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Wirtschaft: geb. 1913

Recai Ermin

Als der Türke zum ersten Mal nach Berlin kam, marschierten gerade die Nazis durchs Brandenburger Tor.

War da einer für dich dabei?“, fragte die beste Freundin. „Eigentlich schon, aber der war zu klein“, antwortete Lisette. Sie war 33 Jahre alt und stand kurz davor, ihre Zahnarztpraxis zu eröffnen. Jetzt fehlte noch der standesgemäße Mann an ihrer Seite. Aber die Berlinerin überragte den Türken um ganze acht Zentimeter. Dazu kam, dass er blond und blauäugig war. Sie fand eigentlich die südländischen Typen interessanter. Trotz aller Schönheitsfehler war er ihr aber auf dem Naturwissenschaftler-Kongress in Istanbul aufgefallen. Das war 1960.

Recai Ermin, 47 Jahre alt, war damals einer der angesehensten Wissenschaftler seines Landes. Er lehrte am Zoologischen Institut in Istanbul, leitete das Hydrobiologische Forschungsinstitut und war Vizepräsident der „Internationalen Kommission für die wissenschaftliche Erforschung des Mittelmeeres“ in Monaco. Ein Jahr lang hatte er in New York an Fischen geforscht. Französisch und Englisch sprach er fließend und Deutsch auch. Kein Wunder, dass er Lisette auffiel.

Acht Tage blieb sie am Bosporus, aber seine Adresse nahm sie nicht mit. Er aber hatte die ihre. Nach einem Jahr schickte er ihr eine Karte aus Monaco. Noch ein Jahr darauf klingelte ihr Telefon. „Ich habe für drei Jahre eine Gastprofessur an der Technischen Universität. Morgen bin ich in Berlin“, sagte Recai Ermin. Da stand er schon in einer Hamburger Telefonzelle.

Berlin kannte er. Als der Türke zum ersten Mal hier ankam, sah er den Fackelzug der Nationalsozialisten durchs Brandenburger Tor. Das war am 30. Januar 1933. Atatürk schickte damals etliche junge Männer in den Westen. Er brauchte gut ausgebildete Wissenschaftler für sein modernes Land.

Tagelang war Recai Ermin im Zug unterwegs gewesen, bevor er die Reichshauptstadt erreichte. Aber er blieb nicht lange hier. Deutsch lernte er in Strausberg, Zoologie, Botanik und Geologie studierte er in Bonn und Leipzig. 1939, als der Krieg ausbrach ging er nach Frankreich, ein Jahr später kehrte er in die Türkei zurück.

Hier half ihm der deutsche Zoologe Curt Kosswig, der vor den Nazis nach Istanbul geflohen war, bei seiner Habilitation. Kosswig war es schließlich auch, der ihm die Gastprofessur in Berlin besorgte.

Lisette war also nicht der einzige Grund, hierher zu kommen. Vielleicht gab es sogar noch einen: Noch als er verheiratet war, bewahrte Recai Ermin das Bild eines Mädchens auf, das er in den dreißiger Jahren in Deutschland kennen gelernt hatte. Vielleicht war sie seine erste große Liebe. Was damals geschehen war, was aus dem Mädchen geworden ist – Lisette hat es nie erfahren.

In Berlin rief Recai Ermin Lisette oft an, sie meldete sich bei ihm nie. Er würde wieder zurückgehen, auf eine Affäre hatte sie keine Lust. Außerdem war da immer noch der kleine Größenunterschied. Aber der Mann blieb hartnäckig. Die Umworbene erinnert sich noch gut, wie alles begann: Zuerst spazierten sie die Seen in West-Berlin ab und gingen Essen am Ku’damm, dann luden Lisette und ihre Mutter ihn zum Kaffeetrinken ein.

Als die Gastprofessur zu Ende war, wollte Recai Ermin nicht mehr in die Türkei zurück. Erst recht wollte seine deutsche Freundin nicht weg, ihre Praxis am Kurfürstendamm florierte. So beschloss der Professor mit 52 Jahren einen Neuanfang in Berlin. Im Mikrobiologischen Institut der TU fand er eine Stelle. Er erforschte die Bakterien, die Karies machen. „Professor Ermin“ nannten ihn alle, aber auf dem Papier war er nur Wissenschaftlicher Mitarbeiter.

1969 heirateten die beiden in einem Fünf- Sterne-Hotel in Istanbul. Da war er 56 und sie 42. Ihre dunklen Haare waren hoch gesteckt, sie trug ein ärmelloses weißes Kleid und hielt in den Händen einen Gladiolenstrauß. Die türkische Mutter, die Geschwister und viele, die Rang und Namen in der türkischen Wissenschaft hatten, feierten mit. Auch die Feier im Hotel Berlin war standesgemäß. Der türkische Generalkonsul war dabei.

In den Ferien verreiste das Paar quer durch Europa, Spanien, Italien, Griechenland, Portugal. Silvester fuhren sie in den Harz, Weihnachten und Ramadan feierten sie, mal in Deutschland, mal in der Türkei, mit Recais Mutter.

In Berlin besuchten sie gern die Trabrennbahn in Mariendorf und gaben Raki-Abende in ihrer Charlottenburger Wohnung.

Was soll man noch viel sagen? Die Bilder zeugen von wundervollen 34 Ehe-Jahren. Nun liegt Recai Ermin auf dem Wilmersdorfer Friedhof begraben.

Suzan Gülfirat

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