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Dass ein Haus wie Lehman, das jeden Tag Milliarden bewegte, untergehen könnte, hatte niemand geglaubt.

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Fünf Jahre nach Lehman: Das Milliardengrab

Die Finanzwelt stand am Abgrund, die Anleger waren in Panik – was nach dem Absturz der Investmentbank Lehman Brothers kam.

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Der Bankberater hat von einer sicheren Anlage gesprochen“, erzählt Brigitte Kuchs-Krupsky, „und wir haben ihm geglaubt.“ 10 000 Euro wollte ihr Mann damals, Ende 2006, bei der Hamburger Sparkasse anlegen. Der Banker empfahl Zertifikate der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers. Die lobte er als besonders vertrauenswürdig, als „Triple-A-Bank“. Das Ehepaar vertraute ihm. Zwei Jahre später war Lehman Brothers pleite, das Geld der Krupskys weg.

Dem Lehrerpaar aus Hamburg ging es damit wie vielen Anlegern weltweit. Allein in Deutschland sollen an die 50 000 Verbraucher ihr Geld in Lehman-Zertifikate gesteckt haben, die nach dem Zusammenbruch der Investmentbank praktisch wertlos waren. Doch nicht nur für die Kleinanleger war der 15. September 2008 – der Tag, an dem die Bank Insolvenz anmeldete – ein Einschnitt. An den Finanzmärkten setzte die Pleite eine wahre Kettenreaktion in Gang.

Dass ein Haus wie Lehman, das jeden Tag Milliarden bewegte, untergehen könnte, hatte niemand geglaubt. Notfalls, dachten die Experten, würde der Staat einspringen – so wie er es bereits bei der kleineren Investmentbank Bear Stearns und den Immobilienfinanzierern Fannie Mae und Freddie Mac getan hatte. Doch der Staat sagte dieses Mal Nein. Dabei war er nicht ganz unbeteiligt daran, dass es überhaupt zur Krise kam.

Alles begann mit einem Gesetz, das der US-Kongress 1995 verabschiedete: Auch Geringverdiener sollten demnach einen Immobilienkredit aufnehmen und sich ein Eigenheim leisten können. Als Folge vergaben die Banken Hypothekendarlehen auch an Menschen, die so gut wie kein Eigenkapital mitbrachten. Verstärkt wurde das durch die Billigzinspolitik der US-Notenbank Fed.

Um nicht auf dem Risiko sitzen zu bleiben, verkauften die Banken die Kredite weiter an Investmentbanken wie Lehman. Die schnürten die Kredite zu neuen Paketen und verkauften die Wertpapiere am Finanzmarkt. Weil sie eine hohe Rendite versprachen, griffen auch deutsche Landesbanken zu. Sparkassen vertrieben die Papiere weiter an ihre Kunden. So landeten die US-Hauskredite bei Rentnern wie den Krupskys. Dann platzte die Immobilienblase in den USA. Die Preise für Häuser stürzten ab, zugleich hob die Fed die Zinsen an – viele Schuldner konnten ihre Hausdarlehen nicht mehr zurückzahlen. Die Kredite platzten, die Finanzpapiere, in denen sie steckten, verloren an Wert. Banken gerieten in Existenznot. So auch Lehman Brothers.

Die Pleite der viertgrößten Investmentbank der Welt stürzte das Finanzsystem ins Chaos. Die Banken vertrauten einander nicht mehr, die Notenbanken mussten weltweit Geld in den Markt pumpen, auch die Staaten sprangen mit Milliarden ein. Erst stützten die Regierungen ihre Banken, dann die Wirtschaft. Noch heute, fünf Jahre nach dem schwarzen Montag, spüren Banken, Anleger und die Staaten die Folgen der Finanzkrise.

Als die Krupskys von der Pleite hörten, wollten sie das zuerst nicht glauben. Dann gingen sie zum Anwalt und verklagten ihre Bank. „Der Berater hat uns nicht darüber aufgeklärt, dass es zum Totalverlust kommen kann“, sagt Kuchs-Krupsky. „Genauso wenig hat er uns gesagt, wie sehr die Bank an dem Geschäft verdient hat.“ Wie ihr Anwalt herausfand, hatte die Hamburger Sparkasse Lehman anscheinend einen ganzen Batzen an Zertifikaten abgenommen und dafür einen Rabatt bekommen. Den Kunden aber soll die Sparkasse die Papiere zum vollen Preis zuzüglich eines Aufschlags verkauft haben. Der Fall der Krupskys ging bis vor den Bundesgerichtshof – der gab 2011 aber letztlich der Sparkasse Recht. Bernd Krupsky erlebte das nicht mehr, er war kurz zuvor gestorben.

Hinter den Kulissen wird mit harten Bandagen gekämpft

Die Pleite der viertgrößten Investmentbank der Welt stürzte das Finanzsystem ins Chaos.
Die Pleite der viertgrößten Investmentbank der Welt stürzte das Finanzsystem ins Chaos.

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Von den 10 000 Euro sind der Witwe bis heute aus der Insolvenzmasse lediglich 1200 Euro erstattet worden. Damit steht sie im Vergleich zu anderen Kleinanlegern aber noch gut da. „Viele haben aus Unwissenheit gar nichts unternommen“, sagt Michel Gerbig von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Um Geld aus der Insolvenzmasse zu bekommen, hätten sie ihre Forderungen in den USA oder in den Niederlanden anmelden müssen, weil die meisten Zertifikate von der holländischen Lehman-Tochter ausgegeben worden waren.

Besser sieht es für die Gläubiger aus, die mit der deutschen Lehman-Tochter im Geschäft waren. Die Bundesbank etwa, Banken, Städte, Versicherungen und Krankenkassen, die ihr Geld bei der Frankfurter Bank angelegt hatten, können mit einer für Insolvenzverfahren traumhaften Quote von etwa 80 Prozent rechnen. Über 500 Gläubiger gibt es im deutschen Insolvenzverfahren. Der größte von ihnen ist der Einlagensicherungsfonds des Bankgewerbes, der Bankkunden bereits unmittelbar nach der Pleite entschädigt hat und sich sein Geld nun von Insolvenzverwalter Michael Frege zurückholen will.

Auf dem Spiel stehen 16 bis 18 Milliarden Euro. Das ist eine gigantische Summe, das größte Insolvenzverfahren in der deutschen Geschichte. Kein Wunder, dass hinter den Kulissen mit harten Bandagen gekämpft wird. Während sich die deutschen Gläubiger möglichst schnell und friedlich auf einen Insolvenzplan – einen Vergleich – einigen wollen, verfolgen einige US-Hedgefonds andere Interessen. Sie haben die Forderungen erst nach der Insolvenz günstig gekauft und versuchen nun, größtmöglichen Profit aus dem Investment zu ziehen.

Wenn es gut läuft, können sie gleich zwei Mal kassieren. Einmal vom deutschen Insolvenzverwalter und dann noch einmal von seinem amerikanischen Kollegen. Denn die US-Mutter hatte für die deutsche Banktochter einst eine Patronats-, also eine Haftungserklärung abgegeben, für die sie jetzt geradestehen muss. Unterm Strich winken einigen Gläubigern so Entschädigungszahlungen von über 100 Prozent. Gekämpft wird mit allen Tricks. So musste sich Insolvenzverwalter Frege – Bruder des Toten-Hosen-Frontmans Campino – vor einem Jahr plötzlich gegen Attacken wegen seines Honorars verteidigen. Die gigantische Summe von 800 Millionen Euro stand im Raum. Die größten Kritiker waren die US-Hedgefonds, Politiker forderten eine gesetzliche Begrenzung, die Empörung war groß – obwohl Freges Kanzlei CMS Hasche Sigle umgehend erklärte, dass die Forderung am Ende wohl 500 Millionen Euro nicht übersteigen werde.

195 Millionen Euro sind bislang geflossen, sagte ein Sprecher des zuständigen Amtsgerichts Frankfurts dem Tagesspiegel. „Nicht zur persönlichen Bereicherung von Herrn Frege.“ Denn neben Frege haben phasenweise mehr als 100 Anwälte und weitere 50 Kaufleute und Insolvenzspezialisten an dem Fall gearbeitet. „Die Lehman-Bank hatte nahezu 400 Beschäftigte“, gibt Frege zu bedenken, nur knapp über 40 seien nach der Pleite geblieben. „Wir haben in vielen Bereichen eigene Leuten einsetzen müssen“, erklärt der Anwalt die hohen Kosten.

Streit gibt es aber auch wegen der 67 Millionen Euro, die sich das Amtsgericht Frankfurt als Gerichtsgebühren zugebilligt hat. Denn nach der Gebührenordnung werden die Gerichtskosten ab einem Streitwert von 30 Millionen Euro gekappt. Das Gericht bekäme dann maximal 275 000 Euro. Nun muss das Landgericht entscheiden, ob die Streitwertgrenze auch für Insolvenzverfahren gilt. Eine Entscheidung mit Folgen: Zu den 67 Millionen Euro könnten bis zum Schluss nämlich noch mal 25 Millionen Euro hinzukommen. Viel Geld.

Kleinanleger wie Brigitte Kuchs-Krupsky haben davon nichts. Die Rentnerin vertraut den Banken nicht mehr. „Ich lege mein Geld nur noch als Tagesgeld an“, sagt sie, „auch wenn ich dafür kaum Zinsen bekomme.“

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