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Wirtschaft: Geb. 1963

Carsta Helmeniak

Von David Ensikat

Lass mal, das rüttelt sich wieder zurecht. Prost erstmal.

Wie funktioniert ein Mensch? Was muss er bekommen, was sich nehmen, damit er anderen was gibt? Carsta hat vielen viel gegeben. Dass sie von vielen viel bekommen hätte, kann man nicht sagen. Eigentlich wusste niemand, was Carsta brauchen könnte. Niemand wusste, wie Carsta funktioniert. Gewundert haben sie sich alle: Wie die das nur schafft.

Carsta kam Ende der Achtziger aus Neubrandenburg nach Berlin, da hatte sie schon eine kurze Ehe hinter sich (die sie eingegangen war, weil ihre Eltern das nicht wollten), sie war Geflügelzüchterin gewesen, hatte Ökonomie studiert, um in der Buchhaltung statt im Stall arbeiten zu können, sie hatte auch schon einen Sohn. Sie kam nach Berlin und führte ein ordentliches Leben als Mutter und Buchhalterin.

Mutter blieb sie, festangestellte Buchhalterin nicht. Nach der Wende lebte sie von der Steuerberaterei. Nicht, dass sie Steuerberaterin gewesen wäre – als ob solche Formalitäten eine Rolle spielten. Sie hatte einfach Ahnung, wie man’s macht, mehr jedenfalls als die Kneipenwirte, für die Carsta Gewinne und Verluste gegenrechnete und die lästigen Formulare ausfüllte. Die Wirte, ihre Kundschaft also, hatte sie als Kundin kennen gelernt. Carsta ging schon immer gern in die Kneipe, jetzt tat sie’s von Berufs wegen. Da fiel es nicht weiter auf, wenn sie schon am Vormittag am Tresen stand.

Dass sie dann einen Malerbetrieb übernahm, das hat sich so ergeben. Ist ja auch egal, womit man sein Geld verdient, mindestens so egal wie das Geld selbst. Das muss nur da sein, wenn man’s braucht. Wenn man zum Beispiel Hochzeit feiert mit einer Bar aus Eis und Riesenfeuerwerk, oder wenn man mit dem Mann für ein paar Tage nach Wien will ins edle Hotel Sacher.

Ob sie sich das wirklich leisten kann? Na hör mal, wozu lebt man denn, verdammt noch mal.

Und Geld muss vor allem da sein, wenn andere es brauchen. – Komm nimm, du gibst’s mir irgendwann mal wieder, darüber reden wir jetzt gar nicht. – Bist du sicher? Bei dir sieht’s doch auch nicht immer rosig aus. – Quatsch, nimm es und Schluss. Einem Ballettdirektor, gab sie 20000 Mark, damit er sich ein Haus in Ungarn leisten konnte. Wenn ihr Mann Probleme mit seinem kleinen, klammen Theater hatte, dann war’s ja klar, wer hilft. Carsta, deren kleine Malerfirma oft Probleme machte, aber immer mal auch Geld abwarf.

In letzter Zeit geschah das kaum noch, dann hatte Carsta einen Grund, am Morgen schon zu sagen: Jetzt muss ich mir erstmal einen geben. Oder: Das kannste alles nur im Suff ertragen. Nicht, dass sie eine Frustsäuferin war, sie trank ganz einfach, niemand weiß, seit wann. Carsta konnte nicht ohne den Alkohol, das war allen klar. Man roch es, man sah es an ihrem Blick, aber an ihrem Verhalten merkte man es kaum. Auf den Baustellen kletterte die Malerchefin über die Gerüste, sie fuhr erstaunlich sicher Auto (bis sie fahrend ihr Handy suchte, den Unfall baute, blasen musste). Carsta funktionierte. Keiner wusste wie.

Natürlich versuchte es ihr Mann, versuchte es die beste Freundin, mit Carsta über die Trinkerei zu reden. Aber wie macht man einer, die den Leuten immer hilft, nur klar, dass sie selbst mal Hilfe braucht? Und welche Hilfe überhaupt? Soll man, wenn die Cognac-Flasche auf dem Tisch steht, selbst so viel wie möglich daraus trinken, damit für Carsta nicht viel übrig bleibt? Soll man sagen, wenn’s am gemütlichsten ist: Nun ist mal gut?

Es war ja alles Theorie. Carsta sah gut aus, Carsta sagte, es gehe ihr gut. Carsta half den anderen. Ihre Probleme, die Firma, der Sohn, das Finanzamt – wer wollte beweisen, dass die ohne Kneipenbesuche lösbar seien?

Und überhaupt, was soll’s? Lass mal, das rüttelt sich wieder zurecht. Prost erstmal.

Es gab ja auch die Aussicht, dass sich alles ändern würde. Beim nächsten Umzug in das andere Haus. Und wenn nicht dort, dann bald in Afrika. Carsta wollte unbedingt nach Afrika. Tiere retten, Berggorillas und so. Sie hat das ganz ernst gemeint, hat ihrem Mann gesagt: Lass mal, ich regel’ das, du musst nur mitkommen.

Carsta hat es nicht nach Afrika geschafft. Seit Januar tat ihr der Rücken weh, irgendwann so sehr, dass sie sich überreden ließ, zum Arzt zu gehen.

Da ist was an der Leber, so groß kann keine Galle sein.

Künstliches Koma, Operation, Tod – es ging so schnell. Niemand hat verstanden, wie Carsta funktionierte, niemand hat’s verstanden, als sie plötzlich nicht mehr funktionierte.

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