamte die Faxnummer auf dem Sack nicht lesen konnte. Andere spotten, der Mercosur habe nicht mal eine anständige Adresse, lediglich ein kleines Büro in Montevideo, geschweige denn könne er ein Gericht bestellen, das Streitigkeiten schlichtet.

Wer aber jetzt verächtlich die Nase rümpft, sollte nicht vergessen: Der Mercosur ist gerade mal neun Jahre alt. Auch die fast dreißig Jahre alte EU hat eine Weile gebraucht, bis ihre Zollschranken fallen konnten. Und über den liberalen Geist der EU lässt sich bekanntlich noch heute streiten. Davon zeugt nicht zuletzt ihr Verhalten gegenüber dem Mercosur. So beklagt Peter Rösler, stellvertretender Geschäftsführer des Ibero-Amerika-Vereins, dass die Verhandlungen über Zölle zwischen Mercosur und EU wegen des europäischen Protektionismus zu keinem nennenswerten Ergebnis gekommen sind. In der Frage, ob Zölle auf landwirtschaftliche Produkte wie Wein, Äpfel oder Weizen gesenkt werden sollten, bleiben nämlich die Europäer seit Jahren hart.

Ohne Zweifel werde der Mercosur in seiner Bedeutung immer wichtiger, sagt Rösler. In der Tat hat sich das interne Handelsvolumen seit Entstehung des Bündnisses vervierfacht. Experten schätzen, dass der Handel nach der überwundenen Asienkrise spätestens im laufenden Jahr stark zunehmen wird. Allem Anschein nach rückt dem Mercosur auch der zweitstärkste Handelsbund Lateinamerikas näher: die Andengemeinschaft. Neulich hat Venezuelas Präsident Hugo Chavez den anderen Staaten der Gemeinschaft gedroht, sein Land werde dem Mercosur einfach alleine beitreten, falls die Zollschranken zwischen ihnen und dem Mercosur nicht endlich fielen.

Die Andengemeinschaft mag mit ihrem Handelsvolumen von rund 5,3 Milliarden Dollar mickrig wirken. Angesichts der wirtschaftlichen - und politischen - Probleme der Mitgliedsländer ist das aber nicht weiter erstaunlich. Das große Privileg, in einer Freihandelszone mit Industrieländern zu gedeihen, genießt nur Mexiko innerhalb des North American Free Trade Agreement (NAFTA) mit Kanada und den USA. Mexiko möchte aber dem Mercosur beitreten. Denn im Kampf um einen gebührenden Platz auf dem Weltmarkt haben alle Latinos begriffen: Stark sind sie nur gemeinsam.

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