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Wirtschaft: Geb. 1954

Hans Peter Hauschild

Hätte die Gemeinde gewusst, wer er wirklich war, dann hätte sie wohl Angst gehabt vor ihrem Vorsänger.

Vor allem kannten sie seine Stimme. Er war der Vorsänger. Sie hörten, dass sie keinen ganz gewöhnlichen Vorsänger hatten. Wer singt schon in der Kirche, als ginge es um alles? Und viel mehr als seine Stimme kannten sie nicht von ihm. Vielleicht hätte diese Inbrunst sie erschreckt. Einer, der jeden Tag vier oder fünf Stunden Psalmen sang, nur für sich – und für Gott natürlich. Musik ist ein Gottesbeweis. Dabei ist er Jahrgang 1954. Seine Generation hat ganz andere Lieder.

Wenn er nicht sang, klang er anders. Wie Intellektuelle eben klingen mit ihrem Rasiermesserverstand, den sie an allem ausprobieren müssen. Nein, dass ihr Vorsänger ein Doktor war, haben sie auch nicht gewusst. Und es war doch bei Hausschild wie bei allen, die zu viel nachdenken. Die können das nie für sich behalten. Sie müssen immer agitieren. Zum Beispiel die Deutsche Aids Hilfe. Er gehörte fast sechs Jahre zu ihrem Vorstand. Denn Hans Peter Hauschild war nicht nur sehr katholisch, sondern auch sehr homosexuell. Gottes Liebe ist universal, warum soll die unsere es nicht sein? Also möglichst grenzenlos. Und da Hans Peter Hauschild überall an Grenzen stieß, war er außerdem sehr links.

Menschen mit ausgeprägterem Realitätssinn hätten gesagt, man muss sich entscheiden im Leben. Entweder katholisch oder homosexuell. Entweder links oder katholisch. Entweder Psalmensingen oder Vergöttlichung des Fleisches. Aber in diesem Punkte war Hauschild Hegelianer. Wenn die Tatsachen sich mit der Theorie nicht vertragen – umso schlimmer für die Tatsachen. Denn außerdem war Hans Peter Hausschild Mystiker, ein Eindringling in Gott. Mystiker definieren Wirklichkeit ganz anders. Nein, wenn seine katholische Gemeinde in Wilmersdorf wirklich gewusst hätte, wer Hans Peter Hauschild war, sie hätte schon ein wenig Angst gehabt vor ihrem Vorsänger.

Vielleicht täuschte seine Stimme. Es gibt keine HIV-positiven Stimmen. Stimmen scheinen dem Geistigen viel näher als dem Kreatürlich-Vergänglichen. Aber genau diesen Schein lehnte er ab. Ein anderer Mystiker hat mal gesagt, es gibt Adagios, nach denen man nicht mehr verwesen kann. Wahrscheinlich hätte Hans Peter Hauschild als promovierter Kulturphilosoph ihn sofort in eine Diskussion verwickelt, denn rührt nicht alle Schönheit, alle Würde und sogar die Heiligkeit aus der Vergänglichkeit? Schon darum liebte er die vergänglichen Leiber.

Vielleicht fing alles in diesem katholischen Pfadfinderlager an, als er, Gießener Kind sudetendeutscher Flüchtlingseltern, nachts in das Zelt des Priesters kam. Er musste beichten. Er hatte sündige Gedanken. Entlastet und befreit kroch er zurück in sein Zelt, als er etwas Grausiges bemerkte. Die sündigen Gedanken kamen wieder. Der Bedrängte lief noch einmal ins Priester-Zelt. Vielleicht zwanzigmal ist er so hin- und hergelaufen. Am Morgen wusste er: Hier stimmt etwas nicht. Von dieser Stunde datierte Hans Peter Hauschilds uneingeschränkte Solidarität mit den Körpern.

Und warum sollte ein schwuler Mann keine Kinder haben? Der gerade diplomierte Sozialpädagoge hatte ein Projekt: Zusammenleben mit geistig Behinderten wie in einer Großfamilie – mit Frau, Baby, Freund. Natürlich musste auch sein Freund das Baby windeln. Den Kleinfamilien misstraute er, ihrer ausweglosen Enge, ihrem stillen Unglück, ihrer Entsagung. Er kannte das von seinen Eltern. Als die Caritas die Wirklichkeit des von ihr geförderten Wohnprojektes entdeckte, war es zu Ende.

HIV – für viele die Katastrophe; der Mystiker Hauschild nahm es als eine neue Möglichkeit. Der Frankfurter Oberbürgermeister plante schon Lager für Positive, als Hauschild und andere erkannten, dass sie die Sache selbst in die Hand nehmen mussten. Ich bin katholisch, Lehrer, schwul und positiv, stellte er sich vor. Dass die Aids-Hilfe etwas anderes werden musste als ein Fortsatz der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, darüber waren sich alle einig. Ob die Aids-Hilfe auch verantwortlich sein sollte für „Sinnstiftung“, darüber nicht. Hans Peter Hauschild war gekränkt. Vielleicht, weil kein Mystiker solch mittlere Gemütslagen versteht, auf denen sich Worte wie „weltanschauliche Neutralität“ finden lassen.

Hauschild verließ die Aids-Hilfe und zog nach Berlin, schon weil das so eine atheistische Stadt ist. Vielleicht ist Atheismus ja ansteckend, Hans Peter Hauschild wollte es ausprobieren – und scheiterte. Aber wenn der Katholizismus sein Schicksal war, sollte man ihn dann nicht wenigstens selbst formulieren? Hans Peter Hauschild dachte über Marienwallfahrten „als Globalisierungspraxis“ nach und bekam einen Doktortitel dafür. Im letzten Jahr erschien seine „Mystik des Sterbens“. Die „Fleischliche Theologie“ war fast fertig, als Aids ihn endgültig vom Computer wegholte. Aber wie die Liebe mit der Vergänglichkeit zusammenhängt und beide mit Gott und der Ewigkeit, das können nun alle lesen.

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