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Wirtschaft: Geb. 1933

Rudolf Metz

Beim Aktzeichnen guckte er lieber in den Zeichenblock des Nachbarn als der Nackten ins Antlitz. Jeden Tag um acht verschwand er in seiner Gravierwerkstatt

Er war sein eigener Herr und Chef, hätte kommen und gehen können, wie es ihm beliebt. Aber das war nicht seine Art. Pünktlich muss man sein und zuverlässig. Dazu dieser Hans Sachssche Handwerksstolz. Und Feingefühl bis in die Fingerspitzen. Das braucht man in diesem Beruf, ein gutes Auge dazu, und natürlich Aufträge zahlungswilliger Kunden – ohne die wäre das alles wenig wert.

In der Dieffenbachstraße konnten sie jeden Morgen die Uhren auf acht stellen, wenn Rudolf Metz im Tor mit der Nummer 35 auftauchte und dann im zweiten Hof im roten Fabrikgebäude verschwand. Seine Werkstatt liegt im zweiten Stock hinter der Klinkerfassade, ein dunkles Grün beherrscht den Raum, die Maschinen zum Fräsen, Drucken und Prägen in der Mitte, und auch die Wände sind grün gestrichen. Es riecht nach Farbe, Öl und Eisenstaub, und immer, wenn jemand durch die hohe Eisentür ins Geschäft kommt, schlägt eine Glocke, laut und durchdringend.

Das Erste, was man sieht, ist ein robustes Regal mit einer Sammlung von Pokalen und Schmucktellern für die Sieger bei Dart-, Fußball-, Handball-, Karten- und sonstigen Spielen, zehn bis 70 Zentimeter hoch, bereit, mit Namen und Anlass für die Verleihung versehen zu werden. Die Pokale warten auf eine Gravur. Wir blicken in Rudolf Metz’ Gravierwerkstatt und sehen ein Bild aus alten Zeiten: Sport- und Ehrenpreise waren einmal eine Domäne des Geschäfts, und es ging ja gut damit vor Jahren, selbst die CDU kaufte und verlieh große Pokale. Aber irgendwann waren solche Trophäen nicht mehr gefragt, das Geld wurde knapper, Präsentkörbe sind nützlicher als solche Staubfänger, und die großen Pokalhersteller verderben nun auch noch den kleinen Graveuren das Geschäft, weil sie ihre Produkte den Sportklubs direkt und billig anbieten – da ist die Gravur schon inklusive.

Da war es gut, dass der Graveurmeister Rudolf Metz mit seiner mehr als vierzigjährigen Erfahrung noch mehr Eisen im Feuer hatte. Auf der Geschäftskarte annonciert seine Gravierwerkstatt Golddruck-, Stahl- und Blindprägestempel, Relief- und Maschinengravuren, Formkopien, Tiefziehformen und Kupferelektroden. Intensiv ist die Zusammenarbeit mit Goldschmieden und Juwelieren, Schmuck wird vom Graveur veredelt, Eheringe bekommen Namen und Daten, feinste Handarbeit. Für die Papierfabrik Herlitz arbeiten Maschinen: Folienprägestempel drucken allerlei Motive in Glückwunschkarten, bevor sie coloriert werden. Man entwirft Formen für Etiketten, presst erhabene Buchstaben und Motive, Figuren, Reliefs. Es gibt Arbeit, aber reich kann man damit nicht werden.

Glück und Reichtum sind an der Familie wie Sternschnuppen vorübergeflogen. Geblieben sind Lieder und Autogrammkarten mit einer jungen, hübschen blonden Frau darauf, der Schwägerin des Graveurmeisters. Die jüngere Schwester von Rudolf Metz’ Frau Ruth war ein Star im Showgeschäft. Sie sang „Schuld war nur der Bossa Nova“, „Der schwarze Mann auf dem Dach“, „Monsieur Dupont“ oder „Prost, Onkel Albert“. Sie hieß Manuela, und manche Radiosender spielen ihre Lieder noch heute. Vor zwei Jahren ist sie gestorben.

Das Ungewöhnliche im Lebenslauf des Rudolf Metz liegt in weiter Ferne. Seine Mutter Katharina war „Volksdeutsche“, gehörte zu den Donauschwaben, der Vater besaß eines der ersten Radiogeschäfte in Belgrad. Dort kam Rudolf im Mai 1933 zur Welt. 1938 zog die Familie nach Berlin, die Eltern ließen sich scheiden, Rudolf und Bruder Arno blieben bei der Mutter. Der Vater arbeitete als Hochfrequenztechniker in einem Geheimlabor von Siemens, wo die Fernlenkung für die V-Waffe entwickelt wurde. Eines Tages, es muss 1943 gewesen sein, kam mal wieder ein Paket von der Front, Absender war der Bruder von Rudolf, der es gut gemeint hatte, als er eine Dose mit Hühnerfleisch mit ins Paket gelegt hatte. Mutter Katharina aß davon und musste mit einer schweren Fleischvergiftung ins Krankenhaus – dort wurde sie von amerikanischen Bomben getötet. Die halbwaisen Kinder, Rudi und Arno, gingen nun wieder zum Vater, der inzwischen eine Weißrussin geheiratet hatte. Als die Russen kamen, war der Towarisch Metz ein gefragter Dolmetscher, bis sie dahinter kamen, was der Mann beruflich getan hatte. Sie nahmen ihn mit, acht lange Jahre baute er irgendwo am Schwarzen Meer mit seinen früheren Kollegen Raketenantriebe für die Russen. 1953 wurde er endlich entlassen. Rudolf, der 16-jährige Sohn mit dem Zeichentalent, kam nach Weißensee auf die Kunsthochschule, wo er beim Aktzeichnen seine Bilder lieber vom Skizzenblock des Nachbarn abmalte, als der echten Nackten ins Antlitz zu blicken.

Schließlich ging er bei einem Graveur in die Lehre und machte sich 1955 selbständig. Er heiratete und wurde Meister seines Fachs. „Seinen Meisterbrief hat er sich nie hingehängt, das war ihm zu protzig“, sagt Ruth, Rudolfs Frau, die im Geschäft das Schriftliche erledigt, all die Jahre bis zum plötzlichen Tod des Meisters. Bei der Behandlung eines zu spät erkannten Bauchspeicheldrüsenkrebs’ war es zu inneren Blutungen gekommen.

Jetzt ist die nächste Generation an der Reihe, Bodo Metz, der 46-jährige Sohn, übernimmt das Geschäft unter den Augen seines Vaters. Dessen Porträt blickt, mit einem schwarzen Band versehen, in die Werkstatt, dem Meister Rudolf Metz entgeht nichts – nicht, dass zwei alte Maschinen schon ins Technik-Museum gewandert sind, und auch nicht, dass Bodo Platz braucht für computergesteuerte Maschinen, die anzuschaffen sein nächstes Ziel ist. So wird die Firma weiterleben, und auch an Nachwuchs mangelt es nicht: Bodo Metz hat sieben Kinder.

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