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Kinder bilden. Ministerin Aigner ist schon häufiger Gast in Schulen gewesen, um die jungen Verbraucher aufzuklären. Foto: ddp

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Wirtschaft: Fürs Warenleben lernen

Ministerin Aigner und Verbraucherschützer wollen aus Schülern mündige Konsumenten machen

Berlin - Der Zaun ist rostig, von der weißen Plattenbaufassade bröckelt die Farbe ab, gegenüber auf der anderen Straßenseite werben die „Sexy Berlin Tours“ für Berlin-Besichtigungstouren ganz eigener Art und suchen „sexy Hostessen“ für 30 Euro pro Stunde.

Ein ungewöhnlicher Ort, an dem sich Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) und Deutschlands oberster Verbraucherschützer, Gerd Billen, an diesem Freitagmorgen ein Stelldichein geben. Doch das hat seinen Grund: In der Wallstraße in Berlin-Mitte hat die Evangelische Gemeinschaftsschule ihren Sitz. Die Schule, die von außen so hässlich ist, hat einiges zu bieten. Sie hat zahlreiche Umweltpreise gewonnen, die Plätze sind begehrt, weil die Schüler bis zur 10. Klasse zusammen lernen und individuell gefördert werden. Einige von ihnen haben sogar den Nobelpreisträger Muhammad Yunus kennengelernt.

Hier, im „Selbstlernzentrum“ der Schule, ein Ort, der sonst üblicherweise als Bibliothek bezeichnet wird, stellen Billen und Aigner ein Instrument vor, das Lehrern helfen soll, Schüler besser auf ihr Leben als Verbraucher vorzubereiten. Im Internet hat der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) eine Liste mit Unterrichtsmaterialien veröffentlicht, mit denen die Pädagogen ihren Schülern beibringen können, wie man seine Finanzen in Ordnung hält, welche Lebensmittel gesund sind, was man beim Surfen im Internet beachten sollte und welche Fallen in Verträgen lauern. Die Bücher und Broschüren kommen nicht nur von Schulbuchverlagen, sondern auch aus der Wirtschaft, von Verbraucherschützern und Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace oder Attac. 145 Publikationen – gedacht für den Unterricht in den Klassen fünf bis 13 – stehen derzeit auf der Seite (www.materialkompass.de).Der Clou: Alle sind von einem Expertenteam aus Pädagogen, Verbraucherschützern, Wissenschaftlern und Lehrern getestet und bewertet worden.

Aigner, der die Verbraucherbildung „sehr am Herzen liegt“, wünscht sich, dass das neue Portal die erste Anlaufstelle für Lehrer werden soll. 450 000 Euro stellt ihr Haus zur Verfügung, damit die jungen Leute schon in der Schule das nötige Rüstzeug bekommen, um in ihrem späteren Verbraucherleben bestehen zu können. Aufgeschreckt ist die CSU-Politikerin von den Ergebnissen einer Umfrage, die das Ministerium selbst in Auftrag gegeben hatte. Danach kennen mehr als die Hälfte aller Jugendlichen ihre Rechte als Käufer nicht, 48 Prozent haben keine Ahnung, wofür man ein Girokonto braucht, zwei Drittel kennen nicht den für sie günstigsten Handytarif – obwohl alle befragten Schüler ein Handy hatten. Dennoch scheut Aigner die Niederungen des föderalen Systems und verzichtet darauf, ein eigenes Schulfach „Verbraucherbildung“ zu fordern.

Ein solches gibt es bislang nur in einem Bundesland, nämlich in Schleswig-Holstein. VZBV-Chef Billen reicht das nicht. Er will, dass Verbraucherthemen Pflichtstoff werden in der Schule – am liebsten als eigenes Fach, notfalls aber auch als Bestandteil des Arbeitslehre-, Sozialkunde-, Mathe- oder Erdkundeunterrichts. Bisher geschehe viel zu wenig, findet der Verbraucherschützer. Die Lehrer haben nicht genug Zeit, für neue Schulbücher fehlt oft das Geld.

In die Lücke stoßen zunehmend Unternehmen und Verbände, die mit eigenen Broschüren und eigenen Mitarbeitern in die Schulen gehen. So wie die Allianz, die den Schülern die Prinzipien der Geldanlage und die Notwendigkeit der privaten Altersvorsorge nahebringen will. Billen ärgert das: „Die Schule darf nicht zum Eldorado für Vertreter werden.“ Bei ihrem Besuch bringen die Allianzler ihr eigenes Material gleich mit: den zusammen mit MyKinsey und Grey entwickelten „My Finance Scout“. Im Internetportal erhält das Werk gerade einmal zwei Sterne – von fünf möglichen.

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