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Bis vor kurzem war Gabriel (r.) irgendwie einer von ihnen, der Grünstrom-Lobby verbunden. Einer von Rot-Grün, wie auf diesem Bild aus dem Jahr 2010, zusammen mit dem Grünen Jürgen Trittin.

© dpa

Gabriels Rede zur Grünstrom-Lobby: "Nicht gekommen, um Nettigkeiten auszutauschen"

Kevin P. Hoffmann beobachtet Sigmar Gabriel beim Jahresempfang des Bundesverbandes der Erneuerbaren Energien. Der Applaus fällt eher höflich aus. Ein Ortstermin.

Nach dem zweiten Zwischenruf aus dem Publikum holt Sigmar Gabriel (SPD) am Rednerpult kurz Luft und beginnt einen dieser Absätze, die in knabenhaften hohem Ton beginnen und sich dann mit jeder Silbe einen Halbton tiefer Kehle hinunterarbeiten bis zu den Bässen seines Zwerchfells: „Ich weiß doch, Sie finden das alles schrecklich, was wir da machen. Aber Sie haben mich ja eingeladen. Und ich bin nicht gekommen, um mit Ihnen nur Nettigkeiten auszutauschen.“ Der halbe Saal goutiert diese Offenheit mit lachendem Applaus, der anderen Hälfte ist es zu ernst. Sie schweigt.

Der traditionelle Neujahrsempfang des Bundesverbandes der Erneuerbaren Energien (BEE) am späteren Dienstagabend im Berliner Hotel Maritim am Bahnhof Friedrichstraße: Ein Pflichttermin für mehr als 1000 Manager und Lobbyisten der Windkraft-, Fotovoltaik-, Bioenergie- und Biospritindustrie, für Berater, Projektmanager, Abgeordnete, Ministerialbeamte, Journalisten.

In den vergangenen Jahren haben sie schon Ministern wie Philipp Rösler (FDP), Norbert Röttgen und Peter Altmaier (beide CDU) gelauscht – ohne zu viel zu erwarten. Gabriel aber war bisher, bevor er Energieminister und Vizekanzler wurde, doch irgendwie einer von ihnen. Einer von Rot-Grün, den Schöpfern des im Jahr 2000 erstmals aufgelegten Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), dem die meisten im Saal ihre wirtschaftliche Existenz verdanken. An diesem Abend liest er ihnen die Leviten.

„Wir hätten das EEG viel früher ändern müssen“, sagt Gabriel. Grummeln im Saal. Rund 22 Milliarden Euro müsse die Volkswirtschaft jedes Jahr wegen der EEG-Umlage wälzen. „Ich halte das für notwendig und richtig, aber es hat Grenzen.“ Etwa neun Milliarden davon zahlten die privaten Verbraucher hierzulande, erklärt er. „Was wäre los“, fragt er in den Saal, „wenn wir ein Gesetz machen würden, das den Mietern neun Milliarden nimmt, um sie den Vermietern zu geben. Da wär’ der Bär los!“, ruft er.

Der Industrie vier Milliarden Euro Rabatte streichen? „Never“, ruft Gabriel

Auch der Satz kommt nicht gut an. Als Gabriel von „der Industrie“ spricht, als seien Windenergieanlagenhersteller nicht selbst Industrie, gibt es wieder empörte Ziwschenrufe.

Es gehe darum, nachhaltige ökologische Erfolge und nachhaltige Erfolge der Industrie zusammenzubringen. „Wenn wir die nicht zusammenbringen, ist die Energiewende gescheitert“, ruft er und erklärt, warum die Zeit seiner Ansicht nach drängt. Bis zum Sommer müsse eine Reform her, die auch europakonform sei, sonst bleibe nicht genügend Zeit, um die Unternehmen, die dringen von höheren Stromkosten befreit sein müssen, auch zu befreien. „Das wäre eine dramatische ökonomische Krise für die Rohstoffindustrie.“

Zugleich müsse das EEG europäischen Wettbewerbsanforderungen entsprechen. Wettbewerb, noch so ein Wort, das viele im Saal nicht hören können. 2013 wurde die Industrie im Volumen von vier Milliarden Euro von der EEG-Umlage entlastet. In diesem Jahr sind es sogar 5,1 Milliarden, kam am Dienstag raus. „Wenn wir es schaffen, diesem System eine Milliarde zu entziehen sind wir gut. Aber vier Milliarden? Never!“ ruft Gabriel.

Erneuerbare haben einen langen Wunschzettel

So viel wünscht sich die Grünenergiebranche von der Regierung: Planungssicherheit, Fördersätze, die auch Windkraft an Flautestandorten erlaubt und Solardächer in Hamburg. Gut kommen auch jüngste Vorschläge von Bayerns Wirtschafts- und Energieministerin Ilse Aigner (CSU) oder dem legendären Alt-Umweltminister und heutigen Klimaschutzaktivisten Klaus Töpfer (CDU) an: Sie stellten zuletzt Fondsmodelle vor, mit denen man Kosten der Energiewende die ferne Zukunft übertragen kann.

Hier zeigt sich Gabriel in bisher so nicht gehörter Weise gesprächbereit. Er rechnet zwar vor, dass sich bei der Grünstromförderung Kosten über 20 Milliarden Euro für die nächsten 15 bis 20 Jahre sammeln könnten. „Wer bürgt denn dafür?“, fragt er. Da wäre ein Euro-Rettungsschirm dagegen eher klein. Allerdings, und das ist neu: „Andere Generationen, die könnte man ein Stückweit an den Kosten der Lernkurve (für die Erneuerbaren Energien, Anm.) beteiligen.“

„Ihnen, die in der Branche tätig sind, werden wir einiges abverlangen. Aber das ist selbstverständlich in einer sozialen Marktwirtschaft“. Für diese Ehrlichkeit erhält er am Ende wenigstens Höflichkeitsapplaus.

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