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Wirtschaft: Fünf Millionen Arbeitslose im Winter

Experten: Die Hartz-Reformen der Regierung blähen die Statistik erst einmal auf – bringen aber dann allmählich neue Jobs

Berlin - Mehr als fünf Millionen Menschen werden in den Wintermonaten in Deutschland ohne Arbeit sein. Eine Erholung auf dem Stellenmarkt sei erst gegen Ende 2005 zu erwarten, prognostizierten Wirtschaftsforscher am Dienstag im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Die Reformpolitik der Bundesregierung fand dennoch Unterstützung. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erklärte, die Agenda 2010 werde das Wachstumspotenzial der Wirtschaft stärken – jedoch seien noch weitere Schritte nötig.

Im Oktober dürfte die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum September leicht um 300000 gesunken sein, hieß es. Demnach wären aktuell 4,22 Millionen Menschen ohne Arbeit. Ohne saisonale Einflüsse sei aber ein Anstieg von rund 20000 auf 4,47 Millionen zu erwarten, sagt etwa Ulrich Hombrecher, Chefökonom der WestLB. Die neuen Zahlen legt die Bundesagentur für Arbeit (BA) am Mittwoch vor.

Ab Januar dürfte die Statistik dann die Grenze von fünf Millionen überschreiten. Zum einen steigt die Arbeitslosigkeit im Winter stets um etwa 500000 an. Zum anderen werden im Zuge der HartzIV-Reform ab Jahresbeginn auch Langzeitarbeitslose in der BA-Statistik geführt. Derzeit sind sie noch als Sozialhilfeempfänger bei den Kommunen gemeldet. „Das werden etwa 300000 Leute sein“, schätzt Gebhard Flaig, Konjunkturchef des Ifo-Instituts in München. Das Überschreiten der Marke von fünf Millionen Arbeitslosen könnte die Bürger weiter verunsichern, warnt Hombrecher. „Die Regierung muss die Deutschen rechtzeitig darauf vorbereiten, sonst sinkt das Vertrauen in die Wirtschaft erneut, und die Konsumflaute hält weiter an.“ Bislang liegt der Arbeitslosen-Rekord bei 4,823 Millionen vom Januar 1998.

Für die Arbeitslosengeld-II-Bezieher soll es im öffentlichen Sektor die neuen Ein-Euro-Jobs geben. „Es wird aber nicht sofort genügend Beschäftigung für alle geben – das wird erst im Laufe von 2005 geschehen“, erwartet Flaig. Die BA rechnet mit 200000 bis 250 000 Ein-Euro-Jobs. Dagegen erwartet Wirtschaftsminister Wolfgang Clement 600000 solcher Stellen. Schon jetzt gibt es Ein-Euro-Beschäftigte – nach BA-Angaben waren es bundesweit Ende September 17200, bis Jahresende sind 50000 angepeilt.

In den meisten BA-Regionalbezirken ist die Nachfrage nach Ein-Euro-Jobs groß – nur die Berliner Langzeitarbeitslosen tun sich noch schwer, für kleines Geld Alte zu pflegen oder den Park zu fegen. 7100 Ein-Euro-Jobs würden derzeit angeboten, aber nur 3400 seien besetzt, sagt Olaf Möller, Sprecher der BA-Regionaldirektion Berlin-Brandenburg. In Brandenburg sind von 7500 Stellen 6700 besetzt. „Ich gehe davon aus, dass die Neigung der Berliner, einen solchen Job anzunehmen, im kommenden Jahr steigen wird“, sagte Möller. Notfalls mit Druck, denn im Falle einer unbegründeten Ablehnung kann die BA Leistungen kürzen.

Auf dem regulären Arbeitsmarkt zeichne sich erst 2005 eine Besserung ab, sagte Holger Bahr, Leiter Volkswirtschaft bei der Deka-Bank. „Der Ölpreis-Anstieg hat verhindert, dass es schon vorher eine Entlastung gibt.“ Bald würden die Reformen der Regierung zu wirken beginnen. „Durch die Hartz-Reform kommen die Leute schneller in Arbeit, zudem gibt es einen Trend zur Arbeitszeitverlängerung. Beides steigert das Produktionspotenzial der Wirtschaft“, sagte Bahr. Das sieht auch der Internationale Währungsfonds (IWF) so. „Deutschland ist bei der Bewältigung seiner Strukturprobleme deutlich vorangekommen“, schreiben IWF-Experten in einer Studie. Die Agenda 2010 werde die Wachstumskräfte stärken. Allerdings müssten Arbeitsrecht und Tarifsystem noch flexibler werden.

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