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Wirtschaft: Geb. 1931

Jeanaut Jacquemar

Françoise, Sandra, Abbabesch, Nanette. Viele Frauen haben ihn geliebt. Aber lange hat es nie gedauert.

Die Kinder kommen, um sein Appartement zu räumen. Es gibt nicht viel zu tun. Im winzigen Bad trocknen ein Slip, ein paar Strümpfe und ein seidenes Hemd. Jeanaut hat sie täglich gewaschen. Das nahm er peinlich genau, wie die Gänge zum Friseur, zur Reinigung. Zwischen dem Heizkörper und der Badewanne steht ein Stapel Kartons. Darin dunkelblaue Flaschen. Über die Etiketten zieht sich in geschwungener Schrift: „Aus der Hauskellerei von Dr. Jeanaut Jacquemar“. Es ist Sekt, ein sehr guter, trockener Sekt. Jeanaut hielt auf sich. Die dunkelblauen Flaschen finden sich in jedem freien Fach der Kochnische, in den Schränken, im Bettkasten.

Der Kleiderschrank und die drei Vitrinenschränke sind schnell geleert. Ein paar afrikanische Schnitzereien. Zettel, bedeckt mit der kleinen, spitzen Schrift: Apotheke, Friseur, Lachs, Wasser, Bier liest man auf den einen, auf anderen Blondinenwitze. Auf dem runden Tisch vor dem Fenster die Bierbüchse, in die er die Kippen gesteckt hat, viel Medizin, ein schmales Kissen, damit beim Fernsehen die harte Platte nicht an die dünnen Arme drückte, und ein Kerzenleuchter. Daran lehnt ein Foto.

Es wurde 1950 aufgenommen. Drei elegante, beschwingte Menschen. In der Mitte strahlt die Mutter. Sie erinnert an die Schygulla, an die Dietrich. Zu jung, um so schön zu sein, hängt am rechten Arm Jeanauts Schwester, am linken er selbst. Er geht kerzengerade, mit diesem leichten Schulterdrehen, wie ihn auch seine späten Berliner Bekannten erlebten. Er lächelt, seltsam froh und ahnungsvoll zugleich. Das Lächeln sagt: Was auch kommt, es wird gut.

Er wohnte damals bei der Schwester in München, Berlin, das Gymnasium, die Bombardements lagen weit zurück. Er bügelte Hemden für die Amerikaner, studierte Maschinenbau. Dann arbeitete er für VW, und VW schickte ihn nach Marokko. Oft genug kam er heim, um zu heiraten und drei Kinder zu zeugen. Die Unicef warb ihn ab und setzte ihn sonstwo ein. In Afrika, in Südamerika. Die erste Frau machte das nicht lange mit, also nahm er die Französin Françoise zur Frau, doch auch diese Ehe wurde bald geschieden. Später, in Chile heiratete er Sandra. Sie hielt Bangladesh mit ihm durch, kam mit nach New York. Doch Jeanaut fühlte sich nicht wohl im Hauptbüro der Unicef. Wo auch immer, er brauchte Abwechslung, Wind um die Nase. Er ließ sich versetzen. Für Sandra wäre das ein Zurück in eins dieser armen Länder gewesen. Perdu.

Die Kinder aus der ersten Ehe hingen an dem reizvollen Vater. An allen möglichen Orten der Welt haben sie ihn besucht. Michel, der Zweitgeborene, sagt: Welche Bedingungen! Der Vater arbeitete mal in einer Lehmhütte, da war nichts, nur Lehm, Hitze, eine Aufgabe. Heerscharen von Frauen hat Michel durch Jeanauts Bett ziehen sehen. Der Berufsstress, die Frauen, der Hang zum Rotlicht. Die Lebenskerze brannte an beiden Enden.

Im Sudan lernte Jeanaut Abbabesch kennen. Sie war aus Eritrea geflohen, sie war jung, klug, gebildet, schön, alles. Er hat sie geliebt, so sehr, sagt Michel, aber Jeanaut war Ende fünfzig und verschlissen. Ein halbes Jahr lang lag er halbseitig gelähmt. Eine Last auf Abbabeschs Leben wollte er nicht sein. Also stattete er sie aus mit seinen Beziehungen, mit Geld, ließ sie nach New York gehen.

Er erholte sich – und traf in einer Bar in Abidjan auf die Philippinin Nanette. Sie gehörte zu einer Tanzkompagnie und brachte 1989 sein letztes Kind zur Welt. Er hat die Frau geheiratet. Er hat auf den Philippinen ein Haus gekauft, ein großes, schönes Haus.

1996 rief er Michel an, heulend, verzweifelt: Ich halte das nicht aus, sie geht mit dem Messer auf mich los, mein Unterarm ist zerfetzt. Michel sagte: Komm her.

Und Jeanaut kehrte nach mehr als fünfzig Jahren zurück nach Berlin, mit zwei, drei Koffern, einer guten Pension, sonst nichts. Michel und seine Frau haben sich um ihn gekümmert, trotz der Flasche Whisky jeden Abend, die es sein musste, bevor er auf den Sekt umstieg. Sie haben ihn geliebt, und er begriff das nicht. Er meinte, sie seien hinter seinem Geld her. Ein Bündel davon trug er, mit einer Klammer gehalten, in der durchsichtigen Brusttasche des Seidenhemds.

So wurde er Stammgast im „Gabiko“ – mit den Geldscheinen im Hemd, mit Seidenjackett, Seidenkrawatte, viel Gold an den Händen, unter deren faltiger Haut das Blut aus geplatzten Gefäßen in roten, blauen und braunen Flecken stockte. Er erzählte nicht, dass er in Afrika für die Impfung von Kindern eines Viertel Kontinents zuständig gewesen war. Er erzählte nicht, welche Probleme er mal hatte, Kühlschränke zu finden, die in der Wüste funktionieren. Er erzählte, er sei vierunddreißig Jahre im diplomatischen Dienst gewesen. Die Berühmten, mit denen er es zu tun gehabt hatte, führte er gern auf. Keiner weiß, wer er noch sein wollte. Er nervte die Leute zuweilen. Zeigte sich ein Rock am Horizont, gurrte er wie eine Taube, balzte wie ein Pfau und ließ das Geld durchblicken.

Seine Kinder haben sich Gedanken gemacht um die Beerdigung, liebevoll. Mit ihnen hat Ewa geweint, die Wirtin des Gabiko, und Karin. Jeanaut hat nicht viel von ihnen gehalten. Der schwule Udo, der ihn hoch genommen und ihn aufs Ohr geküsst, ihn gelegentlich mit groben Takten auf Menschenmaß gestutzt und zuletzt die Superleiche genannt hat, er war da. Zwielichtdieter auch und Wolf. Alle, so hat Jeanaut bis zum Schluss gemeint, unter seiner Würde.

Wer fehlte, war die Frau, die den letzten Urlaub mit ihm verbracht und ihn tot aufgefunden hat.

Edda Rydzy

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