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Wirtschaft: Geb. 1908

Horst Hewel

„Immer aktiv auf der passiven Seite.“ Das war sein Wahlspruch. Denn er hat Empfänger erfunden, keine Sender.

Die Frage, wie Fernsehen gemacht wird, ist eigentlich viel einfacher zu beantworten, als die Frage, wozu. Die Fernsehtechnik basiert auf einem Betrug. Das Bild, das wir zu sehen glauben, ist in Wahrheit eine elektronisch übertragene Abfolge von Bildpunkten, die so rasant vonstatten geht, dass unser Auge glaubt, es sehe ein einziges Bild, dazu noch ein bewegtes.

22. März 1935. Reichssendeleiter Hadamovsky eröffnet den ersten regelmäßigen Fernsehdienst. Weltpremiere. In lässiger Haltung, weit weg vom Hakenkreuz und ganz nah an den technischen Apparaten steht: Horst Hewel. Natürlich gibt es berühmtere Namen in der deutschen Fernsehgeschichte: Paul Gottlieb Nipkow etwa, der das erste Bildabtastgerät entwickelte, die so genannte Nipkow-Scheibe, oder Walter Bruch, der Erfinder des Farbfernsehsystems PAL. Was den Signalempfang anbelangt, war Horst Hewel der Mann der ersten Stunde.

„Immer aktiv auf der passiven Seite“, so sein Wahlspruch. Soll heißen, Horst Hewel hat sich weniger mit den Sendern und mehr mit den Empfängern befasst, ganz egal, ob Rundfunk oder Fernsehen.

1923 fing das an. Der Rundfunk wurde ins Leben gerufen. Geräte waren teuer, also bastelte sich der Schüler Hewel seinen Netzempfänger selbst – und das erste, was er darin hörte, war ein Vortrag des Oberpostrats Thurn über das Delikt des Schwarzhörens.

Noch in den letzten Schuljahren machte er seine ersten technischen Entwicklungen zur Verbesserung des Radioempfangs. Das Abitur gelang dank der Fürsprache des Direktors, dem er das Radio repariert hatte – gegen das Veto des Physiklehrers, der zuvor daran gescheitert war. Das anschließende Studium brach Hewel allerdings frühzeitig ab – mangels Talent der Professoren.

1928, großer Wirbel in den USA, erste Versuche mit dem Fernsehen. „Immer aktiv auf der Empfängerseite!“ – und Horst Hewel baute sich mit einer Lochscheibe, einer Glimmlampe und einem Schallplattenmotor einen Fernsehapparat , obwohl es in Deutschland noch gar keinen Sender gab. Empfing er eben amerikanische und britische Signale. Und zwar besser als jeder andere. Nicht die Techniker bei Telefunken oder bei der Post waren die Ansprechpartner bei Rückfragen ausländischer Fernsehentwickler, sondern Horst Hewel, der noch immer zu Hause bei seinen Eltern wohnte und Empfangsanlagen bastelte mitsamt einer Richtantenne, die gerade so in den Hinterhof passte. 30 Grad, Peilung USA oder London.

1929 begann die deutsche Post mit ihren ersten, geheimen Fernsehversuchen. Ulkige Signale, die Horst Hewel da empfing. Bis er neu justiert hatte. Köpfe, Personen, eine Tennisspielerin mit Stirnband, ein Herr mit Zigarette. Horst Hewel rief bei der Post an und wurde für verrückt erklärt. So gelangte er in die deutsche Fernsehentwicklung.

„Der Hewel ist so’n doofer Kerl, statt dass er im Betrieb nur acht Stunden arbeitet, macht der zu Hause 16 Stunden! Also lassen wir dem die Freiheit!“

Die Lizenz zum Tüfteln: Neben dem Generaldirektor war Horst Hewel bei Telefunken der einzige, der einen Generalschlüssel besaß, damit er jederzeit in allen Abteilungen auf Material- und Ideenklau gehen konnte: „Spielchen machen“, nannte er das. „Die Skizze war bei mir im Kopf und ich hab dann die Hände arbeiten lassen…“ Und es gab eine Menge Arbeit! Die Kameras waren zu schwer, die Wärmeentwicklung zu groß. Dann die Schwierigkeiten der Tonübertragung aufgrund der unbeherrschbaren Rückkopplungseffekte. „Was war das für ein Gekreische! Vor allem, wenn dem Hitler was vorgeführt wurde. Auf einmal fing der Empfänger an zu brüllen, jeder dachte an ein Attentat.“

Aber zunächst spielte sich ja alles unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab – kaum einer ahnt etwas vom privaten Fernsehempfang, daheim, im Sessel. Horst Hewel ausgenommen. Der erste Empfänger, der öffentlich mehrere Leute zum Fernsehen versammelte, Oktober 1931 im Funkhaus, den hat er zu Hause aufgebaut.

Was gab es anfangs zu sehen? Kleine Spiele, Reportagen oder etwas Ballett auf engstem Raum, weil die Kameras so schwerfällig waren. Dann Olympia 1936: das Gerät FE IV, der erste Fernsehempfänger in Serie, wiederum konstruiert von Horst Hewel. Die Übertragung geschah per Kabel, bald darauf war auch die Philharmonie verkabelt und der Sportpalast: Goebbels’ Sprachrohr.

Der totale Krieg. Horst Hewel ging in Deckung und baute Fernsehsender zu Störfunkanlagen gegen feindliches Radar um: Kein Fronteinsatz, unabkömmlich. Nebenbei baute er sich, so zum Spaß, eine Fernseh-Kamera-Anlage in Kofferform, die er 1949 an den NWDR verkaufte: die erste kompakte Nachkriegs-Elektronen-Kamera! Von dem Geld kaufte er sich ein Haus, dessen Keller eine der hochkarätigsten Forschungsabteilungen in Sachen Funktechnik beherbergte.

Pensionierung? Ging gar nicht. Er hat ja nie gearbeitet. Immer nur „Spielchen gemacht“. Sein Spaß im Alter – Satelliten überwachen. Irgendwann ging den Amerikanern einer verloren. Horst Hewel hat ihn wiedergefunden und bekam einen Orden dafür. Er war eben ein Genie. Punkt.

„Immer aktiv auf der passiven Seite!“ Mehr müsste gar nicht auf seinem Grabstein stehen.

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