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Wirtschaft: Geb. 1952

Michael Föge

In der DDR war er einer der ersten, die Golf fuhren. Im Westen war er arbeitslos und Vorsitzender des Fahrradclubs.

Freie Fahrt für freie Bürger? Hier kommt einer, der versteht was davon. Der Fahrradbeauftragte der Stadt Berlin: redet gern von Mobilität, so gern wie die Bleifüße in ihren Blechkisten, hat sogar eine Schwäche für frische, glatte Asphaltflächen. Weiß aber auch, dass man rechtzeitig abbiegen können muss, Haken schlagen, wenn der Stau naht. Dass die echte Freiheit im Kopf beginnt. Nicht zuletzt mit Humor.

In der DDR konnte man das ganz gut lernen: sich die Dinge mit Lachen vom Leib halten. Nicht laut – leise, so dass es keiner merkt. Seine Mutter war die Leibärztin des Volkskammerpräsidenten, da stand man als Sohn unter einem Erwartungsdruck. Ausreiseantrag, das ging nicht. Lud er also bloß seine Freunde und Bekannten zur Dampferfahrt ein, ein-, zweimal im Jahr, ganz harmlos. Manchmal waren 150 Leute an Bord, inklusive Stasispitzel „Sebastian“. Bei der Gastwirtschaft „Tante Anne“ bei Königs Wusterhausen legte der Dampfer an. Man tanzte und trank, und es fiel kein politisches Wort. „IM Sebastian“ notierte dennoch fleißig, auf der Mitte des Sees schwammen derweil unerkannt Zettel im dunklen Abendblau. Wahlscheine. Hatte der Michael bei der Reservierung vom Dampfer doch gar nicht gemerkt, dass heute Wahltag war. Also, da hat er sich wirklich nichts bei gedacht.

Er zeigte doch guten Willen – in seinen Grenzen. Er war dabei, als sie bei den Weltfestspielen der Jugend die Delegationen aus dem Ausland begrüßten. Und hielt da im FDJ-Hemd freundlich lächelnd ein Plakat in die Höhe, Aufschrift: USA. Das Foto hängt noch über seinem Sofa. Er arbeitete als Physiker im Werk für Fernsehelektronik, obwohl er lieber Kulturelles veranstaltet hätte. War einer von denen mit langen Haaren und langem Vollbart in Prenzlauer Berg, sah aus wie Erich Mühsam. Wurde dann bald für die Kulturarbeit im Betrieb freigestellt, jeder nach seinen Fähigkeiten eben, und spielte abends Kabarett.

Als er seine Frau kennen lernte, die Aussteigerin mit den langen schwarzen Haaren, verkaufte er mit ihr Schmuck und selbst genähte Kleider auf den Märkten von Rostock, Suhl und Köpenick, machte ganz Schluss mit der Fernsehelektronik, so wie sie vorher Schluss mit dem Lehrerdasein gemacht hatte. Asozial nannten die Mächtigen so was in der DDR, wenn einer freiwillig auf die Arbeitsstelle verzichtete. Verdächtig war es, nicht gewünscht, dass sich da jemand entzog. Aber so richtig verboten war das nun auch wieder nicht. Nicht mehr in den Achtzigern jedenfalls, als es mit der DDR langsam bergab ging.

Damals nannten ihn die Freunde Golf-Michi. Denn Golf fahren war in der DDR was ziemlich Besonderes, besonders wenn man kein Handwerker, Bonze oder Künstler war. Er war einer der ersten, der 1978 mit hellgrünem VW Golf durch die Hauptstadt brauste. Andere kauften für den West-Wagen tütenweise Lotterielose, er hatte mal seinen Namen in eine Liste geschrieben, im Werk für Fernsehelektronik, und hatte eben Glück. Ein nagelneuer Golf und freie Fahrt auf den leeren Straßen der Deutschen Demokratischen Republik: Warum, um Himmels willen, hätte er da radeln sollen?

1993 sah die Sache anders aus. Die Straßen zugeparkt, die übrigen Autos kreisen auf Parkplatzsuche, und jeden Morgen Stau am Alexanderplatz. Da holte er sein klappriges Dynamo-Rad aus dem Schuppen, machte sich auf den Weg zur SPD, zur Bezirksverordnetenversammlung und zum ADFC, um was zu ändern.

Warum kann ich mein Rad nicht mit der S-Bahn mitnehmen?, will er wissen. Weil die anderen es ihm nicht sagen können, kümmert er sich selbst drum. Und prompt wird er Vorsitzender des Fahrradclubs, erstreitet die roten Mehrzweckabteile bei der Bahn, ungezählte „Fahrradabstellanlagen“, neue Radwege, und ein paar Jahre später machen sie ihn zum „Fahrradbeauftragten des Senators für Stadtentwicklung“. Ehrenamtlich, versteht sich, wenn auch mit einem Etat von fünf Millionen Mark. Vom Fahrradclub bekommt er ein schickes, blaues Dienstfahrrad für die ständigen Pressetermine mit radelnden Politikern.

Vierzehn Stunden täglich arbeitet er als ADFC-Vorsitzender, sieben Tage die Woche. Am Wochenende Tagungen, sein Telefon ist immer an, auch im Wohnwagen auf Usedom. Ein modernes Ehrenamt. Ein Managerjob. Er lebt von Arbeitslosenhilfe. Das stört niemanden, ihn nicht und die Politiker auch nicht. Den Anspruch auf die Stütze hat er erworben, als er nach der Wende Autoversicherungen verkaufte. Jetzt fährt er nur noch Rad, isst Obst und selbst gebackenes Brot, trinkt grünen Tee, trainiert für den Marathon. Doch im Abschalten ist er wie viele Macher nicht so gut.

Abends in der Kneipe wird mit den ADFC-Kollegen der Tag ausgewertet. Kurz vor Mitternacht springt er auf und rennt nach Haus, bevor die Liebste aus pädagogischen Gründen die Haustür von innen abschließt. Es ist die erfolgreichste Zeit in meinem Leben, sagt er seiner Frau, so möchte ich noch lange leben.

Michael Föge starb mit 50 Jahren an einem Gehirntumor.

Kirsten Wenzel

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