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Wirtschaft: Gebremster Fahrspaß

Vor 15 Jahren startete der erste ICE – Tempo machen kann der Hochgeschwindigkeitszug bis heute selten

Düsseldorf - Der Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch war alarmiert, es ging um seinen Wahlkreis: Weil im 36 000-Einwohner-Städtchen Limburg in Hessen zu wenig Passagiere in den ICE stiegen, sollten dort im Jahr 2005 weniger Züge halten. „Unlauter“ sei dies, schrieb CDU-Mann Willsch an Bahnchef Hartmut Mehdorn. „Die Anwohner der ICE-Neubaustrecke haben sich auf eine zusätzliche Belastung eingelassen und sollten hierfür seitens der Deutschen Bahn entschädigt werden.“ Und zwar, indem der ICE auf seiner bis zu 300 Stundenkilometer schnellen Fahrt von Köln nach Frankfurt am Main möglichst oft in Limburg hält.

Mehdorn beruhigte Willsch, indem er zwei zusätzliche Stopps ankündigte. Sie sicherten Limburger Schichtarbeitern die Schnellfahrt zum Frankfurter Arbeitsplatz. „Bahn beugt sich dem örtlichen Druck“, jubelte Willsch. Die Bahn kassierte eine erneute Niederlage im Bemühen, ihr Hochgeschwindigkeitsnetz auf Touren zu bringen.

Heute, 15 Jahre nach dem Start des ersten ICE spielt der Zug seine Kraft selten aus. Er stoppt in Städten wie Wittenberge, Stendal, Fulda – meist, weil Politiker die erforderlichen Trassenschlenker und Bahnhöfe in ihren Ländern und Wahlkreisen durchsetzten. Das 1991 mit einer ICE- Sternfahrt nach Kassel eingeläutete Hochgeschwindigkeitszeitalter ist vielerorts immer noch Zukunftsmusik.

Während der französische TGV zwischen Paris und Marseille mit durchschnittlich 250 Stundenkilometern durch die Landschaft rauscht, schafft der ICE zwischen Köln und Frankfurt im Schnitt meist nur 140 Stundenkilometer. Das ist kaum flotter als der „Fliegende Hamburger“ in den 30er Jahren zwischen Berlin und der Hansestadt Hamburg. Im Ruhrgebiet stoppt der ICE auf weniger als 100 Kilometern viermal. „Man kann nicht mit dem ICE in jeder Stadt halten, wo es der Bürgermeister gerade will“, sagt der Geschäftsführer des Berliner Instituts für Bahntechnik, Peter Mnich. Lediglich auf etwa 900 der 5000 Kilometer seines Netzes kann der ICE mit Tempo 250 und mehr Tempo machen. „Es ist die reinste Flickschusterei“, kritisiert der Bundesvorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn, Karl-Peter Naumann. „Mal fährt der ICE schnell, mal langsam. Das ist weder für die Passagiere attraktiv, noch energiesparend.“ Zwischen Berlin und Köln sind nur 160 von 500 Kilometern Strecke für die Höchstgeschwindigkeit ausgebaut – der Zug ist fast viereinhalb Stunden unterwegs. „Erst wenn es eine durchgehende Hochgeschwindigkeitsstrecke mit einer Fahrzeit von knapp über zwei Stunden geben würde, wäre das eine Alternative zu Auto und Flugzeug“, sagt Transrapid-Befürworter Mnich. Mit dem „Herumdoktern an alten Strecken“ werde der ICE nie das nötige Tempo erreichen.

Die Franzosen sind da zügiger. „Von Paris nach Lyon haben sie die Gleise nur so durch die Landschaft gelegt, davon konnten wir nur träumen“, sagt der ehemalige Bahn-Hochgeschwindigkeitsstreckenplaner Rudolf Breimeier. Anders als der TGV sei der ICE nie wirklich als Alternative zum Flugzeug gedacht gewesen. „Eine Schnellverkehrsplanung gegen den Luftverkehr hat es in Deutschland nicht gegeben. Die Franzosen waren da mutiger.“

Weil der TGV im eigenen Land erfolgreich war, musste ICE-Hersteller Siemens bei internationalen Ausschreibungen lange Niederlagen gegen die Franzosen einstecken. Weiterentwickelte TGV-Modelle fahren heute in den USA oder Korea. Der ICE gilt als technisch zu anspruchsvoll, der TGV als preiswert in der Wartung. Erst 2001 konnte Siemens in Spanien einen größeren Auftrag gewinnen. Der ICE soll im Wechsel mit dem TGV ab 2007 mit Tempo 350 Madrid und Barcelona verbinden.

Im kaum 25 Kilometer nordöstlich vom ICE-Städtchen Limburg gelegenen Montabaur spielen derlei Überlegungen kaum eine Rolle. Der 15 000-Einwohner-Ort hat 2002 ebenfalls einen neuen ICE-Bahnhof bekommen, der Landesregierung sei Dank. Schon seien die ersten Arbeitnehmer aus Köln und Frankfurt in den Westerwald gezogen, freut sich Bürgermeister Klaus Mies. Sie nutzen den ICE als Turbo-S-Bahn in die Großstädte. Zwei ICE-Bahnhöfe so nah beieinander – das findet auch Mies etwas übertrieben. „Ein Bahnhof hätte uns gereicht, nämlich der in Montabaur.“

Nils Sorge

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