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In Deutschland stößt das Fracking auf Ablehnung.

© dpa

Gasvorkommen als Energiequelle: Energiewende im Schiefer

Die USA sind mit Fracking auf dem Weg zur autarken Energieversorgung. Der günstige Strom hilft bei der Reindustrialisierung. Die Öl-Importe und die Strompreise sinken - auch für Deutschland.

Fracking, könnte man sagen, das ist die späte Rache des Richard Nixon. Oder aber der Beleg dafür, dass der US-Präsident doch ein Visionär war. Jedenfalls war es der Republikaner, der unter dem Eindruck des Ölpreisschocks 1973 das Ziel ausgab, die USA unabhängig von Rohstoffimporten zu machen. So begannen die Forscher, nach alternativen Öl- und Gasfördermethoden zu suchen.

Einer, der fast von Anfang an dabei war, berichtete dieser Tage in der Berliner US-Botschaft über den Stand der Dinge: Der Geologe Tim Carr von der Universität West Virginia. Carr ist Spezialist für eine gefährliche Technologie, wie hierzulande viele glauben: Hydraulic Fracturing. Der Forscher präsentiert Folien mit Landkarten, Luftaufnahmen, Preiskurven für Erdöl und Erdgas. Carr schwärmt von Tausenden neuen Gasförderanlagen zwischen Texas und North Dakota, Gaskraftwerken, Gastankstellen für Busse, Riesentrucks und neuen Flüssiggasterminals an Seehäfen, steigenden Steuereinnahmen und Vollbeschäftigung in Staaten wie West Virginia.

Möglich werde das alles durch das Brechen, das Fracken, tiefer Schiefergesteinsschichten mit Hilfe eines unter Hochdruck ins Erdreich gepumpten Wasser-Chemikalien-Cocktails. So gelangt man an Schiefergas- und Öl-Vorkommen, die sich bisher nicht erschließen ließen.

Fracking schien hierzulande politisch fast gestorben, doch seit ein paar Wochen gewinnt die Debatte wieder an Schwung: In der Wirtschaft diskutiert man intensiver denn je, was der Schiefergasrausch für die Welt und für Deutschland bedeutet – unabhängig davon, ob diese Technik hierzulande angewandt wird. Zuletzt meinten Deutsche-Bank- Chef Jürgen Fitschen und Peter Löscher von Siemens, dass hier etwas ganz Großes kommt.

Vergangene Woche geisterten Passagen eines als „vertraulich“ deklarierten Berichts des Bundesnachrichtendienstes durch die Presse. Der Dienst erwarte dramatische Auswirkungen auf Wirtschaft und Politik im Nahen und Mittleren Osten sowie auf das Machtgefüge zwischen den USA und China – zu Gunsten der Amerikaner. Auch die Länder des Opec- Ölkartells dürften an Macht verlieren. Und Russland einen mächtigen Konkurrenten gewinnen.

Die Analyse basiert auf allgemein zugänglichen Daten und Prognosen großer Energiekonzerne wie BP und der Internationalen Energieagentur (IEA): Demnach dürfte Amerika bereits in drei Jahren zum größten Produzenten von Erdgas aufsteigen, wenig später Saudi-Arabien als größten Ölproduzenten ablösen. Dabei spielt auch die Bereitschaft von US-Präsident Barack Obama, Bohrungen in Alaska und der Tiefsee zu genehmigen, eine Rolle. Spätestens ab 2035, so eine Prognose, dürfte die größte Volkswirtschaft der Welt nicht nur ihren eigenen Energiehunger stillen, sondern auch den anderer Regionen. Nixons Ziel wäre erreicht.

Der Geologe Carr referierte in Berlin, was das Fracking den USA schon heute gebracht hat: Der Anteil teurer Öl-Importe sank von 60 Prozent (2005) auf 45 Prozent im Jahr 2011. Der Preis für einen Kubikmeter Gas sank auf unter drei Dollar je Kubikmeter. In Europa zahlen wir zehn Dollar, in Japan gar 14. Gas löst in den USA zunehmend auch die größten Klimakiller Öl und Kohle als Energieträger für die Stromerzeugung ab. Allein in den kommenden drei Jahren sollen 175 Kohlekraftwerke in den USA durch Gaskraftwerke ersetzt werden. Um die auszurüsten, hat Siemens eine Gasturbinen-Fabrik in North Carolina eröffnet.

Amerikaner zahlen umgerechnet neun Euro-Cent für eine Kilowattstunde Strom, deutsche Privatkunden 26 Cent. Internationale Chemie- oder Stahlkonzerne entscheiden sich bei der Standortwahl immer öfter für die USA. Fracking bringt eine „Reindustrialisierung Amerikas“, sagt Carr: In den USA erwartet man, dass der Rohstoffsegen die gesamte Wirtschaftsleistung bis zum Jahr 2020 um zwei bis vier Prozent steigern wird, 300 000 bis 400000 Jobs sind angeblich schon heute entstanden.

US-Botschafter Murphy jubelt schon über die "Schiefergaswende"

Zugleich stoßen die USA heute nicht mehr Kohlendioxid aus als vor 20 Jahren – auch deshalb, weil bei der Gasverbrennung nur halb so viel CO2 freigesetzt wird als beim Einsatz von Kohle und weil moderne Kraftwerke viel effizienter sind. So dürften die USA heute die Anforderungen des Kyoto-Klimaprotokolls erfüllen, ohne es jemals ratifiziert zu haben. Man muss nicht beim BND sein, um sich auszurechnen, was es bedeutet, wenn die immer noch größte Militärmacht und Volkswirtschaft der Welt keinen Energiehunger mehr verspürt. Krieg um Öl? Das war einmal. „Wir werden uns nie ganz aus der Welt zurückziehen. Wir haben noch andere Werte“, sagte Philip D. Murphy, der Botschafter der USA vergangene Woche in Berlin vor rund 1000 Energie-Managern. Allerdings habe man in der vergangenen Dekade zwei der längsten und teuersten Kriege geführt und den Rüstungsetat aufgepumpt. Das werde man nun korrigieren, meinte Murphy und feierte die „Schiefergaswende“ seines Landes.

Der Berliner Unternehmer und Ex-Bürgermeisterkandidat Friedbert Pflüger (CDU), der heute als Professor Internationale Beziehungen am King's College in London lehrt, schreibt im Magazin des Vereins der Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI) zur Schiefergasrevolution: „Das Engagement der USA, vor allem die Bereitschaft, Soldaten in die Länder des Nahen Ostens zu senden, wird abnehmen.“ Aber wer nutzt oder missbraucht das entstehende Machtvakuum?

Und welche Marine soll künftig die Straße von Hormus am Persischen Golf verteidigen, sollte der Iran diese für Öl- und Gastanker sperren? Diese und andere Fragen, die sich aus der Energieautarkie der USA ergeben, werden auch Ende der Woche auf der Münchner Sicherheitskonferenz, zu der US-Vizepräsident Joe Biden anreist, eine Rolle spielen.

„Wir haben damit angefangen, sind aber nicht als einzige Länder mit günstigen Gesteinsformationen gesegnet“, erklärt Carr. So würden auch Brasilien und Jordanien intensiv suchen. Und erst vergangenen Donnerstag meldete der australische Ölkonzern Linc Energy den Abschluss von Probebohrungen in Südaustralien, das dem Kontinent eine ähnliche Entwicklung wie den USA bringen könnte. Dort soll Gas mit einem Marktwert von sagenhaften 15 Billionen Euro lagern. Die Ukraine und der Shell-Konzern schlossen am Rand des Weltwirtschaftsforums in Davos einen Vertrag für den Verkauf von Schiefergas im Wert von 7,4 Milliarden Dollar. Auch in Polen, wo die größten Vorkommen Mitteleuropas vermutet werden, treibt man das Fracking voran, da man unabhängiger von russischem Gas werden will.

Und Deutschland? In Niedersachsen und NRW, wo ExxonMobile Probebohrungen macht, haben sich massive Bürgerproteste formiert. Eine Fördergenehmigung ist nicht in Sicht. In Lübeck soll Deutschlands erster Hafen für Flüssiggas entstehen, womit immerhin die Einfuhr von günstigem Gas aus diesen neuen Quellen ermöglicht würde.

Kritiker sagen, dass Schiefergas auch zur Gefahr für den Ausbau von Windkraftwerken, Solar- und Biogasanlagen werden könnte, da diese sich bei der Stromerzeugung nur rechnen, wenn fossile Rohstoffe, wie über viele Jahre erwartet, stetig teurer werden. Professor Carr scheint darüber noch gar nicht nachgedacht zu haben. Es scheint ihm nicht relevant. „Es wird noch Jahrzehnte dauern bis wir all unseren Strom mit Wind und Sonne erzeugen“, meint der Geologe.

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