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Wirtschaft: Geb. 1927

Christel Boom

Christel Boom

Geträumt hat sie von einem Ziegenstall in der Provence. Immerhin: Sie besaß mal ein französisches Auto, einen knallgelben Citroën. Jahrelang ist sie damit von Bad Godesberg in die hessische Staatskanzlei nach Wiesbaden gefahren. Damals trug sie noch den Namen ihres Mannes: Guillaume. Ihre Ehe war zu dieser Zeit schon längst kaputt, aber ein geheimer Auftrag hielt das Paar zusammen.

Sie haben ihn in den fünfziger Jahren vom Staatssicherheitsdienst der DDR erhalten, in diesem Auftrag sind sie 1956 als Flüchtlinge in die Bundesrepublik gekommen. Mit eiserner Disziplin spielte Christel Guillaume die rechte Sozialdemokratin und machte Parteikarriere. Als Günter Guillaume nach vielen Jahren im SPD Unterbezirk Frankfurt Referent des Bundeskanzlers Willy Brandt wurde, saß Christel längst als Sekretärin und Büroleiterin des Staatssekretärs im Vorzimmer der hessischen Landesmacht und hatte Einblick in geheime Nato-Dokumente und SPD-Strategiepapiere. Sie war eine der ganz wichtigen Agenten der Stasi-Auslandsspionage.

Hatte sie denn keine Angst, dass ihr Doppelleben auffliegen könnte? So eine Frage konnte Christel Guillaume aufbringen: „Angst ist doch kein Helfer!“, rief sie dann. Sie hat es sich kaum einmal erlaubt, Gefühle zu zeigen.

Am 24. April 1974 sind sie und ihr Mann verhaftet worden. Die Anklage lautete: schwerer Landesverrat, in der Presse beschrieb man sie als „Monstrum“. Und sie ließ weiter keine Emotionen zu. Auch nicht während der monatelangen Verhöre, auch nicht in der Einzelhaft, als sie einen Schlaganfall erlitt. „Ich habe als Kind fürchterlich an Heimweh gelitten. Aber während der sieben Jahre im Gefängnis in Köln-Ossendorf hatte ich kein Heimweh. Da war innen einfach alles wie vereist, wie tot“, erzählte sie später.

Die letzten Jahre vor ihrem Tod lebte Christel Boom, von Osteoporose gequält, einsam in ihrer Eineinhalbzimmmerwohnung in Wilmersdorf, rauchte und wartete, dass die Tage und die Nächte vorübergingen. Aus den Zeitungen erfuhr sie, was in der Welt noch vor sich ging, mit durchaus großem Interesse verfolgte sie die Politik – sie, die einmal selbst in den Schlagzeilen gestanden hatte. Noch einmal an die Öffentlichkeit zu treten, das kam aber nicht in Frage. Journalisten, die sie dennoch über ihr Leben mit dem MfS befragen wollten, rief sie zu: „Sie sind schrecklicher als das BKA, schlimmer als die Stasi!“

Aber so viele interessierten sich ja gar nicht für sie. Günter Guillaume – das war der Mann, der Willy Brandts Rücktritt ausgelöst hatte, das war Markus Wolfs bekanntester Spion. Gegen Ende ihres Lebens ließ Christel Boom, inzwischen trug sie wieder ihren Mädchennamen, doch noch die Fragen zweier Journalisten zu. Ihnen sagte sie: „Ich bin ja mit Günter mitgegangen mit der Aufgabe, ihm Helferin zu sein. Denn, wenn man so will, war mein Mann von Anfang an mein Führungsoffizier.“ Eine unerträgliche Situation für die intelligente und ehrgeizige Frau, die von Experten als hochtalentierte Agentin eingeschätzt wird – im Gegensatz zu ihrem Mann, dem Kanzlerspion.

Mit ihrem Austausch und der Rückkehr in die DDR 1981 hoffte sie auf eine gerechte Beurteilung durch die Genossen: Jetzt endlich wollte Frau Guillaume aus dem Schatten ihres Mannes treten. Und sie wollte wissen, warum man sie nicht viel eher zurückgeholt hatte. Aber keiner ihrer Vorgesetzten ließ sich auf das klärende Gespräch ein, es hieß: Was hast du denn, jetzt lass mal die Vergangenheit Vergangenheit sein. Und die treue Genossin hielt auch jetzt ihr drängendstes Gefühl im Zaum, den Ehrgeiz. Sie ließ sich zwar von Günter scheiden, spielte ihre Rolle aber weiter, wie es die Vorgesetzten wünschten: Jahrelang tourte sie als überzeugte Kommunistin und Friedenskämpferin durch die DDR und hielt Vorträge vor MfS-Genossen über ihre Zeit im „Operationsgebiet BRD“.

Dass sie nicht im Ministerium arbeiten durfte, und also keinerlei Interna mehr erfuhr, erklärte Christel Boom später so: „Die Gefahr, dass man mich während meiner Einsatzzeit in der Bundesrepublik als Agentin umgedreht haben könnte, war ihnen einfach zu groß. In den Kopf kann man keinem Menschen reinsehen.“

Einunddreißig Jahre hat sie für die Stasi gearbeitet, zuletzt im Rang eines Oberstleutnants. Etliche Medaillen und Orden hat sie dafür bekommen. Nach der Wende verkaufte sie sie alle an ein Auktionshaus. Der Karl-Marx- Orden, den Erich Honecker ihr überreicht hatte, soll nach Vietnam verkauft worden sein, das hat sie noch erfahren.

Die Vergangenheit konnte Christel Boom mit ihren Orden aber nicht loswerden. Ihr Leben war verpfuscht, das stand für sie am Ende fest. Zwischen den Fronten des Kalten Krieges hatte Christel Boom vor allem eins gelernt: zu verdrängen, zu verschweigen. Ihrem einzigen Sohn Pierre zuliebe ist sie schließlich doch über ihren Schatten gesprungen und hat sich mit ihrer Vergangenheit auseinander gesetzt. Für den damals 17-jährigen Gymnasiasten, der von ihrem Doppelleben nichts ahnte, war die Verhaftung der Eltern ein Schock. 1975 siedelte er in die DDR über – die Eltern wünschten es so. Als er kurz vor dem Fall der Mauer wieder zurück wollte in den Westen, hat Christel Boom ihren Sohn bedingungslos unterstützt, egal, was sie zu befürchten hatte.

Das schlechte Gewissen ihm gegenüber werde sie dennoch mit ins Grab nehmen, hat sie gesagt. Pierre Boom, hat gerade ein Buch geschrieben, in dem er auch ihre Geschichte erzählt. Da ihr Mann und Führungsoffizier, Pierres Vater Günter Guillaume, jedoch der viel Bekanntere war, heißt es: „Der fremde Vater – der Sohn des Kanzlerspions erinnert sich“. Über seine Mutter weiß Pierre Boom viel mehr.

Inge Braun

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