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Wirtschaft: Geb. 1923

Margarete Winter

Margarete Winter

Tante Geta. Hätte es die stationäre Krankenpflege nicht gegeben, sie hätte sie erfunden. Und noch gerechter gemacht für alle Schwestern und Pfleger, die sich abmühen für wenig Geld. Zwischen Gummilaken, Gipsbetten und Bettpfannen. 64 Berufsjahre - da hat sie viel gesehen. Hat sie deshalb den Ärzten nicht getraut? Nahm sie sich selbst nicht wichtig? Kaum einmal ist sie zu einem hingegangen. Selbst als es Ernst wurde, der Diabetes kam, der Graue Star, nur widerwillig.

Tante Geta. Stark, strebsam und bedacht. Die große Schwester war sie im Drei-Mädchen-Haushalt der Familie Winter. Damals in den Dreißigern in Frohnau. Keck wippten ihre Blondzöpfe durch die Straßen der Gartenstadt. Mit 16 war die Unbeschwertheit weg, der Krieg ging los, Hitler forderte den Dienst am Vaterland, Margarete wurde Krankenschwester. Und sie wurde es gern. Es wurde ihr Leben. Daran änderten auch die Bilder nichts in ihrem Kopf, die Kriegs-Toten, das Lazarett, die Diphtherie, die sie sich in Frankreich zuzog.

Tante Geta. Nach ’45 kam sie nach Berlin zurück. Im Wenckebach-Krankenhaus in Tempelhof trat sie ihre erste Stelle an. Wohnte auf Station, ganz winzig, viel Arbeit war ihr keine Last. Die beste Oberschwester, die sie alsbald hatten, hieß: Winter, Margarete. Und hatte ihrerseits ein Vorbild – Agnes Karll. Reformerin der deutschen Krankenpflege. Der nachzueifern, war Passion von Margarete Winter. Ausdruck ihrer leidenschaftlichen Bewunderung: 16 Jahre war sie Erste Vorsitzende des Agnes-Karll-Regionalverbands Berlin.

Ihre Nichten sagen: Eine wie Geta hieße heute Karrierefrau. Oder auch: „Networkerin“. Das Klinikum in Steglitz wurde ihre nächste Wirkungsstätte, da war sie zweite Oberin. Fuhr viel herum und holte Wissen ein für den Berufsstand. Vornehmlich in der Ferne, in Schweden, Tokio und Washington. Stand mit ihrem Koffer in Bremerhaven auf dem Schiff, 1965 war’s, lachend, und ganz ohne Angst. Tante Geta, sagen ihre Nichten heute, Tante Geta war für uns die große, weite Welt. Zwei Leidenschaften brachte sie sich aus den Staaten mit: die eine für die deutsch-amerikanische Freundschaft, die andere für Burger King und Coca-Cola. Der Diabetes später hielt sie nicht zurück.

Tante Geta. Gibt es solche Menschen noch? Ein Leben für die Arbeit? Als Ende der Sechziger die Schwesternhauben ausgemustert wurden, da war Margarete Winter es, die sagte: „Ich trage meine weiter.“ Wert legte sie darauf, dies nicht als einen Ausdruck von Verstaubtheit anzusehen. Nur mit dem Häubchen war für sie die Schwestern-Uniform perfekt. 1988 heftete man ihr das Bundesverdienstkreuz an. Und oft war sie geladen zu den großen Festen in der Stadt, sogar beim Bundespräsidenten. Die Nichten sagen: „Da durften wir oft mit“.

Tante Geta. Selten, ganz selten war die Liebe Thema, das Vermissen eines Ehemannes. Die einzige Geschichte dahingehend: Hans-Hermann. Ein Ferienschwarm, Cuxhaven, Tante Geta war noch Backfisch. Kindliches Geplänkel, nicht viel mehr. Hans-Hermann blieb im Krieg und tief in Getas Herzen. Sein Bild in ihrer Wohnung stellte sie nie weg. Tapfer nahm sie an, dass ihr Leben „ohne“ blieb. Ohne Kinder, ohne Mann. Kein Jammern, Klagen – sie hatte doch die Kranken. Die Familie. Ihren Glauben.

Tante Geta. Eine Asketin war sie nicht. Pink hat sie gern getragen, Sachen von Bogner auch, Kostüme holte sie bei Zenker auf der Schlossstraße. Und ihr Korallenring, ganz wichtig, denn auch Dame war sie durch und durch. Der Familie bescherte sie immer wieder neuen Lesestoff, schnitt aus Zeitungen heraus, was lesbar war und wichtig. Zum Essen lud sie gern in teure Restaurants, zu Mövenpick am Wasserklops zum Beispiel, die Qualität der Speisen testete sie vorher allein.

Die Pensionierung ’86 – in Würde nahm sie Abschied. Der fiel nicht schwer, denn Arbeit blieb ihr trotzdem, Gott sei Dank. So viel war noch zu tun, zu lesen, zu sammeln für den Verband. Und einen schönen Titel durfte sie sich geben, nicht vielen stand der zu: Oberin a. D. Als diese kehrte sie am Ende nochmal kurz zurück ins Klinikum. Der Knochenkrebs, die Chemotherapie. Bei ihrer Ankunft standen sie Spalier. Da kam eine nach Hause.

Judka Strittmatter

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