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Wirtschaft: Geb. 1916

Ihre erste Liebe verlor sie im Krieg aus den Augen. Ihrer zweiten folgte sie nach Ostberlin.

Ihre erste Liebe verlor sie im Krieg aus den Augen. Ihrer zweiten folgte sie nach Ostberlin. Doch der Erste vergaß sie nie.

Vor 27 Jahren ist Irene Thonke aus ihrer großen Wohnung in West-Berlin ausgezogen und ist Bürgerin der DDR geworden. Aus Liebe hat sie das getan. Sie war damals 59, der Mann, zu dem sie zog 73. Die beiden kannten und liebten sich seit 31 Jahren. Und sie hatten zwei erwachsene Söhne.

Aber beginnen wir mit der ersten großen Liebe von Irene Thonke. Das war ein Rumäne, Preda hieß er, in Berlin studierte er Flugzeugbau. Ende der dreißiger Jahre lernten sich die beiden auf einem Künstlerball kennen. Irene – einzige Tochter aus gutem Hause, der Vater ein Arzt in Prenzlauer Berg – war Künstlerin. Sie malte Pflanzen und Tiere in Aquarell und mit Kreide, sie webte Teppiche, und sie entwarf Gobelins.

Nun liebte sie Preda, den Rumänen, der Krieg tobte irgendwo, in fernen Ländern, und die beiden lebten ein schönes Leben. 1944 zeigte Preda der Geliebten seine Heimat. Und hier, ganz plötzlich erreichte sie der Krieg.

Preda musste in die Armee, musste Kriegsflugzeuge reparieren, und Irene Thonke fuhr ab, zurück nach Wien, wo sie weiter ihre Tiere, Pflanzen, Blätter malen wollte, als sei die Welt noch immer heil. Eines Tages, um eine spezielle Blattform zu studieren, lief sie ins Kaiser-Wilhelm-Institut. Und dort, im Herbarium, begegnete sie ihrer zweiten großen Liebe: dem Institutsdirektor. Jenem Mann, dem sie 31 Jahre später in die DDR folgen sollte.

Er war es wohl, der 14 Jahre Ältere, der in Wien die Initiative ergriff. Er war verheiratet, hatte schon fünf Kinder. Aber so ist das eben mit der Liebe.

Und Preda, der Rumäne? Vergessen? Zu weit weg? Wer weiß.

Lang dauerte es nicht, dass der Kanonendonner Wien erreichte. Das Institut wurde demontiert, auf Lastautos verladen, mit ihm flohen der Direktor und die Geliebte, nordwärts, vorbei am brennenden Dresden, mit dem Ziel Berlin.

Bevor sie es erreichten, war der Krieg vorbei, das Institut blieb, wo es gerade war, im Harz auf einem Landgut. Mit ihm blieb der Direktor dort, aber Irene Thonke zog weiter. Was sollte sie im Harz? Sie war Künstlerin, Berlin war ihre Heimat.

Sie zog zurück nach Steglitz, in ihr altes Atelier, eine kleine Wohnung unterm Dach. Sie malte, webte Teppiche, sie entwarf auch Stoffe, Schals und Tücher. Ihr Geliebter besuchte sie, und sie besuchte ihn.

1947 brachte Irene Thonke ihren ersten Sohn zur Welt, 1949 den zweiten. Und der Vater war weiter eher Gast als Familienoberhaupt. Er zahlte Unterhalt, das ja, aber das Geld blieb stets ein Thema: So angesehen Irene Thonke mit ihrer Kunst, den Stoffen und den Gobelins, auch war, das Auskommen blieb doch mühsam.

Der größte Auftrag, den sie je bekam, waren vier riesige Gobelins für den Speisesaal im Schloss Bellevue. Theodor Heuss hat sie in Auftrag gegeben, die Jahreszeiten waren das Thema.

Es war noch in den fünfziger Jahren, als sich der Vater von Irene Thonkes Kindern ein Bauernhaus mit großem Garten an der Ostsee kaufte. Dort, in den Ferien, konnte die Familie mal Familie sein. Irene Thonke mit den Söhnen fuhr dort hin, wann immer ihr es möglich war. Nach dem Bau der Mauer wurde das natürlich schwieriger, aber da der Vater kein Unwichtiger war in der DDR-Wissenschaft, bekamen sie Passierscheine auch zu Zeiten, zu denen andere West-Berliner sie nicht bekamen.

Mühsam aber war das allemal: Vor jedem Treffen mit dem Vater die Weltengrenze, die Treppen und die düsteren Gänge am Bahnhof Friedrichstraße, die Pass-Gepäck-Kontrollen. Manchmal durfte die Mutter nicht hinüber sondern nur die Söhne, manchmal andersherum. Und dann die Sache mit den Jugendämtern. Der Vater zahlte ein im Osten, die Mutter verhandelte mit den Westbürokraten.

Ihren Beruf, die kleine Stoffmanufaktur in der eigenen Wohnung betrieb Irene Thonke bis zum Ende der sechziger Jahre. Dann hörte sie auf. Die aufwändigen Stoffe, die Schals, die teuren Tücher – das ließ sich nicht mehr gut verkaufen. Die Fabriken waren besser geworden, die Konkurrenz größer. Warum Irene Thonke auch mit der Malerei aufhörte, das ist ein Rätsel. Den Söhnen sagte sie, wenn die mal fragten, es sei eine Epoche gewesen in ihrem Leben, und die Epoche sei nun vorbei.

Aber erst als der jüngere Sohn sein Arztexamen hatte, endete auch ihre Berliner Zeit. Nun, endlich konnte Irene Thonke, die Mutter, die mal Künstlerin gewesen war, zu ihrem Mann ziehen. Er war ihr Mann, auch wenn sie nie geheiratet hatten.

Nach 14 Jahren des gemeinsamen Lebens starb er, ganz kurz bevor die Mauer fiel, die die beiden schon längst überwunden hatten.

In den Jahren, die folgten, gab es aber doch noch einen guten Freund: Preda, der Rumäne, hat Irene nie vergessen. Er brachte in Erfahrung, wo sie lebt, hat ihr geschrieben aus Rumänien, sie schrieb zurück, und er schrieb wieder. Irene Thonkes Enkelin liest Predas Briefe gerade. Kann sein, dass er sie immer noch liebte. Gesehen haben sich die beiden niemals wieder. David Ensikat

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