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Wirtschaft: Geb. 1900

Mit 17 traf sie auf Tucholsky, der sagte: Mädel, schreib! Mit 60 ließ sie ihren n auf den Grabstein eingravieren.

Mit 17 traf sie auf Tucholsky, der sagte: Mädel, schreib! Mit 60 ließ sie ihren n auf den Grabstein eingravieren.

Hundertundein Jahr – wer wird so alt? Ihre Mutter seinerzeit, die schaffte das, und neulich die Queen Mum in England. Auch die Geschwister Käte Eberls, weit über 90 allesamt. Man muss es wohl so sagen: Sie hätte es wissen können. So ein Leben, das kann dauern. Auch wenn man am Ende nicht mehr will und sich nur noch wünscht, er solle schnell machen, der Gevatter. Schon 1960, als ihr Mann Hans starb, ließ Käte Eberl ihren Namen auf seinen Grabstein eingravieren, und im gleichen Jahr, zu ihrem 60. Geburtstag, war sie sicher: „Nun bin ich bald dran.“ Sie war es noch 41 Jahre nicht.

Für die Familie war sie „Ama“ oder „Ämmchen“, und Urenkel Anselm hat erst neulich erfahren, dass sie in Wahrheit Käte hieß. Käte, die gern und viel erzählte, Käte, die Menschen mochte, die alles wissen wollte von ihnen, sie ausquetschte, mit Fragen traktierte, die andererseits so bescheiden und demütig war. Nie habe sie sich vorgedrängt, sagt die Familie, immer nur ihre Lieben habe sie im Kopf gehabt und dafür eine andere Leidenschaft begraben. Das Schreiben, Gedichte, Aufsätze. Journalistin, Schriftstellerin wär sie gern geworden, sagt Sohn Heinrich, aber beides, Familie und Beruf, das gehe ja heute kaum, und damals – ganz undenkbar! Käte, das Mädchen aus dem Baltikum, das sich selbst nie für eine Schönheit hielt, und auf Bildern aus den Zwanzigern aus warmen, braunen Augen blickt, hatte sich ein Ziel gesetzt: „Meine Zukunftshoffnung war“, schreibt sie, dann schon alte Dame, in ihr Erinnerungsheft, „dereinst einmal mit einem klugen, und geliebten Mann eine Familie begründen zu können, für die ich mit ganzer Kraft und Liebe leben wollte.“

Das dauerte noch. Zum einen, weil die Liebe nicht so schnell vorbeikam, zum anderen, weil sie Gefallen an der Arbeit fand. Und dieser Herr Tucholsky sie ermutigte. Schülerin war sie und 17, und er schon „Doktor“ und „Herr Redakteur“. Bei der „Fliegerzeitung“ nahe Riga war er angestellt, und dahin wollte auch das Käte-Mädchen. Kein ungewöhnlicher Wunsch für so ein junges Ding damals. Die Mutter war davon nur schwer zu überzeugen, wies aber, „zur großen Pein der Tochter“, die Herren Offiziere darauf hin, dass diese „schöne Verse mache und gut schreiben kann“. Käte Eberl, die damals eine Roettig war, stellt später selber erstaunt fest: „All meine Reimereien wurden in der Fliegerzeitung gedruckt.“

Keine Ahnung hat sie, wer er ist, dieser Tucholsky, der es gut mit ihr zu meinen scheint. Der ihr noch sagt, sie solle sich ruhig melden, bei ihm in Berlin, wenn sie einmal nicht weiter wisse. „Ich werde zusehen, dass sie Redaktionssekretärin werden!“, soll er gesagt haben, ein „industrieller Betrieb“, das wäre nichts für sie. „Ich habe seinen Rat befolgt und danke ihm, dass ich acht sehr interessante Berufsjahre als Redaktions- und Abgeordneten-Sekretärin in Berlin hatte“, wird man später im Erinnerungsheft von Käte Eberl lesen können. Und dieses, noch dazu: Zur Schriftstellerin, sagte Tucholsky, könne er sie ausbilden, aber dazu müsse sie in seine Wohnung kommen, zweimal die Woche. „Dieses Angebot“, notiert die alte Käte, „lehnte ich ab.“

Gut waren die Zwanziger, und gut war es in Berlin. Und Käte, die junge Sekretärin im Reichstag, so nah bei Stresemann. Den, sagt die Familie, hat sie sehr verehrt. Und Kätchen selbst? Schenkt man ihr Bewunderung? Man tut es, doch sie will es nicht recht glauben. Gesteht sich aber 1923, nachdem ihr ein eindeutiges Gedicht zusteckt wird, ein: „Obwohl der junge Herr wohl nur die Absicht gehabt hatte, mich schüchternes Provinzgänschen aufzutauen, freute es mich, dass meine Wirkung auf andere sonnenscheinähnlich war.“

1926 wagt die junge Käte Neues, macht mit ihrer Zwillingsschwester Trudchen ein Schreibbüro auf. Menzelstraße, Friedenau. Eines Tages, unerwartet, taucht die Liebe auf. Steht vor ihr und durchfährt sie wie ein Blitz. Hans Otto Eberl, sagt er höflich, sei sein Name, und ob denn dieses möglich wär: Kann sie ihm seine Doktorarbeit abtippen? Und wie sie kann! Über die alten Griechen promoviert der Angehimmelte, da hat sie ihn, den klugen und geliebten Mann. Die Hochzeit ist zwei Jahre später.

Gut dreißig Jahre werden sie zusammen sein, in denen sie für die vier Kinder und den Haushalt sorgt und er, ein Studienrat, Kontakt zu vielen klugen und gelehrten Leuten hält. Manchmal ist auch seine Frau dabei, sie giert noch immer nach mehr Wissen und hält auch ihre Kinder dazu an: Lernen sollen die, denn alles könne man verlieren, nur die eigene Bildung nicht. Mit den Büchern, mit dem Lesen, das ging immer weiter fort, sagt die Familie, auch später dann im Altersheim in Lichterfelde. Da will sie selbst hin, ist am Ende mehr als 30 Jahre dort, da sind noch andere Frauen aus dem Baltikum. Sie lebt dort sehr bescheiden und auf kleinem Raum und hat die Dinge um sich, die ihr wichtig sind. Die Klassiker, die Russen. Und manchmal ein „Likörchen fürs Motörchen“. Der Kopf ist wach, die Ohren aber wollen nicht mehr, sie fragt die Enkel: Kinder, was ist Internet? Und was passiert, um Himmelswillen, mit den Türmen in New York?

Am Ende geht sie tapfer, dankt dem lieben Gott für dieses schöne Leben und schläft ein. „Die Familie war ihr Leben“, steht in Käte Eberls Todesanzeige, „nun darf sie ausruhen“. Judka Strittmatter

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