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Wirtschaft: Geb. 1950

Wilfried Knüpfer

Wilfried Knüpfer

Als sie sich das erste Mal trafen, war sie gerade 19 und er schon das erste Mal geschieden. Sie trug enge Klamotten, das Haar toupiert, den Mund knallrot, doch anfassen durfte sie niemand. Da mag dich einer, sagte ihre Freundin, komm doch noch mit in das Lokal, da ist freitags Tanz. Wer soll denn das sein, fragte sie ihre Freundin nach ein paar Stunden, ich sitz’ hier rum wie Pik Sieben. Du bist gut, der hockt die ganze Zeit neben dir. Ein stiller Vertreter, dieser Wilfried, gerade ein „Prost“ war bis dahin gewechselt worden. Blond war er, mit breiten Schultern und graubraunen Augen. Ein richtiger Hirte. Sie hat ihn dann einfach mitgenommen, den Hirten, nach Hause, die Eltern waren verreist. Und um drei hat sie gesagt: Ich muss jetzt schlafen, und du? Eine Liebe in Neukölln.

Es fing gut an, ihre Gesellenprüfung als Friseuse feierten sie zusammen und über Pfingsten fuhren sie mit einem anderen Paar an die Ostsee, heimlich, der Eltern wegen.

Er war so, wie sie sich einen Mann vorstellte. Damals schon. Doch da gab es zu viele Frauen um ihn herum, denen er auch gefiel. Und sie wollte sich auch noch austoben, die Haare rot färben und jede Nacht tanzen gehen. Also ging es auseinander, undramatisch eigentlich.

Das nächste Mal entdeckte sie ihn auf einer Baustelle, wo er als Eisenflechter arbeitete, Jahre später. Sie stand auf dem Balkon, schaute hinüber, er gefiel ihr immer noch. Aber jetzt war sie verheiratet. Also nur ein kurzer Plausch, was haste denn so gemacht? Nächstes Treffen, auf der Buckower Chaussee. Inzwischen arbeitete sie bei der BVG, stand auf dem Bahnsteig, war geschieden, aber mit einem Kollegen liiert. – Zurückbleiben, bitte. Sie tranken nur einen langen Kaffee. – Na dann, mach’s gut.

Es war ein Freitag im Jahr 1993, S-Bahnhof Attilastraße. Wo willst du denn hin, fragte sie, als sie ihn auf dem Bahnsteig entdeckte. Ach, bloß zu meinem Bratkartoffelverhältnis. – Na ruf mich doch mal an, wir können doch mal wieder weggehen. Sie war inzwischen 33, er 43. Ihr Haar war immer noch rot. Am Mittwoch klingelte ihr Telefon, am Samstag stand er vor der Tür, mit einem riesigen Strauß, Rosen natürlich. Noch am selben Wochenende zog er bei ihr ein. Vierzehn Jahre Anlauf, das reicht aus.

Auch wenn es nicht einfach war in der Einzimmerwohnung. Sie arbeitete manchmal bis morgens um sechs. Er musste um sieben auf der Baustelle sein. Sie wusste, wie viele Ehen bei der BVG am Schichtdienst scheitern. Den Mann abends zu Hause lassen? Das schafft man nur, wenn man sich wirklich vertraut. Bei ihnen war das so. Sie stand ja auch nach der kurzen Nacht jeden Morgen mit ihm auf, trank einen Kaffee, machte die Stullen fertig. Am Samstag nach der Nachtschicht ließ er sie schlafen, wischte schon mal Küche und Flur und kaufte ein.

Sie ging immer noch gern tanzen, die Freunde schenkten ihr zum 40. Geburtstag einen Stripper. Eine verrückte Nudel, so war sie, so mochte er sie. Auch wenn er lieber ruhig mit einem Buch in der Ecke saß: Komm, sagte er, geh’ dich vergnügen. Dafür ließ sie sich von ihm zum Reisen verführen, nach Sri Lanka, Indien, Dubai, Thailand, da wäre sie sonst niemals hingefahren.

Sie zogen in eine Wohnung mit Dachterrasse, gemeinsam mit Benny, dem Langhaardackel, der jede Nacht mit im Bett schlief. Die Wohnung ist voller Kuscheltiere, Bennys Weihnachtsgeschenke, die er glücklich durch die Gegend trug. Sechs gute Jahre hatten sie zu dritt, bis der Raucherhusten von „Winne“ zum Röcheln wurde. Im Wohnzimmer stand jetzt ein Sauerstoffgerät.

Sie ließ das Zimmer rosa streichen, gegen die dunklen Gedanken. Da musste er schon schlucken. Rosa war nicht gerade seine Lieblingsfarbe, und auch noch die Kissen auf dem Sofa, ein bisschen viel, vielleicht. Egal, wenn es ihr doch gefiel. Er war schwach geworden, der starke Mann, und irgendwann reichte die Kraft nicht mehr zum Socken anziehen.

Zu seinem letzten Geburtstag hat sie ihm ein Auto gemietet, ein Audi Cabriolet, champagnerfarben. Champagnerfarben, das gefiel beiden. Ich kann nichts mehr für Sie tun, sagte der Arzt, als seine Lunge wieder voll Wasser stand. Es blieb nur noch das Morphium, wenige Stunden im Koma. Eine letzte Zigarette, ein Abschiedsessen: Currywurst mit Kartoffelsalat. Beides schmeckte nicht mehr, und er verlangte nach einer Zahnbürste.

Jetzt fühle ich mich besser, sagte er. Sie saß neben ihm, als er zum letzten Mal atmete, acht Züge, ruhig und tief, ohne jedes Röcheln. Sie hat ihm eine prächtige Beerdigung ausgerichtet, mit vielen Gästen, roten Rosen und weißen Orchideen. Sie kann nicht anders, auch wenn er sicher gesagt hätte, du spinnst doch. Seine Hausschuhe an der Eingangstür hat sie stehen lassen. Für Benny. Damit der Kleine nicht durchdreht.

Kirsten Wenzel

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