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Wirtschaft: Frisches Kapital belebt die Börsen Südamerikas

BUENOS AIRES .Nach mehreren Monaten der Depression hat sich die Stimmung an den wichtigsten Börsen Lateinamerikas in jüngster Zeit markant verbessert.

BUENOS AIRES .Nach mehreren Monaten der Depression hat sich die Stimmung an den wichtigsten Börsen Lateinamerikas in jüngster Zeit markant verbessert.Mancherorts herrscht sogar schon wieder Euphorie.In Ciudad de Mexico sind die Kurse auf Höchststand geklettert, der Bovespa-Index in Sao Paulo hat seit Jahresbeginn rund 70 Prozent zugelegt, und selbst Buenos Aires, das unter den Folgen der Brasilienkrise monatelang litt, scheint für Anleger wieder interessant zu werden.

Der plötzliche Zustrom von Kapital läßt auf taktische Manöver verschiedener Anlagefonds in den Industriestaaten schließen.Das Gewinnpotential auf den europäischen Finanzplätzen und an der Wall Street scheint weitgehend ausgeschöpft.Auf der globalen Suche nach besseren Renditen bietet sich Lateinamerika an, dessen Börsen nach den Zusammenbrüchen in Südostasien, Rußland und Brasilien schwere Verluste hinnehmen mußten.Die Sauerstoffzufuhr aus dem Norden mag den Handel mit Papieren auf den Kapitalmärkten südlich des Rio Grande im Moment beleben.Doch die Eckdaten der realen Wirtschaft stützen die Begeisterung, die sich jetzt an den Börsen wieder breitmacht, in keiner Weise.

Instanzen wie die Interamerikanische Entwicklungsbank und die CEPAL (regionale Wirtschaftskommission der UNO) sagen dem Subkontinent für das laufende Jahr Nullwachstum voraus.Experten rechnen gar mit einem Rückgang der Gesamtproduktion um ein bis zwei Prozent.Die Automobilindustrie - Motor der Entwicklung in dieser Dekade - muß derzeit in Brasilien und Argentinien einen Absturz der Nachfrage um ein Drittel verkraften.Volkswagen und GM, Fiat und Ford haben Zehntausende Arbeiter entweder mit Lohnkürzungen für mehrere Wochen suspendiert oder aus dem Dienst entlassen.

Anders als während der vor vier Jahren in Mexiko ausgelösten "Tequila-Krise" werden die gegenwärtigen Spannungen durch eine Reihe ungünstiger Faktoren verschärft.Die Rohstoffpreise sind sowohl für die Produkte der Landwirtschaft wie auch des Bergbaus auf den niedrigsten Stand seit langem abgerutscht.Brasilien wird kaum in der Lage sein, wie damals als Lokomotive der Region den Zug wieder in Fahrt zu bringen.Das Image und die Mittel des Internationalen Währungsfonds für weitere Feuerwehraktionen sind ausgehöhlt.Von kurzfristigen, spekulativen Bewegungen abgesehen, wird man vom Fremdkapital wahrscheinlich keine starken Impulse erwarten können.

Insgesamt weist Lateinamerika zur Zeit ein Zahlungsbilanzdefizit in Höhe von rund 80 Mrd.Dollar aus.Diese für regionale Verhältnisse gigantische Summe entspricht ziemlich genau dem jährlichen Aufwand zur Bedienung der Ausland- und Binnenschulden, die auf über eine Billion Dollar angeschwollen sind.Mit wiederholten Sparmaßnahmen versuchen die Regierungen, ihren Etat unter Kontrolle zu halten.Damit aber werden die rezessiven Tendenzen und folglich auch die sozialen Spannungen vergrößert.Das Gewaltpotential nimmt bedrohlich zu.

Manche Anleger vertrauen offenbar darauf, daß Brasilien bald aus der Talsohle kommt.In der Tat hat die lokale Währung, der Real, nach der rasanten Januar-Abwertung einen Teil des Verlustes wieder aufholen können.Der Inflationsdruck bleibt - vor allem dank ausgeprägter Rezession - vorderhand gering, die Zinsen lassen sich offenkundig rascher als erwartet senken.Die kurzfristigen Verpflichtungen des Giganten Südamerikas sind jedoch nach wie vor erdrückend groß.Sollten die Fonds ihre Milliarden samt Kursgewinnen wieder abziehen, wird Lateinamerika ärmer sein als vor dieser jüngsten Invasion.

ROMEO REY

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