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Wirtschaft: Geb. 1956

Peter Mautzka

Wenn’s Nierchen sauer gab, konnte er sich nicht halten vor Lachen. Seine eigenen funktionierten nicht mehr. Eine Tasse fällt aus dem Schrank. Hat da jemand geschoben? War er das?

Schlimm ist das Nach-Hause-Kommen, sagt Susan. Tagsüber die Arbeit, da hab ich zu tun, bin unter Menschen, da denk ich nicht dran. Komme ich abends zurück und biege in unsere Straße ein, muss ich hochschauen, hoch zu den Fenstern, ob Licht brennt. Aber es brennt kein Licht. Er ist nicht da. Es gibt ihn nicht mehr. Wie lange es braucht, das zu begreifen, wirklich zu begreifen.

Ich sitze am Abendbrottisch, sagt Susan, und höre Musik, höre seinen Schlüssel im Schloss. Die Tür, die sich öffnet, Schritte im Flur. Es sind behutsame Schritte, er ist keiner, der reingetrampelt kommt. Ich gehe ihm entgegen. Aber da ist nichts. Nur die Hoffnung, dass es nicht wahr ist. Die Hoffnung, die nicht sterben will.

Susan geht in die Küche, Tee zu kochen. Sie nimmt die große Kanne, gibt Blätter hinein, gießt heißes Wasser dazu. Sie öffnet den Küchenschrank, um die Tassen zu holen, zieht die Schranktür zurück. Ein Glas fällt ihr entgegen, groß und schwer, von hoch oben kommt es geflogen. Das Glas schlägt ein in die Teekanne wie ein Geschoss. Glasscherben mischen sich mit Porzellanscherben, verteilen sich auf die Arbeitsplatte und den Küchenboden, der Tee, der sich über alles ergießt.

Susan imitten der Zerstörung bleibt ungerührt, steht ruhig und gefasst: Das war Peter. Das ist ein Zeichen. Jetzt, wo jemand da ist, traut er sich. Er weiß, dass ich ein Angsthase bin. Er will mich nicht erschrecken, wenn ich allein bin. Was will er mir sagen. Will er nicht, dass über ihn geschrieben wird? Susan schaut hoch zum offenen Küchenschrank. Ich bin nicht abergläubisch. Aber wie weit musste das Glas nach vorn rutschen, um über den Rand zu fallen. Da hat einer von hinten geschoben. Ich glaube, er freut sich. Er freut sich, wenn über ihn gesprochen wird.

„Ich kann nicht mehr sehen. Trau nicht mehr meinen Augen. Kann kaum noch glauben. Gefühle haben sich gedreht.“

Susan spielt das Lied von Grönemeyer. Das hat Peter still und nachdenklich gemacht, sagt sie. Er nahm mich in den Arm und sagte: Hör’s dir an, Puschel, er findet die Worte, er kann es sagen.

Susan nimmt Peters Foto, streicht über sein Gesicht. Sie holt tief Luft und atmet langsam aus: Ach Peter.

Auf der Arbeit hat es zwischen uns gefunkt. Im Schaufenster, beim Dekorieren. Einer Kollegin hab ich’s gesagt, die meinte: Lass die Finger von dem, der ist schwer krank. Was soll ich machen, sagt Susan. Ich kann mir doch nicht aussuchen, in wen ich mich verliebe.

Ich schlafe in seinem Bett seit er nicht mehr da ist, liege auf seiner Nackenrolle. Ich hab sie die ganze Zeit nicht gewaschen, ich Ferkel, sagt Susan. Aber die riecht so gut, die riecht nach Peter. Immer, wenn er auf Kur war, hab ich in seinem Bett geschlafen, hab mich in seinem Geruch gewälzt bis er wieder da war. Keine Angst, sagt Susan. Ich hab noch alle Tassen im Schrank. Auch wenn mir jetzt ein Glas fehlt.

Es gibt Tee aus einer anderen Kanne. Vielleicht soll ich die nehmen, sagt Susan. Vielleicht will er mir das sagen. Sie muss lachen, lachen über sich selbst, ein Lachen, das in Weinen übergeht.

Woher soll ich wissen, wie man trauert. Der Seelsorger hat gesagt: Beim Trauern ist alles erlaubt. Reden soll ich, soll mir alles von der Seele reden, immer wieder erzählen, so oft und so viel ich will und kann, jedem, der es noch hören kann.

Susan legt das Hochzeitsalbum auf den Tisch. Da hab ich mich noch nicht rangetraut, die anderen Fotos, das geht schon. Sie schlägt die erste Seite auf: Das war der schönste Tag in meinem Leben. Meine Eltern, seine Eltern, sie verstanden sich so gut, alle unsere Freunde, alle schauten mich an, mich und meinen Mann, den Peter.

Oma Trutchen sagte: Was fällt diesem Mann ein, meine Enkeltochter ins Unglück zu stürzen. Der lebt doch nicht lange. So krank, wie der ist. So was Dummes, sagt Susan, dieser Mann ist doch mein Glück.

Wir haben gerade unseren zehnten Hochzeitstag gefeiert. Und plötzlich biste Witwe. Witwe mit 42 Jahren.

„Wir waren verschworen, wären füreinander gestorben. Wir haben uns verzweifelt geliebt. Wir haben die Wahrheit so gut es ging verlogen. Es war ein Stück vom Himmel, dass es dich gibt.“

Von Peter hab ich gelernt zu leben, sagt Susan, jeden Tag bewusst zu erleben. Wünsche zu erfüllen, so lange es noch geht. Wir haben nichts aufgehoben, nichts aufgeschoben. Leben mit der Krankheit, leben mit dem Tod.

Jeden zweiten Tag musste Peter zur Blutwäsche. Fünf Stunden angeschlossen an die Maschine. Der Faden, an dem sein Leben hing. Kein Klagen aus seinem Mund. Ohne diese Maschinen, sagte er, gäb es mich schon lange nicht mehr.

Wenns Nierchen sauer gab, konnte Peter sich nicht halten vor Lachen. Seine eigenen funktionierten nicht mehr.

Die leidigen Gespräche übers Pinkeln im Stehen. Irgendwann stand Peter auf, stellte sich groß vor die anderen und sagte: Im Stehen pinkeln, hin und her. Nehmt euch ein Beispiel an mir: Ich pinkele gar nicht mehr.

„Du hast jeden Raum mit Sonne geflutet. Hast jeden Verdruss ins Gegenteil verkehrt. Du hast der Fügung Deine Stirn geboten. Hast ihn nie verraten, Deinen Plan vom Glück.“

Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, dass wir uns alles gesagt haben, sagt Susan. Zu wissen, dass wir alles erlebt und getan haben, was man im Leben erleben und tun kann. Mehr kann man nicht tun. Die Wohnung hab ich gekündigt. Ich werde mir was Neues suchen. Hier in der Nähe, hier leben meine Freunde.

Peters Beerdigung. Der schlimmste Tag in meinem Leben, sagt Susan. Seine Eltern, meine Eltern, alle unsere Freunde, alle schauten auf mich. Peters Foto auf seinem Sarg, die Musik von Herbert Grönemeyer:

„Ich habe dich sicher in meiner Seele. Trag dich bei mir. Bis der Vorhang fällt. Trag dich bei mir. Bis der Vorhang fällt.“

Eckard Kipping

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