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Wirtschaft: Geb. 1941

Dieter Maser

Er hat Bierdeckel für seine Minibar anfertigen lassen. Er war ein zufriedener Mann.

Hätte jemals jemand einen Film drehen wollen über Dieter Maser, dann hätte er vielleicht mit diesem Bild begonnen: Ein kleines Haus mit spitzem Dach in einer Straße, wo die Nachbarn freundlich sind und die Autos langsam fahren, ein Vorgarten, in dem die Blumen durcheinander wachsen und ein kleines Fenster, aus dem abends gelber Lichtschein fällt. Die Kamera fährt darauf zu und schaut hinein: Mutter, Vater, Kind am Esstisch – Reinhild, Dieter und Franziska. Dieter Maser ist ein Mann mit Bauch, mit listigfröhlichen braunen Augen, mit weißen Haaren bis zum Hemdkragen und einem Schnurrbart, der spitz wie ein umgekehrtes „V“ auf dem Mund sitzt und zuckt beim Sprechen. Die Drei reden ziemlich laut. Sie unterhalten sich in einer Art Geheimsprache aus Zitaten und Familienwitzen und lachen sich halbtot dabei. Reinhild will von Dieters Teller stehlen, er bedroht sie mit der Gabel.

Wahrscheinlich hätte sich aber niemand gefunden für einen Film über Dieter Maser. Filmemacher suchen Drama und Action. Über Dieter Maser hätte man bloß die Dokumentation eines zufriedenen Mannes drehen können, eines Mannes, der mit Humor und Genuss gelebt hat und früh gestorben ist, die Geschichte eines Lebens, das im Kleinen unkonventionell war.

Reinhild und Dieter haben beide zu Hause gearbeitet, so haben sie 38 Jahre gemeinsam verbracht. Geheiratet haben sie nie. Er hat Unternehmer beraten, wie sie Werbung machen sollen. Sie hat Bilder gerahmt. Beide waren zu Hause, wenn die Tochter aus der Schule kam. Wenn die Tochter nicht zu Hause war, haben sie öfter mal blaugemacht, haben im Kerzenschein gegessen, mit Silber und selbst geschriebenen Menüplänen, haben erst um vier Uhr nachmittags gefrühstückt oder sich vor den Fernseher gehockt, um Queen Mums Hundertsten mitzufeiern. Niemals hätte Dieter Maser als Angestellter arbeiten können. Er wollte Macht über den Alltag besitzen, die Dinge manchmal ganz anders angehen als noch am Tag zuvor, und er hat es geliebt, außer der Reihe Feste zu feiern.

Feste hat es viele gegeben im kleinen Haus mit dem spitzen Dach. Pfingstfeten und Wahlpartys, und zu Heiligabend haben Dieter und Reinhild die eingeladen, die keine Familie haben. Um Mitternacht war das Haus voll, mindestens 20 Leute waren da, Freunde der Tochter, Nachbarn, Akademiker und Handwerker. Dieter Maser stand dann mitten drin und stritt sich mit irgendwem, gestritten hat er gerne. Später tranken alle Punsch und spielten Scharade. Auch Kostümfeste hat Dieter Maser geliebt. Einmal wollte er als Hollywood-Diva gehen und bastelte sich aus gekochten Nudeln eine Lockenperücke. Seine Frau, die solche Feste gar nicht mag, zwang er, sich als alternde Greta Garbo zu verkleiden, und während sie oben unter seinen kritischen Augen übte, am Stock zu gehen, fraß unten der Hund die Nudelperücke.

„Dies ist unser privater Spiegel. Er entspricht nicht unseren Vorstellungen von einem guten Rahmen. Ebenso wie die meisten unserer privaten Bilder. Bitte nehmen Sie sich kein Beispiel daran“, steht auf einem Aufkleber am zerschrammten Spiegel im Flur. Dieter Maser hat den da hingeklebt, weil doch die Rahmenwerkstatt seiner Frau gleich neben der Küche liegt und die Kunden wie Hausgäste herumlaufen. Überall hat er kleine selbstgedichtete Verse hingeklebt, überall hat er Spuren hinterlassen im vollgestopften Haus.

Gleich neben der Küche liegt Dieter Masers privater Pub. Den hatte ihm ein Schreiner der Deutschen Oper gebaut: eine Mini-Bar nach Vorbildern der viktorianischen Pubs in England aus Mahagoni und dämmrig beleuchtet. Sogar Bierdeckel hat Dieter Maser anfertigen lassen. „Smallest Pub in Town“ steht drauf, „established 1991“. Alle Lampen, die Gläser, die Tapete, sogar die Glühbirnen hat Dieter Maser aus England mitgebracht. England hat er gemocht, vielleicht, weil die Engländer es verstehen, das Leben zu zelebrieren.

Dieter Maser hat gerne Rituale zelebriert, meist hatten sie mit Ess- oder Trinkbarem zu tun. Immer, wenn die Familie verreist ist, trug er im Handgepäck Shaker, Gläser und Oliven, um gleich nach der Ankunft Martinis mixen zu können. Kein einziges Mal sind Reinhild und Dieter am Flughafen durch die Sicherheitskontrolle gekommen, ohne angehalten zu werden. Im Scanner sah die Olivenbüchse wohl aus wie eine Handgranate. Auf seinem Boot, wo er selbstzufrieden auf Deck stand und am Ufer Neider zählte, hat er um sechs zum Cocktail geläutet.

Über den Tod hat Dieter Maser nicht nachgedacht, er hat verdrängt, was ihn hätte warnen müssen: die Kurzatmigkeit, die Schmerzen im Arm, die Bisse im Herzen. Ins Krankenhaus wollte er nicht. Vor Ärzten hatte er Angst. Sie hätten ihm ja befehlen können, sich einzuschränken. Sie hätten ihm befehlen können, weniger zu essen, nicht mehr zu trinken, das Rauchen sein zu lassen, die Gäste auszuladen und früh ins Bett zu gehen. Ich bin unsterblich, hat Dieter Maser im Scherz mal zu Reinhild gesagt. Zwei Herzinfarkte hat er überstanden. Den dritten nicht. Christine-Felice Röhrs

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