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Wirtschaft: Geb. 1949

Norbert Schwarz

Die letzten Jahre lebte er schnell, getrieben. Silvester 2000 sagte er: Das war die Pflicht, jetzt kommt die Kür.

Norbert Schwarz lächelt. Kneift ein wenig die Augen zusammen, schützt sie vor der Sonne. Lehnt lässig auf der Poolkante. Hinter ihm flimmert das Wasser. In der Mitte des Fotos aber lächelt Norbert Schwarz. Direkt blickt er in die Kamera. Scheint den Fotografen aufzufordern: Komm doch mit ins Wasser! Widerspruch erwartet er nicht, würde ihn wahrscheinlich ohnehin überhören. „Er behielt die Fäden eben gern in der Hand“, sagt Matthias, sein Fotograf und Gefährte. Mit ihm teilte Schwarz die letzten sieben Jahre seines Lebens.

An dem Tag, an dem das Foto entstand, hielt Norbert tatsächlich noch alle Fäden in der Hand. Und er hielt sie straff. In seinem Leben überließ er nur wenig dem Zufall, und weil er es so gewohnt war, regelte er den Alltag seines Freundes gleich mit. Norbert war der große Organisator. Man aß gerne auswärts und den Tisch im Restaurant reservierte er, natürlich. Beide reisten gern. Die Urlaubsflüge buchte Norbert. Und wenn ihm einmal wieder etwas Neues für die Altbau-Wohnung in Charlottenburg einfiel, instruierte er die Handwerker.

So jemand kann für die Freunde sehr bequem sein; einer, der alles in der Hand hat, auf den man sich verlassen kann – und auf Norbert konnte man sich verlassen, selbst wenn er mäkelte. „Tu doch auch mal etwas“, nörgelte er manchmal zu seinem Freund herüber. Aber das war nur pro forma, um klarzustellen, dass in der Organisiererei viel Arbeit steckte. Matthias tat ihm den Gefallen der Anerkennung, spielte das Spiel ihm zuliebe mit. „Das kannst du doch viel besser, Dicker. Womöglich buche ich in der Oper die falsche Sitzreihe.“

Ja, das wäre schlimm gewesen. Nichts liebte Norbert mehr als die Oper. Und nichts hasste er mehr, als eine gestörte Oper. Richtig zickig konnte er werden, wenn jemand mit Bonbonpapier raschelte oder das Pianissimo in Fetzen hustete.

Wie, du kennst Oper nicht, fragte er entsetzt, als Matthias ihm eines Tages gestand, dass er keine Ahnung hatte. Also legte Norbert fest: „Du bist reif, heute gehen wir in die Oper.“ Sein Freund schwieg und folgte. „Hat es dir gefallen?“, fragte Norbert. „Eigentlich nicht.“ Da fing Norbert an zu streiten, lamentierte, diskutierte – und stritt schließlich allein, denn Matthias zog aus an diesem Abend. Für eine Nacht ins Hotel. Und Norbert? Norbert hatte Zeit zum Nachdenken. Und das tat er gründlich, allerdings nicht über Recht und Unrecht. War ja klar, wer falsch gelegen hatte. Nein, er grübelte: Wo hat Matthias bloß die Nacht verbracht?

Norbert lebte schnell, getrieben. Denn der Tag, an dem ihm die Fäden entgleiten würden, rückte näher. Siebzehn Jahre lang lebte Norbert mit einem unerwünschten Untermieter in seinem Körper, dem Aids-Virus. Und so musste alles, was noch wichtig war, in ein paar Jahre hineinpassen. Zwei Termine mussten noch drin sein, befand er – und schwor: Ich werde 50 und ich erlebe die Wende zum neuen Jahrtausend. Silvester 2000, da war er 51, sagte er: „Das war die Pflicht, jetzt kommt die Kür.“

Die Zeit raste, und manchmal ließ Norbert sie einfach ziehen. Er hatte da so ein Ritual: Wenn er aus der Dusche kam, trocknete er sich nie ab. Tropfnass kuschelte er sich in ein riesiges Badehandtuch, legte sich auf den schwarzen Ledersessel vor dem CD-Regal und wartete, bis er trocken war. Hörte Musik. Stundenlang konnte er so ausharren. Das war sein Revier. Noch heute will sich Matthias nicht hineinsetzen. „Norbert hat immer klar gemacht, dass dies sein Sessel war.“

Die Kür wurde zur Tortur. Ab November 2002 glitten ihm die Fäden langsam aus den Händen. Die Ärzte diagnostizierten Hepatitis C, eine schwere, lebensgefährliche Lebererkrankung. Die Reise nach Thailand, die Norbert längst gebucht hatte, fiel aus. Da spürte Norbert zum ersten Mal die Angst, die Kontrolle über sein Leben zu verlieren.

Er wehrte sich, auch als er ins Krankenhaus musste. Den Umbau der Wohnung ließ er weiterlaufen. Die Terrasse im Vorgarten, die hatte er noch selbst geplant. Mit Holzdielen auf dem Boden, einen kleinen Garten drumherum, zum draußen frühstücken. Matthias wollte ihn mit einer Provokation noch einmal nach Hause locken: „Und wenn die Bretter nicht so liegen, wie du willst?“ – „Muck, das musst du inzwischen gelernt haben, wie es mir gefällt! Du machst das schon.“

Es kam der Tag, an dem die Mediziner die Kontrolle über Norberts Leben übernahmen – scheinbar. Als die Ärzte die Maschinen auf der Intensivstation abstellten, weil es keine echte Hoffnung mehr gab, sagten sie: In einer halben Stunde ist es vorbei. Doch Norbert lebte noch anderthalb Tage. Er hat die Terrasse nie gesehen.

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