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Wirtschaft: Geb. 1925

Heinrich Schwarz

Er baute eine Yacht, Tritonia, und versprach ihr: Mein Alter verbringe ich mit dir.

Er war 62 Jahre alt, als er die Baufirma und den Bungalow in Zehlendorf verkaufte. Er fuhr einen Sportwagen, den Bungalow hatte er selbst gebaut, mit Musikzimmer, Flügel, Partykeller und beheizbarem Außenschwimmbad. Er hatte genug gearbeitet, hatte Uferbefestigungen, Schiffsanleger, Straßenabfahrten gebaut. Es war an der Zeit, einen Traum zu verwirklichen. Er wollte ein Schiff bauen. Auf seinem Schreibtisch stand seit 20 Jahren das Modell.

Tritonia sollte es heißen: die Meeresgöttin. Ein eleganter Zweimaster aus Holz, hochseetauglich, 15 Meter lang, acht Meter breit, mit sechs Betten, zwei Bädern und kostbaren Schnitzereien. Mit Tritonia wollte er sein Alter verbringen, acht Monate im Jahr mit ihr durchs Mittelmeer schwimmen. Er hatte das Funkerpatent, er war ungebunden. Was brauchte er da noch das große Haus? Für die vier Wintermonate in Berlin genügte die Wohnung, die er sich in seiner ehemaligen Garage ausbaute, Deckenhöhe 1 Meter 90. Ein Piratennest, dunkel und eng.

Als kleiner Junge hat er an der Schleuse von Kleinmachnow gestanden und geschworen, dort eines Tages mit dem eigenen Boot durchzufahren. Als er im Sommer 1987 damit begann, Tritonia aus südamerikanischem Teak- und Mahagoniholz zusammenzusetzen, lag die Schleuse von Kleinmachnow noch hinter der Mauer. Drei Jahre später, im Herbst war Stapellauf mit 100 geladenen Gästen und einer Jungfernfahrt über den Teltowkanal. Tritonia zierte eine barbusige Nixe als Galionsfigur. Und Tritonia schwamm tadellos. Die Kanäle durch den Osten waren nun offen.

Dann der Winter. Tritonia träumt angetäut im Kanal vor sich hin, als er an Blasenkrebs erkrankt. Er sagt zu ihr, das wird schon wieder. Er hat fünf Jahre Kriegsgefangenschaft im Ural überstanden, da besiegt er doch auch diesen kleinen Krebs. Und tatsächlich schafft er es. Doch die Fahrt ins Mittelmeer wird auf den nächsten Sommer verschoben. Mit ein paar Freunden an Bord fährt er eine kleine Runde bis zum großen Wannsee. Auf dem Weg passieren sie die Schleuse von Kleinmachnow. Damit ist der Kindheitsschwur erfüllt. Doch dann läuft Tritonia auf Grund, bleibt mit ihrem hübschen weißen Bauch im Wannsee-Sand stecken. Finito. Welche Schmach für sie, die stolze Schöne. Aber ist es denn ihre Schuld, dass sie zu groß ist für dieses elende Flachgewässer?

Er ist ein Naturtalent, was die Frauen betrifft, schon in der Schulzeit schwänzt er für sie den Unterricht, schon damals seufzen sie, wenn sie ihn sehen. Dabei hat er abstehende Ohren, eine Zinkennase, ist nicht groß. Eine wartet sieben Jahre auf ihn, während Krieg und Gefangenschaft, ohne Glück. Er hat das richtige Maß an Selbstbewusstsein, eine unnachahmliche Lässigkeit, ein Funkeln im Blick, und eine unverklemmte Erotik. Schon mit 17 trägt er die Haare provozierend lang, dazu elegante Anzüge und einen schwarzen Hut. Er liebt die Jazzmusik, gehört zur Swing-Jugend im Dritten Reich. Er ist nicht für die Treue gemacht, aber seinen abgelegten Frauen bleibt er lebenslang verbunden, wenn sie es wünschten. Mit 40 versucht er es mal mit der Ehe, mit einer 20-Jährigen. Es hält ein Jahr, doch zur Feier der Scheidung holen sie die Hochzeitsreise nach und vergnügen sich eine Woche lang in Paris.

Tritonia hätte voller Argwohn sein müssen, als er im Juli 1991 auf eine Anzeige im Tagesspiegel antwortet. Eine 35-jährige Dame, aus Hannover zugereist, sucht einen geistreichen Begleiter durch Berlin. Er macht sich in seinem Brief fünf Zentimeter größer und zehn Jahre jünger und zieht zum Treff in der Parisbar ein buntkariertes Jackett an. Beim zweiten Mal erwartet er sie mit Decke und Kühltasche für ein klassisches Konzert im Tiergarten. Sie ist hingerissen. Im Herbst brechen sie zu ihrer ersten gemeinsamen Reise auf: nach Indonesien mit dem Flugzeug. Tritonia bleibt im Teltowkanal, verschnupft.

Während sie langsam von unten her anfault, hat er für die Dame aus Hannover alle Zeit der Welt. Baut eine schicke Dachgeschosswohnung, macht die Nächte durch und Reisen, Reisen, Reisen. Nur als einmal eine Vorabendserie auf Tritonia gedreht wird, kreuzt er auf, macht plötzlich wieder einen auf große Liebe. Na ja, noch hofft sie ja. Noch repariert er immer wieder an ihr rum, verspricht: Nächsten Sommer fahren wir los, da siehst du die Cote d’Azur.

1995 wird er wieder krank. Diesmal ist sie schuld – sie, Tritonia. Krebs in den Speicheldrüsen gilt bei den Waldarbeitern in Südamerika, die das Tropenholz schlagen, als Berufskrankheit.

Er ist ihr nicht bös’: Versteh doch, Tritonia, ich möchte bei der sein, die mich zu nehmen weiß wie keine bisher. Mit der ich so lange zusammen bin wie mit keiner zuvor. Erinnerst du dich an das Lied, das die schöne Ilse sang in der Swingband, 1942? Ich begleitete sie am Klavier.

Auf dem Ozean des Lebens fährt man hin und her. Sucht nach Liebe im Weltgetriebe. Aber immer weiter geht die Reise, kreuz und quer, übers weite Meer. Land in Sicht. Das nennt man Liebe auf den ersten Blick. Oh, oh, ich freu mich so. Ich zerspringe vor Glück. Zerspringe vor Glück. Land in Sicht.

Na wunderbar. Für ihn mag alles in Ordnung sein. Er hat sie gebaut, ist mit ihr einmal durch die Schleuse geschippert. Aber sie? Einmal reißt sie sich noch zornig vom Ufer los, mit letzter Kraft, treibt den Kanal entlang und wird von der Wasserpolizei wieder eingefangen. Umsonst. Danach kommt er noch seltener. Er lässt sich nicht erpressen. Stattdessen besuchen sie die Diebe, schlachten sie langsam aus; und das kalte, feuchte Wetter setzt ihr zu. Im Herbst 2001 wird sie abgewrackt.

Ein Jahr nach ihr, der unglücklich verliebten Nixe aus dem Teltowkanal, starb auch er. Die Krankheit, die sie aus Südamerika brachte, war zurückgekommen. Die andere Frau kämpfte noch um ihn. Eine Zeit lang mit Erfolg.

Kirsten Wenzel

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